Peking nähert sich seit Ende vergangener Woche wieder schrittweise dem Ausnahmezustand: Seitdem vergangenes Wochenende 49 neue Infektionen mit dem Coronavirus, 36 davon in der chinesischen Hauptstadt, bekannt geworden sind, riegelt die Regierung zunehmend Stadtteile ab und stellte bereits tausende Menschen unter Quarantäne.
Als neuer Infektionsherd wurde ein Lebensmittel-Großmarkt identifiziert, mit denen 27 der Pekinger Fälle im Zusammenhang stehen. Der Markt wurde bereits am Samstag geschlossen, in elf Wohngebieten um den Markt im südlichen Bezirk Fengtai wurde den Einwohnern sogleich das Verlassen ihrer Wohnungen untersagt. Am Montag wurde noch ein Großmarkt geschlossen sowie in zehn weiteren Wohngebieten eine Ausgangssperre verhängt. Zudem sollen nahegelegene Schulen geschlossen werden.
Gerade einmal ein halbes Jahr ist es her, dass China nach dem ersten Corona-Ausbruch in der Elf-Millionen-Stadt Wuhan das alltägliche Leben im Land zum Stillstand brachte, um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Dort nahm die pandemische Welle ihren Ausgang, die nach Asien zunächst Europa, dann die USA überrollte und aktuell vor allem in Lateinamerika ihrer Opfer fordert.
Zu frisch ist die Erinnerung an den Anfang der Pandemie im Januar, um die Warnsignale zu ignorieren: Wieder eine Handvoll Fälle, die sich allerdings sprunghaft mehren, wieder ein Großmarkt in China – ist das der Neustart einer zweiten, weltweiten Krise, während manche Länder noch die Opfer der ersten zählen?
Ob sich in Peking gerade die zweite Corona-Welle anbahnt, sie auch Europa erreichen und mit einer ähnlichen Härte treffen wird – darüber hat watson mit dem Epidemiologen Timo Ulrichs von der Akkon-Hochschule in Berlin gesprochen.
Vergangenen Donnerstag wurde die erste Infektion mit dem Coronavirus seit Monaten in Peking festgestellt, seitdem steigen die Zahlen sprunghaft. Allein am Samstag wurden 57 neue Infektionen bestätigt. Ist das der Beginn einer neuen pandemischen Welle in China?
Davon kann jetzt noch keine Rede sein. Es handelt sich um neue Ausbrüche, die zeigen, dass das Virus in China nie völlig verschwunden war. Allerdings sollte das neue Virusisolat auf mögliche Veränderungen im Vergleich zu den älteren Virusproben hin untersucht werden, um mögliche Mutationen und Veränderungen seiner Pathogenität zu detektieren – also um herauszufinden, inwiefern die neuen Proben krankheitserregend sind.
Könnte uns eine zweite Welle nun auch bald in Deutschland erreichen?
Das wäre durchaus denkbar, aber zurzeit eher unwahrscheinlich, da die Kontaktsperremaßnahmen zwar gelockert, aber nicht aufgehoben worden sind. Jegliche mögliche epidemiologische Trendwende wird sorgfältig beobachtet, und einzelne Ausbrüche in Umgebungsuntersuchungen werden nachverfolgt.
Im Herbst und Winter, wenn die Menschen sich wieder eher in Innenräumen aufhalten, könnte allerdings eine Zunahme von Ausbrüchen und damit der Virusverbreitung zu einer zweiten Welle führen, vor allem wenn eine Sorglosigkeit bezüglich der Hygieneregeln um sich greifen sollte.
Die meisten der neuen bestätigten Fälle sind, wie auch in Wuhan, auf einen Großmarkt zurückzuführen. Glauben Sie, dass es zu früh war, solche Großmärkte wieder zu öffnen? Sollten Menschenansammlungen länger vermieden werden?
Ja, größere Menschenansammlungen sollten nach wie vor vermieden werden, um das Risiko eines Ausbruchs zu senken. Das wären in Deutschland etwa Fußballspiele mit Publikum in den Stadien oder größere Konzerte.
Wuhan hat elf Millionen Einwohner, Peking fast doppelt so viele. Könnte ein erneuter Ausbruch in der größeren Stadt demnach gravierender sein?
China hat mit seinen rigorosen Quarantänemaßnahmen gezeigt, dass es auch größere Städte wirkungsvoll abriegeln kann. Einige Stadtteile von Peking sind ja bereits abgeriegelt.
Laut eines Epidemiologen des chinesischen Gesundheitsamts, Zeng Guang, handelt es sich bei den neuen Ausbrüchen nicht um den Urtypus von Sars-CoV-2, sondern eine leichte Mutation. Wie bewerten Sie diese Mutation? Könnte sie uns mit derselben Härte treffen wie der ursprüngliche Virus?
Das kann jetzt noch nicht gesagt werden. Das ursprüngliche Sars-CoV-2 hat ja keine Durchseuchung in der chinesischen Population erreicht, die durch eine neue Mutation plötzlich wirkungslos wäre. China verlässt sich, wie andere Länder auch, auf die Wirksamkeit der Hygieneregeln zur Eindämmung der Ausbreitung. Und die sollten auch bei einem möglichen neuen Virus funktionieren.
Es ist aber noch keineswegs erwiesen, dass es sich um ein neues handelt. Viel wahrscheinlicher sind leichte genetische Anpassungen des Virus, ohne Änderung von Pathogenität oder Ausbreitungsdynamik.
Könnten Menschen, die eine Infektion mit dem Coronavirus bereits überstanden haben, sich erneut mit dem Virus aus Peking anstecken?
Das wissen wir noch nicht. Wahrscheinlich besteht aber weiterhin eine Immunität.
Weiterhin hat watson Ulrichs gefragt, welche Lehren wir aus den vergangenen Monaten ziehen können, seitdem die Corona-Pandemie ausgebrochen ist. Immerhin haben wir essenzielles Wissen über Sars-CoV-2 gewonnen, um eine weitere Welle möglicherweise zumindest abschwächen zu können: