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Interview

"Die geteilte Schuld": Yvonne Zitzmann über Mütter in der DDR

Kann man Schuld teilen? Diese Frage thematisiert Yvonne Zitzmann in ihrem Buch zur damaligen DDR.
Kann man Schuld teilen? Diese Frage thematisiert Yvonne Zitzmann in ihrem Buch zur DDR.Bild: Kerstin Weinert
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"Die geteilte Schuld": Autorin Yvonne Zitzmann spricht über Mütter in der DDR

Was passiert, wenn eine Person aus der DDR flieht und die Familie zurücklässt? Und welche Rolle spielt der Staat, wenn Eltern ihre Kinder verlassen? Diesen Fragen widmet sich Yvonne Zitzmann in ihrem Roman "Die geteilte Schuld", erschienen im btb-Verlag. Mit watson spricht sie über Mutterschaft, ihr Leben im Osten und welche Bedeutung der 9. November auch heute noch hat.
08.11.2025, 14:0608.11.2025, 14:06
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watson: "Die geteilte Schuld" – was heißt das?

Yvonne Zitzmann: Der Titel stand von Anfang an fest, darunter habe ich den Roman geschrieben, weil damit alles gesagt wird. Was ist Schuld? Kann man Schuld teilen? Und wer ist schuldig, Männer, Frauen, alle, der Staat?

Wir erfahren in dem Buch von zwei Frauen, die ihre Kinder verlassen, eine lebt in den 80ern in der DDR, eine in der heutigen Zeit, beide sind auf ihre Art allein. Siehst du sie aufgrund ihrer Handlungen als Täterinnen oder als Opfer?

Ich mochte nicht, was die Frauen getan haben. Aber ich habe versucht, Verständnis zu wecken, sodass man beim Lesen weder hasst noch verurteilt. Auch die Männer, die ihre Frauen und Familien im Stich lassen, sollen nicht verurteilt werden. Es gibt immer Gründe, sich so und nicht anders zu verhalten.

Von Männern, die ihre Familie verlassen, hört man oft. Warum war es dir wichtig, über Frauen zu schreiben, die ihre Familie verlassen?

Genau deswegen: Von Männern kennt man das, es scheint fast anerkannt zu sein. Ich kenne aber keine Frau, die ihr Kind im Stich gelassen hat. Da ich selbst Mutter bin, wollte ich schreibend erfahren, wie es sein könnte. Fällt es Müttern schwerer und wenn ja, warum? Und kann man einfach aufhören, eine Mutter zu sein oder ist man auf ewig daran gebunden? Ich wollte zeigen, was alles passieren kann, wenn man alleinerziehenden Frauen nicht hilft. Mit ihrem Handeln haben mich die Figuren beim Schreiben selbst überrascht.

Du hast das Buch deiner Mutter gewidmet. Was bedeutet das?

Meine Mutter hat damals zu DDR-Zeiten auch ihren Job verloren, weil ich als Kleinkind ständig krank war, dafür hatte niemand Verständnis. Sie ist meinetwegen zu Hause geblieben, hat mehr auf mich geachtet als auf sich, und dafür bin ich ihr sehr dankbar.

Auch die Flucht aus der DDR wird in deinem Buch thematisiert. Hast du damit selbst Erfahrungen gemacht?

Meine Großeltern haben in Thüringen gewohnt, direkt an der Grenze. Und wenn ich sage "direkt an der Grenze", meine ich: Ihr Zaun war der Grenzzaun. Wir mussten einen Passierschein beantragen, wenn wir hinfahren wollten, und ich habe mich immer gewundert, warum meine Großeltern keine Leiter im Garten hatten – das durften sie nicht. Von meinem Zimmer habe ich die Flutlichter des Wachturms gesehen und nachts gehört, wie Minen hochgingen. Dieses Dorf durfte wegen der Fluchtgefahr auch kaum jemand besuchen, bis heute erinnere ich mich an diese Stille darin.

Durch dein Buch entsteht ein sehr negatives Bild vom Leben in der DDR. Entspricht das deiner persönlichen Haltung?

Gerade zu Beginn des Buches versuche ich, noch ein gutes Bild zu zeichnen. Später kippt es, die Figuren erfahren die ganze Härte des Systems und erhoffen sich im Westen ein besseres Leben. Für mich hatte die Wende viele positive Aspekte: Ich konnte Verwandte zum ersten Mal besuchen, durfte Abitur machen und studieren. Das wäre vorher nicht möglich gewesen. Ich bin dankbar für all die Freiheiten, aber ich habe auch Menschen getroffen, denen die Wertschätzung für ihre Vergangenheit fehlt, die sich plötzlich haltlos gefühlt haben.

"Man weiß oft erst im Rückblick, was richtig und was falsch ist."

Siehst du auch positive Aspekte am Leben in der DDR?

Ich habe mich damals mehr als Teil einer Gemeinschaft gesehen. Man hat auf andere geachtet, das ist heute in meinen Augen nicht mehr so. Aber ich war auch noch ein Kind, meine Eltern sehen das sicher differenzierter.

Viele, die das damals miterlebt haben, verschließen sich vor dem Thema. Wieso ist das bei dir anders?

Ich war erst 13 Jahre alt, hatte kaum negative Erfahrungen gemacht. Schreibend möchte ich mich einem Land nähern, das verschwunden ist. Andere waren älter und haben es vielleicht satt, sich für ihre Vergangenheit rechtfertigen zu müssen oder schuldig gesprochen zu werden. Meiner Erfahrung nach interessieren sich die meisten jedoch sehr für die Zeit vor 1989. Irgendwann muss man sich selbst und einander auch vergeben können, damit Ruhe einkehren kann. Wer weiß, was wir in diesem Moment gerade falsch machen, wo dann nachfolgende Generationen sagen könnten: "Wieso habt ihr nichts getan, ihr wart doch dabei?" Man weiß oft erst im Rückblick, was richtig und was falsch ist.

Ist Deutschland wirklich wiedervereint?

Das kommt darauf an, wen man fragt. Für meine Kinder, sie sind beide nach 2000 geboren, gibt es keine Trennung mehr. Auch für mich ist das ein Land. Für einige jedoch, die mehrere Jahrzehnte in diesem Staat verbracht haben, sieht das sicherlich anders aus, sie fühlen sich ihrer Ziele und Werte, ihrer Geschichte beraubt.

Hat die Jugend es heute leichter als du früher?

Nein, das mit diesem ganzen Gefallen-Wollen, mit den Klamotten, dem äußeren Schein, das gab es bei uns damals nicht, wir hatten ja auch nicht viel. Dazu der Druck durch Handys und Tablets: Die Schüler müssen teilweise noch bis 22 Uhr Aufgaben an die Lehrer schicken. Ständig sollen sie verfügbar sein, das finde ich ganz schwierig.

Kannst du unbeschwert an deine Jugend denken oder hängt der graue DDR-Schleier über allem?

Ich war ein sehr glückliches und behütetes Kind, ich mochte das Leben in Frankfurt (Oder) und in der Platte. Ich hatte eine tolle Familie, habe viel getanzt und mit sechs Jahren bereits angefangen, erste Geschichten zu schreiben. Ich habe viele positive Erinnerungen.

Siehst du dich als Ossi?

Gar nicht. Ich bin Brandenburgerin.

"Der Himmel war grau und alles andere so bunt und laut um mich herum."

Ist der 9. November für dich noch ein bedeutender Tag?

Ich denke jedes Jahr daran. Nicht nur an den Mauerfall, sondern auch an all die anderen historischen Ereignisse. Am 9. November 1989 waren wir mit der Schulklasse in Berlin und es gab ein riesiges Bahn-Chaos, wir kamen viel zu spät nach Hause und unsere Eltern standen bereits panisch am Bahnhof. Vielleicht dachten sie, wir wären einfach abgehauen? Ich war dann erst zwei Tage später zum ersten Mal in West-Berlin.

Wie hast du das wahrgenommen?

Ich weiß noch, dass es ein nebliger Tag war. Der Himmel war grau und alles andere so bunt und laut um mich herum. Wir haben uns in diesem Strom von Menschen treiben lassen.

Auf Instagram hast du von einer Lesung im Westen des Landes berichtet, eine Frau meinte, dass die Wiedervereinigung sie nichts angeht. Wie stehst du dazu?

Die Frau hat damals weit weg gewohnt, ihr politisches System wurde nicht verändert. Sie hat gesagt, dass sie das nicht so sehr interessiert. Aber letztendlich war sie trotzdem bei der Lesung, hinterher war sie begeistert.

Sind deine Lesungen im Osten besser besucht als im Westen?

Nein, das kann man so nicht sagen. Ich habe festgestellt, dass ich sogar mehr Lesungen in den alten Bundesländern habe. Die Leute dort wollen noch etwas über das Thema erfahren, sie sind am Leben in der ehemaligen DDR interessiert und das freut mich total.

Wie reagieren andere, ehemalige DDR-Bürger:innen auf dein Buch?

Ich habe bisher nur positive Briefe und Nachrichten bekommen, viele erkennen sich und die Zeit wieder. Nur einmal hat eine Person gemeint, sie sieht die Wochenkrippen nicht so negativ, wie ich sie darstelle, das hätte sie sich anders gewünscht. Das finde ich völlig in Ordnung, ich schreibe ja kein Buch, das jedem gefallen muss.

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