"Nemesis' Töchter": Autorin Tara zeigt, wieso Frauen kollektiv wütend sind
Tara-Louise Wittwer hat keine Lust mehr, nett zu sein – und das ist gut so. Die Bestseller-Autorin und Content Creatorin, besser bekannt unter "wastarasagt", macht auf Social Media seit Jahren kurzen Prozess mit Bullshit wie Sexismus, veralteten Rollenbildern oder patriarchalen Pseudo-Argumenten. Von ihren 667.000 Fans auf Instagram wird sie dafür gefeiert.
In ihrem neuen Buch "Nemesis’ Töchter" taucht sie 3000 Jahre tief in die europäische Geschichte weiblicher Wut ein. Was sie dabei findet? Hexenprozesse, dämonisierte Frauen und eine durchgehende Linie zwischen damals und heute.
Mit watson spricht sie über Female Rage, internalisierte Misogynie und die Frage, warum Frauen (zumindest nach der Ansicht vieler Männer) im Jahr 2025 immer noch ein schlechtes Gewissen haben sollen, wenn sie wütend sind. Spoiler: Müssen sie natürlich eigentlich gar nicht.
watson: Ist "Männerhasserin" für dich ein Kompliment?
Tara-Louise Wittwer: Nein, ich hasse keine Männer. Ich hasse das Patriarchat und wie es Frauen unterdrückt. Was mich aber echt nervt, sind die Männer, die online sofort ihren "Bro" verteidigen, auch wenn sie diese Person gar nicht kennen, statt Frauen zuzuhören, die von ihren eigenen, oft traumatischen Erfahrungen erzählen. Diese Art von Männer-Solidarität ist für mich echt respektlos und da kann ich auch mal wütend werden.
Wann hast du zum ersten Mal gemerkt, dass deine Wut nicht nur persönlich, sondern politisch ist?
Oh, das war ein langer Prozess! Ich habe Geschichte und Literatur studiert und schon damals über Frauen im Mittelalter geschrieben. Während meiner Recherchen habe ich gemerkt, wie viel von dieser Wut ich selbst internalisiert hatte. Irgendwann wurde mir klar, dass diese Wut nicht nur meine ist, sondern eine kollektive Erfahrung. Heute, wenn ich online mal einen gemeinen Kommentar bekomme, denke ich: Früher gab's dafür Hexenjagden oder Scheiterhaufen. Die Methoden haben sich geändert, aber das Muster der Ächtung ist immer noch da.
Warum ist weibliche Wut immer noch mit schlechtem Gewissen verbunden?
Wir sind darauf konditioniert, leise zu sein. Besonders heute sehe ich diesen krassen Trend bei den sogenannten "Christfluencern", die predigen, dass Frauen sich unterordnen müssen. Wenn du das nicht tust, bist du keine "richtige" Gläubige und wirst ausgegrenzt oder manipuliert. Das geht so weit, dass dir eingeredet wird, du sollst dich selbst als weniger wertvoll ansehen und das auch noch gut finden. Das ist die krasse Mechanik hinter diesem schlechten Gewissen.
Social Media wird oft kritisch gesehen. Glaubst du, es kann auch toxisch sein, vor allem für junge Menschen?
Absolut, Social Media kann total scheiße sein, vor allem, wenn man in die falsche Bubble gerät. Aber es ist eben nicht nur schlecht, sondern auch ein riesiger Segen. Es hat so viel Gutes ermöglicht, Leute zusammengebracht und Debatten angestoßen. Man kann es nicht einfach verteufeln, aber man muss auch die Schattenseiten kennen.
Wie stehst du zu dem Trend der "performative males", die sich als Feministen inszenieren?
Ich finde das teilweise witzig. Es zeigt auf, dass Männer oft nur das Kostüm des Feminismus tragen, um dann sagen zu können "Hä, ich kann dich nicht schlecht behandelt haben, ich bin doch Feminist!" Trotzdem sind mir diese performativen Typen fast lieber als die, die einem direkt sagen: "Du bist wertlos." Aber am Ende sind Übergriffe immer gleich schrecklich – egal, von welcher Art Mann sie jetzt ausgehen.
Wie würdest du "Female Rage" einer konservativen Oma erklären?
Wut ist eine kollektive Sache, keine persönliche Emotion. Selbst eine konservative Oma kennt bestimmt Situationen, in denen sie nicht ernst genommen wurde, zum Beispiel beim Arzt. Female Rage ist diese generationenübergreifende Wut: nicht nur für sich selbst, sondern auch stellvertretend für die Frauen vor uns. Das ist Solidarität, und die ist eigentlich eine richtig gute Sache. Aber klar, nicht alle (wollen es) verstehen.
Patriarchale Narrative werden ja immer weitervererbt. Welches klassische Beispiel sollten wir endlich abschaffen?
Dass Frauen "zu emotional" seien und Männer deswegen ganze Städte in Schutt und Asche legen könnten, weil ihr Fußballteam verloren hat oder gewonnen. Das ist doch ein Witz! Paris steht in Flammen, weil ein Fußballverein gewinnt, aber Frauen sollen zu emotional sein? Lächerlich.
Auf Tiktok wird Wut oft mit "Bad-Bitch-Energy" und "Main-Character-Mode" übersetzt. Passt das für dich?
Nein, nicht ganz. "Main-Character-Energy" ist eher ein Selbstbewusstseins-Ding: Ich nehme mein Leben zurück, ich lass mir nichts mehr sagen. Wut kann da dazugehören, muss aber nicht. Und ich persönlich will kein MainCharacter sein. Ich will lieber im Bett liegen, Bücher lesen und auf meiner Switch zocken. Ich bin eher die "Sleepy Bitch".
Aber du bist durch deinen Job für viele trotzdem so etwas wie ein Main-Character. Wie fühlst du dich damit?
Ja, aber ich sehe mich nicht so. Ohne meine Community bin ich nichts. Ich hatte neun Jahre lang quasi keinen Erfolg, bin rumgedümpelt, war nicht reich oder schön genug für Instagram. Erst durch die neuen Social-Media-Formate kam der Durchbruch. Also ich weiß genau, wie es ist, unsichtbar zu sein. Mein Erfolg ist auch Glück und vor allem die Stimmen der Menschen, die mich hören wollen. Deshalb sehe ich mich nicht als Main-Character, sondern eher als Bühne für andere.
Unsere Generation wirkt oft müde. Glaubst du, wir sind deswegen weniger wütend?
Wir sind alle müde. Manche Generationen mehr als andere. Die, die gerade ihre Jugend durch Corona zum Beispiel verloren haben, besonders. Wir alle haben unsere "kollektive Arschkarte" gezogen. Es ist ermüdend und erschöpfend, aber ich glaube nicht, dass wir weniger wütend sind. Im Gegenteil: Ich denke, manche finden gerade jetzt ungeahnte Kräfte, diese eine Wut, die auch Energie gibt.
Was würde sich ändern, wenn die Gesellschaft weibliche Wut endlich ernst nehmen würde?
Wenn wir aufhören, Frauen als "zu emotional" abzustempeln, würde sich vieles ändern. Mehr Frauen kämen in Führungspositionen, nicht nur die privilegierten weißen Frauen, sondern echte Diversität. Es geht auch um Mutterschaft, um Arbeitsbedingungen, um Respekt. Ich sag’s mal so: Frauen sind auch Menschen, und es wäre super, wenn das endlich alle kapieren würden.
Was würdest du den Leuten sagen, die behaupten, Feminismus sei heute schon überholt?
Ordentlich was! Bis Frauen wirklich als Menschen akzeptiert werden und ihre Wut nicht mehr diffamiert wird, ist noch viel zu tun. Echte Gleichberechtigung heißt zuhören, und zwar auf Augenhöhe.