Alex Mariah Peter über "GNTM" und ihre Eltern: "Habe mich selbst beschützen müssen"
Ungewöhnlich offen gibt Alex Mariah Peter in "work in progress" (riva Verlag, 22 Euro) Einblicke in ihre Kindheit, ihr Coming-Out und Liebesleben. Für watson sprachen wir mit ihr über "GNTM" und einen Moment, in dem ihr "Nein" missachtet wurde.
Watson: Ich starte mit einem Klassiker...
Alex Mariah Peter: "Wie ist Heidi Klum in echt?"
Da wollte ich gar nicht hin. Aber wo du es sagst: Sie ist hochprofessionell, oder?
Genau das. Ich habe echt nichts Schlechtes über sie zu sagen und auch nicht über meine Zeit bei GNTM, auch wenn das viele hoffen.
Bei "GNTM" hast du wenig preisgegeben. Dafür gibst du in deinem Buch Einblicke in Kindheit, Transition und dein Liebesleben. Wie kommt's?
Eigentlich hatte ich nur ein Problem, eine Therapeutin zu finden (lacht). In der Öffentlichkeit werde ich zwar als selbstsicher wahrgenommen, aber ich habe Unsicherheiten en masse. Die beziehen sich nicht auf die Kommentare anderer – Hate zum Beispiel juckt mich jetzt nicht so – aber die Frage: "Wer bin ich eigentlich?" trieb mich um. Ich wollte darüber sprechen, das aber nicht für Tiktok auf 40 Sekunden zuspitzen oder verkürzen. Daher das Buch.
Manchmal versteht man das eigene Leben besser, wenn man es niedergeschrieben sieht. Ging es dir so?
Ich entwickelte zumindest neues Mitgefühl mit mir selbst, aber auch mit anderen. Zum Beispiel habe ich meine Eltern oft kritisiert, weil ich in der Kindheit viel allein war. Uns ging es materiell sehr gut, aber mir hat Zuwendung gefehlt. Inzwischen sind mir ihre Beweggründe klar. Ich habe die Puzzlestücke aus Migration, Arbeitsbelastung und Trennung meiner Eltern zusammengesetzt und konnte viel Groll loslassen. Es heißt ja: Man vergibt nicht für die anderen, sondern für sich selbst. Das stimmt.
Die Identität zu finden, ist Teil des Erwachsenenlebens. Ist das schwieriger, wenn man trans* ist?
Das ist sicher individuell. Trans* zu sein bedeutet aber oft auch, eine lange To-do-Liste abarbeiten zu müssen, vom Coming-out bis zur Hormontherapie. Da fehlt manchmal die Zeit, um sich mit anderen existenziell identitären Fragen auseinanderzusetzen, die ja jeden erwachsenen Menschen umtreiben: Bin ich ein korrekter Mensch? Warum bin ich eigentlich so verkorkst? Für mich spielte die Transition eine kleinere Rolle als meine Wurzellosigkeit. Aber meine Geschlechtsidentität ist eine Zusatzfrage, die andere so nicht haben.
Trotzdem hast du die Öffentlichkeit gesucht – einen Raum, wo Identität von allen bewertet wird.
Privat war ich bereits geoutet und hatte genug Rückendeckung, sowohl von Freund:innen als auch Familie. Für mich war "GNTM" der nächste Step, weil ich bereits gemodelt habe, aber mehr Reichweite brauchte. Ich wollte Geld verdienen, mein Kinderzimmer verlassen und niemandem mehr Rechenschaft schuldig sein. Ein bisschen bin ich schon ein Luxusgirl und Transition ist außerdem teuer, weil die Eigenanteile, die man bei Therapien und OPs zahlt, sehr hoch ausfallen können.
Die Medien haben dich als Galionsfigur fürs Transsein herausgepickt. Fandest du das gut?
Nein. Ich bin ich. Mein Weg ist nicht der von anderen. Auch das Buch soll kein Buch für Migrant:innenkinder oder Trans*-Personen sein. Wenn sie sich in einzelnen Kapiteln wiederfinden, schön, aber größer ist doch, dass wir alle Menschen sind, mit mehr oder weniger ausgeprägten posttraumatischen Belastungsstörungen.
Was war für dich das emotionalste Kapitel?
Im Schreibprozess ist mir gar nichts krass schwergefallen. Aber als ich das Hörbuch einsprach, musste ich bei einem Kapitel kurz stoppen – nämlich, als es um den Tod meines Vaters ging. Er war 2020 in seiner Heimat Südafrika an Krebs verstorben. Ich hatte eine Todesurkunde vom anderen Ende der Welt bekommen, aber das war so abstrakt. Und plötzlich wurde mir klar: Er ist wirklich nicht mehr da.
Hat er dich bei "GNTM" gesehen, von Südafrika aus?
Nein, da war er bereits verstorben. Wir wussten schon um die Schwere seiner Krebserkrankung, als er mich im Frühjahr 2020 anrief. Ich ging aber nicht ran, weil ich mitten in einem Shooting steckte. In dieser Nacht starb er, ohne dass ich mich verabschiedet hatte. Am nächsten Tag kam die Einladung zum "GNTM"-Casting.
Bei "GNTM" warst du zwar beliebt, gleichzeitig hast du klar Grenzen gesetzt, zum Beispiel deine Familie nicht gezeigt. Hattest du einen Trick?
Ich war am Set bekannt, als die "Nein"-Frau. Vermutlich ist das ein Resultat davon, dass ich schon als Kind viel allein war. Ich habe mich immer selbst beschützen müssen. Das ist ein Attribut, was in meinem Job essenziell ist. Unsere Gesellschaft liebt den Voyeurismus, will immer ganz nah ran an Promis und gerade die, die nach Bestätigung lechzen, kann dies langfristig zerstören. Wenn man zu viel zeigt, nur um verzweifelt gesehen zu werden, ist das ein Brandbeschleuniger für emotionale Verletzungen.
Grenzen zu ziehen, fällt auch Nicht-Promis oft schwer.
Was ich komisch finde, weil ich immer denke: "Häh? Das Gegenteil ist der Fall. Es ist total schwer, JA zu sagen." Ich sage immer erstmal "Nein", bevor ich mich in etwas stürze, dessen Konsequenzen ich nicht überblicken kann. Neins sind wichtig! Wenn du nicht auf dich achtest, achtet keiner auf dich.
Wie meinst du das?
Die Realität ist, dass wir alle Geld brauchen, um uns Miete, Essen und den einen oder anderen Wunsch zu leisten. Das gilt für übergriffige TV-Redakteure, die versuchen, dich zu einer clicky Schlagzeile zu machen und für mich selbst – auch ich habe nicht den Batzen auf dem Konto, um mich nur noch ideellen Zielen zu widmen. Ich verstehe das. Aber gleichzeitig ist es mein Recht, zu blocken, wenn ich sowas wittere.
Du schilderst im Buch eine Party, auf der du vergewaltigt wurdest. Ein Moment, an dem Grenzen überschritten wurden, du aber eine Weile brauchtest, um das zu begreifen. Kannst du erklären, warum?
Ich glaube, jede Frau kann das nachempfinden. Weil in der Gesellschaft diese misogynen Narrative omnipräsent sind, dass Frauen willig sein sollen. Dass man nicht hysterisch sein darf und auch liefern muss, wenn man geflirtet hat. Das ist frauenfeindliches Victim Blaming, aber diese innere Stimme kam auch bei mir hoch. Vor allem, weil ich betrunken und benebelt war. Es hat gedauert, bis ich gerafft habe: "Moment! Ich gaslighte mich gerade selbst."
Vors Gericht ging dieser Fall aber nicht?
Nein, ich weiß nicht mal, wie dieser Typ heißt und habe mich entschieden, den zu vergessen. Er ist keine weitere Lebenszeit von mir wert.
Lässt du dich trotzdem in Liebesbeziehungen fallen?
Das ist das Paradoxe. Ich bin klar im Grenzen setzen auf der Arbeit, aber in zwischenmenschlichen Beziehungen gebe ich einen Vertrauensvorschuss. Auch in der Liebe – und das, obwohl mich eigentlich jeder meiner Ex-Freunde betrogen hat. Ich habe keine Angst, immer wieder neu zu vertrauen und bin stolz, dass ich das kann – alte Traumata sollen nicht meine Zukunft beeinflussen.
Ist das ein Learning?
Durchaus. Ich bin nicht schuld an Schicksalsschlägen, aber ich trage Verantwortung für meine Heilung. Mein Gegenüber hat sich verdammt beschissen benommen und das habe ich nicht verdient. Okay. Punkt. Neuer Tab, neuer Chat mit Chatty: Wie mache ich jetzt weiter? Denn von einer Sache bin ich überzeugt: Ich trage zwar keine Verantwortung für all die schlechten Dinge auf dieser Welt – aber ich bin durchaus verantwortlich für mich.