Alex ist leidenschaftlicher Festival-Gänger. Er hat nur ein Problem: Alex ist einer von über 400.000 Menschen in Deutschland, die unter Morbus Crohn leiden, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (CED).
Morbus Crohn ist eine Krankheit, die man nicht auf den ersten Blick erkennt. Und doch kann sie den Alltag Betroffener massiv erschweren. Bauchschmerzen und plötzlicher, heftiger Durchfall sind typische Symptome – unkontrollierter Gewichtsverlust und Fieber häufige Begleiterscheinungen.
Alles Dinge also, die man nicht gebrauchen kann – erst recht nicht auf einem Festival. Mit watson spricht Alex darüber, was das für ihn als Musik-Fan bedeutet. Wie Großevents darauf vorbereitet sind, und welche Hürden er auf sich nehmen muss, um einfach nur seinem Hobby nachzugehen.
watson: Zunächst mal Respekt dafür, dass du so offen darüber sprichst.
Alexander Rost: Klar. Ich möchte ja, dass das Thema mehr Sichtbarkeit bekommt.
Wann hast du erfahren, dass du unter Morbus Crohn leidest?
Vor fünf Jahren. Aber bis zur Diagnose war es ein langer Prozess, der sich über sieben Jahre hingezogen hat. Angefangen hatte das mit ersten Darmoperationen und mehreren Krankenhausaufenthalten. Doch die Symptome wurden immer stärker, bis dann eben 2020 die Diagnose kam.
Weiß man denn, wodurch es sich entwickelt hat?
Die Ursachen können ganz unterschiedlich sein und bleiben auch oft unbekannt. Auch bei mir wissen die Ärzt:innen nicht, ob es etwas mit Erbgut zu tun hat oder äußeren Einwirkungen.
Heilbar ist es nicht. Aber lässt es sich zumindest so therapieren, dass der Alltag nicht allzu sehr leidet?
Das Problem ist, dass es bis zur richtigen Therapie ein weiter Weg ist. Ich bin jetzt quasi in der letzten Phase der Behandlungstherapie, wo es mit Biologika losgeht, die kurzgefasst dafür sorgen, dass Entzündungen nicht mehr ausbrechen können. Das ist quasi die letzte Instanz der Behandlung.
Davor bin ich aber wirklich alles durchgegangen, mit Cortison und sämtlichen anderen Medikamenten. Das war über zwei Jahre ein riesiges Hin und Her. Cortison ist zwar für die Symptombehandlung top, aber die Nebenwirkungen sind stark. Da bin ich innerhalb von drei Monaten von 60 kg auf 90 kg gekommen. Super.
Fassen wir zusammen: Der Alltag fordert bereits genug. Wie ist es, wenn du deiner Leidenschaft als Festival-Gänger nachgehst?
Vor einem Festival muss ich mich erstmal genauestens darüber informieren, wie gut das mit Sanitäranlagen ausgestattet ist. Dafür schaue ich mir erstmal die Übersichtskarten auf dessen Website an.
Angenommen, es ist gut ausgestattet: Was musst du noch beachten?
Ich muss auf jeden Fall immer einen großen Vorrat an Toilettenpapier mitbringen, sowohl feuchtes als auch festes. Ich muss mich mit Medikamenten eindecken, damit ich einigermaßen Ruhe hab. Also die üblichen Tabletten, aber in höherer Dosierung.
Wie ist denn deine bisherige Bilanz: Wie gut oder schlecht sind Festivals darauf vorbereitet?
Das ist sehr unterschiedlich und es entwickelt sich auch. Als ich 2019 beim Wacken war, war die Situation noch sehr bescheiden. Inzwischen haben sie ein Inklusionsteam. Aber nicht alle großen Festivals haben das, und gerade bei kleineren Festivals sieht es oft – im wahrsten Sinne – beschissen aus.
Woran scheitert es da?
Meistens sind dort nur Dixi-Klos. Für Menschen mit Behinderung gibt es oft einen Container mit einem Spülklo drin. Das Problem für mich: Die sind nicht für Leute mit unsichtbaren Krankheiten gedacht, weshalb ich dann meist höre: "Nein, nur Menschen im Rollstuhl."
War das für dich schon mal Grund zur Überlegung, ganz auf Festivals zu verzichten?
Klar, schon ein paar mal. Ich habe auch schon ein Festival abgebrochen, ein kleineres. Da sind wir gegen 19 Uhr nach Hause gefahren, noch vor dem Headliner, weil die Toilettensituation einfach katastrophal war. Die Dixis waren voll, wurden tagsüber nicht geleert. Da machst du die Tür auf und willst sie sofort wieder schließen.
Inwiefern sind größere Festivals mit besserer Ausstattung gegen solche Momente gewappnet?
Dort ist es oft besser, aber auch da kommt es immer wieder zu Situationen, die sehr bescheiden sind.
Magst du davon erzählen?
Ich hatte es auf dem Reload-Festival, dass ich da auf die Toilette wollte, dann aber von der Mitarbeiterin aufgehalten wurde: "Nur für Rollstuhlfahrer". Da hab ich dann versucht, meine Situation zu erklären, wurde aber komplett abgeblockt. Das fand ich schon heftig.
Wie ging es dann weiter?
Zum Glück haben dann Leute in der Warteschlange Platz gemacht und gesagt: "Junge, geh einfach vor." Auf solche Leute ist man dann angewiesen. Das hätte auch komplett in die Hose gehen können.
Gut, dass Festival-Gäste meistens korrekt sind!
Ja. Ich muss dazu sagen, dass genau dieses Festival es hinterher wiedergutgemacht hat. Das Team hat einen Stammtisch organisiert, um sich Feedback von Festival-Gästen einzuholen. Bei mir hatten sie eine Instagram-Story gesehen, als ich etwas zu unsichtbaren Krankheiten gepostet habe, und haben mich eingeladen.
Hast du dort von deiner Situation erzählt?
Ja, und bin tatsächlich auf Gehör gestoßen. Man hat eingesehen, dass das sehr unglücklich lief. Das Team bestünde nicht aus Harvard-Absolvent:innen, die jede unsichtbare Krankheit auf dem Schirm haben. Sie wollen aber daraus lernen und haben sich das zu Herzen genommen.
Spürst du diesen Wunsch nach Besserung auch bei anderen Festivals, oder war das eine Ausnahme?
Ich habe schon das Gefühl, dass es oft an der Unwissenheit scheitert. Niemand stellt sich aktiv dagegen. Natürlich ist es schlecht für alle Betroffenen, wenn es schiefgeht, aber wenn man dann sagt: "Okay, das ging daneben, nächstes Mal machen wir es besser", dann ist das wenigstens ein Schritt in die richtige Richtung.
Wie genau kann man es denn besser machen: einfach mehr Sanitäranlagen aufstellen?
Je mehr Sanitäranlagen, desto besser. Aber das ist nicht so einfach, wie es klingt. Dafür müssen Wasserleitungen gelegt werden, für die wiederum der Grundbesitzer sein Okay geben muss. Das ist ein langer Prozess. Es gibt aber auch andere Dinge, die man tun kann.
Was wäre das?
Das Festival, dessen Stammtisch ich besucht habe, will zum Beispiel als Reaktion auf mein Feedback ein Formular auf seine Website stellen. Dieses können Betroffene chronisch entzündlicher Darmerkrankungen ausfüllen und bekommen dafür kostenlosen Zugang zu den Toiletten.
Immerhin.
Genau. Damit spart man zwar auch nur zehn Euro, aber es ist trotzdem ein Entgegenkommen. Ein Zeichen, dass sie wissen, dass das bisher blöd lief, aber dass sie es besser machen wollen.
Gibt es noch mehr, was Festivals tun können?
Ich habe ja vorhin von Inklusionsteams gesprochen. Veranstalter:innen, die so eins noch nicht haben, können sich da gerne vom Wacken oder Rockharz Open Air inspirieren lassen. Denn Gäste, die diese kennen, werden auf anderen Festivals sofort feststellen: Oh, das geht aber noch besser.
Warum sind Inklusionsteams so wichtig?
Weil sie, wenn sie gut aufgestellt sind, einfach alles im Blick haben und überall helfen können. Sei es bei Rollstuhl-Fahrenden, Krebskranken oder Menschen, die Flüssigsauerstoff brauchen.
Auch da wird es immer Leute geben, bei denen es noch nicht perfekt lief, dann kommt die nächste Baustelle. Aber nur so wird man besser. Diese Teams sind schon enorm wichtig.