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Interview

Kommt nun die zweite Corona-Welle aus China? Das sagt ein Epidemiologe

12.06.2020, China, Peking: People covered with clothes, unbrella and masks walk under the sun in Beijing, China, 12 June 2020. Foto: Wang Xin/HPIC/dpa |
In Peking geht die Angst vor einer zweiten Welle um. Bild: dpa/ HPIC / Wang Xin
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Kommt nun die zweite Corona-Welle aus China? Das sagt ein Epidemiologe

15.06.2020, 17:0216.06.2020, 10:48
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Peking nähert sich seit Ende vergangener Woche wieder schrittweise dem Ausnahmezustand: Seitdem vergangenes Wochenende 49 neue Infektionen mit dem Coronavirus, 36 davon in der chinesischen Hauptstadt, bekannt geworden sind, riegelt die Regierung zunehmend Stadtteile ab und stellte bereits tausende Menschen unter Quarantäne.

Als neuer Infektionsherd wurde ein Lebensmittel-Großmarkt identifiziert, mit denen 27 der Pekinger Fälle im Zusammenhang stehen. Der Markt wurde bereits am Samstag geschlossen, in elf Wohngebieten um den Markt im südlichen Bezirk Fengtai wurde den Einwohnern sogleich das Verlassen ihrer Wohnungen untersagt. Am Montag wurde noch ein Großmarkt geschlossen sowie in zehn weiteren Wohngebieten eine Ausgangssperre verhängt. Zudem sollen nahegelegene Schulen geschlossen werden.

Beobachten wir gerade die Entstehung einer zweiten Corona-Welle aus China?

Gerade einmal ein halbes Jahr ist es her, dass China nach dem ersten Corona-Ausbruch in der Elf-Millionen-Stadt Wuhan das alltägliche Leben im Land zum Stillstand brachte, um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Dort nahm die pandemische Welle ihren Ausgang, die nach Asien zunächst Europa, dann die USA überrollte und aktuell vor allem in Lateinamerika ihrer Opfer fordert.

Zu frisch ist die Erinnerung an den Anfang der Pandemie im Januar, um die Warnsignale zu ignorieren: Wieder eine Handvoll Fälle, die sich allerdings sprunghaft mehren, wieder ein Großmarkt in China – ist das der Neustart einer zweiten, weltweiten Krise, während manche Länder noch die Opfer der ersten zählen?

Ob sich in Peking gerade die zweite Corona-Welle anbahnt, sie auch Europa erreichen und mit einer ähnlichen Härte treffen wird – darüber hat watson mit dem Epidemiologen Timo Ulrichs von der Akkon-Hochschule in Berlin gesprochen.

"Das Virus in China war nie völlig verschwunden."

Vergangenen Donnerstag wurde die erste Infektion mit dem Coronavirus seit Monaten in Peking festgestellt, seitdem steigen die Zahlen sprunghaft. Allein am Samstag wurden 57 neue Infektionen bestätigt. Ist das der Beginn einer neuen pandemischen Welle in China?

Davon kann jetzt noch keine Rede sein. Es handelt sich um neue Ausbrüche, die zeigen, dass das Virus in China nie völlig verschwunden war. Allerdings sollte das neue Virusisolat auf mögliche Veränderungen im Vergleich zu den älteren Virusproben hin untersucht werden, um mögliche Mutationen und Veränderungen seiner Pathogenität zu detektieren – also um herauszufinden, inwiefern die neuen Proben krankheitserregend sind.

Könnte uns eine zweite Welle nun auch bald in Deutschland erreichen?

Das wäre durchaus denkbar, aber zurzeit eher unwahrscheinlich, da die Kontaktsperremaßnahmen zwar gelockert, aber nicht aufgehoben worden sind. Jegliche mögliche epidemiologische Trendwende wird sorgfältig beobachtet, und einzelne Ausbrüche in Umgebungsuntersuchungen werden nachverfolgt.

Im Herbst und Winter, wenn die Menschen sich wieder eher in Innenräumen aufhalten, könnte allerdings eine Zunahme von Ausbrüchen und damit der Virusverbreitung zu einer zweiten Welle führen, vor allem wenn eine Sorglosigkeit bezüglich der Hygieneregeln um sich greifen sollte.

Die meisten der neuen bestätigten Fälle sind, wie auch in Wuhan, auf einen Großmarkt zurückzuführen. Glauben Sie, dass es zu früh war, solche Großmärkte wieder zu öffnen? Sollten Menschenansammlungen länger vermieden werden?

Ja, größere Menschenansammlungen sollten nach wie vor vermieden werden, um das Risiko eines Ausbruchs zu senken. Das wären in Deutschland etwa Fußballspiele mit Publikum in den Stadien oder größere Konzerte.

Wuhan hat elf Millionen Einwohner, Peking fast doppelt so viele. Könnte ein erneuter Ausbruch in der größeren Stadt demnach gravierender sein?

China hat mit seinen rigorosen Quarantänemaßnahmen gezeigt, dass es auch größere Städte wirkungsvoll abriegeln kann. Einige Stadtteile von Peking sind ja bereits abgeriegelt.

"Es ist noch keineswegs erwiesen, dass es sich um ein neues Virus handelt."

Laut eines Epidemiologen des chinesischen Gesundheitsamts, Zeng Guang, handelt es sich bei den neuen Ausbrüchen nicht um den Urtypus von Sars-CoV-2, sondern eine leichte Mutation. Wie bewerten Sie diese Mutation? Könnte sie uns mit derselben Härte treffen wie der ursprüngliche Virus?

Das kann jetzt noch nicht gesagt werden. Das ursprüngliche Sars-CoV-2 hat ja keine Durchseuchung in der chinesischen Population erreicht, die durch eine neue Mutation plötzlich wirkungslos wäre. China verlässt sich, wie andere Länder auch, auf die Wirksamkeit der Hygieneregeln zur Eindämmung der Ausbreitung. Und die sollten auch bei einem möglichen neuen Virus funktionieren.

Es ist aber noch keineswegs erwiesen, dass es sich um ein neues handelt. Viel wahrscheinlicher sind leichte genetische Anpassungen des Virus, ohne Änderung von Pathogenität oder Ausbreitungsdynamik.

Könnten Menschen, die eine Infektion mit dem Coronavirus bereits überstanden haben, sich erneut mit dem Virus aus Peking anstecken?

Das wissen wir noch nicht. Wahrscheinlich besteht aber weiterhin eine Immunität.

Tipps vom Epidemiologen: Wie wir uns vor einer zweiten Corona-Welle wappnen

Weiterhin hat watson Ulrichs gefragt, welche Lehren wir aus den vergangenen Monaten ziehen können, seitdem die Corona-Pandemie ausgebrochen ist. Immerhin haben wir essenzielles Wissen über Sars-CoV-2 gewonnen, um eine weitere Welle möglicherweise zumindest abschwächen zu können:

  • Für ausreichend Schutzausrüstung sorgen: Vor allem im März und April herrschte in ganz Deutschland ein Mangel von Schutzmasken und -kleidung vor. Nach der ersten pandemischen Welle wissen wir genauer, dass wir vorsorgen müssen, genügend Schutzausrüstung bereithalten und auch eine schnelle Nachproduktion ermöglichen sollten.
  • Großveranstaltungen rechtzeitig absagen: Große Menschenansammlungen sollten gemieden werden, rät Ulrichs. Auch die Kontaktsperrmaßnahmen und das Tragen von Masken hat seine Wirkung gezeigt.
  • Die Grenzen dicht machen hilft nur bedingt: Und zwar nur dann, wenn das Virus sich in verschiedenen Ländern unterschiedlich verhält. Dazu sagt der Epidemiologe: "Grenzschließungen sind nicht sinnvoll, wenn die Nachbarländer eine ähnliche epidemiologische Dynamik aufweisen."
  • Personalmangel vorbeugen: Gerade während der Pandemie ist klar geworden, wie wertvoll – und gleichzeitig knapp sowie unterbezahlt – Menschen sind, die in systemrelevanten Berufen arbeiten. Das muss sich ändern, um auch im Ernstfall kranke Menschen versorgen zu können.
  • Konsequente Umgebungsuntersuchungen nach einzelnen Ausbrüchen: Um eine weitere Welle abfangen zu können, ist es wichtig, die Infektionsketten gut nachvollziehen zu können. Dabei könnte uns auch die neue Corona-Warn-App unterstützen, die ab Dienstag verfügbar sein wird, meint Ulrichs.
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