Über 13 Jahre ist es her, als die damals 3-jährige Britin Madeleine "Maddie" McCann aus ihrer Ferienwohnung in Portugal verschwand. Ein Jahrhundertfall. Die Öffentlichkeit schaut seit Jahren auf die Ermittler, wartet auf neue Informationen. Und kürzlich fanden sie einen Verdächtigen.
Der Weg dahin ist allerdings kein leichter. Spuren müssen gesucht, der Tathergang rekonstruiert und mögliche Zeugen ermittelt werden. Je länger ein Fall bearbeitet wird, desto schwieriger werden die Ermittlungsschritte.
Watson hat mit dem Kriminalisten und Autoren des Bestsellers "Der Profiler", Axel Petermann, gesprochen. Im Interview erklärt Petermann den genauen Ablauf einer Ermittlung, wie Täterprofile erstellt werden und wieso die Behörden erst nach so vielen Jahren einen Verdächtigen fanden.
Watson: Herr Petermann, Maddie ist nun seit über zehn Jahren verschwunden, erst jetzt konnte ein Verdächtiger ermittelt werden. Hätte das nicht schon viel früher geschehen können?
Axel Petermann: Wenn man wesentliche Daten, wie zum Beispiel die Telefondaten, zu dem Zeitpunkt tatsächlich gehabt hätte, wovon ich mal vorsichtig ausgehen würde, wäre das mit Sicherheit möglich gewesen. Das Problem ist allerdings: Von welchem Ansatz gehen die Ermittler aus? Man arbeitet auf einer Spur und präferiert bestimmte Maßnahmen. Und wenn der Chefermittler eine Zeit lang dachte, die Eltern selbst sind die Täter, rückt die Suche nach anderen möglichen Verdächtigen erstmal in den Hintergrund. Dann kann es passieren, dass wichtige Indizien wie Telefondaten beispielsweise erst einmal außen vor gelassen werden.
Was genau liegt gegen den Verdächtigen vor?
Ich weiß auch nur das, was berichtet wurde: dass die räumliche Nähe bestand. Dass er zur Tatzeit ein längeres Handygespräch geführt hatte. Dass er von 1995 bis 2007 immer mal wieder in Portugal gewesen ist. Dass er Vorstrafen im Bereich des Kindesmissbrauchs und der Vergewaltigung hat. Dass er als Einbrecher unterwegs war und in Hotelanlagen versuchte, Dinge zu stehlen, und dass er zuletzt noch Drogengeschäfte machte. Außerdem arbeitete er in der Gastronomie. Entsprechend möglich ist es, dass er die Ortskenntnisse hatte, so eine Tat durchzuführen.
Und was genau bedeutet das?
Hier sagen Ermittler, von den Rahmenbedingungen ausgehend könnte der Verdächtige als Täter durchaus infrage kommen. Und sicherlich gab es noch einen weiteren Hinweis, durch den er direkt in den Fokus geriet. Wie der Hinweis aussieht, haben die Ermittler bisher noch nicht verraten.
Aktuell setzen Behörden auch auf den Menschen, mit dem der Verdächtige am Tag der Tat telefonierte. Was erhoffen sie sich davon?
Die Ermittler werden mit dessen Hilfe den Inhalt des Gesprächs nachvollziehen können. Hier entscheidet, was die beiden besprochen haben. Es könnte ein Gespräch übers Wetter gewesen sein oder eines über einen Einbruch, es könnte aber auch sein, dass der Verdächtige sagte, er wolle ein Mädchen umbringen. Es besteht die Hoffnung, dass sich aus dem Gespräch ein weiteres Indiz ergibt.
Aber das Gespräch ist Jahre her. Wie zuverlässig sind Zeugenaussagen nach so langer Zeit?
Das hängt immer von den besprochenen Inhalten ab. Wenn Ihnen jemand vor 13 Jahren gesagt hätte, "Du übrigens, ich wollte einbrechen, hab' aber ein Kind gefunden und das ist jetzt tot", ist das natürlich einprägsamer als ein Gespräch übers Wetter.
Wenn dieser Zeuge jetzt wissen würde, dass sein Gesprächspartner einen Mord begangen hat, macht er sich nicht damit strafbar, wenn er es erst jetzt sagt?
In Deutschland ist es so geregelt, dass jemand zur Anzeige verpflichtet ist, wenn er von einem Verbrechen erfährt. Das wäre dann etwas, dass derjenige mit sich selbst ausmachen müsste.
Sozusagen eine Frage der Moral.
Unter anderem. Es könnte aber auch sein, dass der Zeuge an der Tat beteiligt gewesen war. Dann bleibt er nicht nur Zeuge, sondern wäre auch Mittäter oder Gehilfe.
Derzeit wird auch viel über die Vorgeschichte des Verdächtigen gesprochen. Wann wird sie für die Ermittler relevant?
Erstmal macht man eine Analyse des Tatorts. Und mit allen gesammelten Spuren versucht man dann, den Tathergang zu rekonstruieren. Erst danach stellen sich Ermittler die Frage, wer so etwas tun könnte. Hier kommt das Täterprofil ins Spiel. Es werden Personen gesucht, die die Voraussetzungen für die getroffenen Annahmen erfüllen.
Wie kategorisiert man eigentlich Täter – und wie erstellt man ein Täterprofil?
Indem man sich mit dem auseinandersetzt, was jemand an einem Tatort zurückgelassen hat, welche Entscheidungen er getroffen hat, wie er vorgegangen und entkommen ist. Außerdem ist entscheidend, wie er sich des Opfers bemächtigt hat, was er mit ihm getan hat, wie er es verletzt, gar getötet hat. Je mehr Informationen existieren, desto besser.
Im Fall Maddie ist es schwierig, weil man lediglich eine Ferienanlage mit einem Apartment der Familie hatte – und dann kam die Aussage, dass das Kind nicht mehr da sei. Und alles, was an Spuren da war, ist im Rahmen der Suchaktionen möglicherweise durcheinandergebracht worden. Jetzt muss man Theorien bilden, was die wahrscheinlichste Erklärung für das Verschwinden des Kindes ist.
Der Fall Maddie McCann hat ein großes öffentliches Interesse geweckt. Sorgt das nicht für einen enormen Druck auf die Ermittler, schnell einen Täter zu finden?
Natürlich. Wenn die ganze Welt auf einen blickt, ist es nicht schön, wenn man weder herausfindet, was geschehen noch, wer der Täter ist. Das kann dazu führen, dass man vielleicht die ein oder andere Spur überbewertet. Dann will man möglichst vermeiden, zu scheitern.
Wann gilt denn ein Fall als gescheitert?
Wenn man nichts mehr hat, das man ermitteln könnte. Sobald jede Spur geprüft worden und keine neue mehr in Aussicht ist, der Fall aber nicht gelöst wurde, kann man von gescheiterten Ermittlungen sprechen.