In den USA ziehen sich Unternehmen aus Diversity-Programmen zurück. Rechte Kulturkämpfer:innen gewinnen an Einfluss – und nicht nur dort. Auch in Europa sind die Entwicklungen spürbar, politisch und gesellschaftlich.
Julia Monro, die sich seit Jahren für Transrechte engagiert, beobachtet diese Entwicklung seit Jahren. Watson hat sie zum Interview getroffen. Ein Gespräch über transfeindliche Politik, unternehmerische Feigheit und die Normalisierung des Faschismus.
watson: In den USA werden viele gesellschaftliche Fortschritte rückabgewickelt. Unternehmen stampfen ihre Diversity-Programme ein. Wie blickst du auf diese Entwicklung?
Ich beobachte das schon lange – und habe früh davor gewarnt. Die evangelikale Rechte ist tief mit der Politik vernetzt und richtet sich entschieden gegen alles, was mit Vielfalt zu tun hat. Donald Trump hat dafür immer viel Zuspruch bekommen. Dass Diversity-Initiativen nach seinem Wahlsieg unter Druck geraten, überrascht mich nicht.
Wie tiefgreifend sind die Eingriffe?
Man kann das heute ganz klar benennen: In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl transfeindlicher Gesetzesinitiativen in den USA von 15 auf 947 gestiegen. Das war absehbar. Trans*-Personen haben seit Jahren gewarnt, was ein Präsident Trump für sie bedeutet. Und es bleibt nicht auf die USA beschränkt – dieser Kulturkampf schwappt längst nach Deutschland über.
Inwiefern?
Erst kürzlich wurde bekannt, dass deutsche Unternehmen von der US-Botschaft unter Druck gesetzt wurden, keine Maßnahmen zur Unterstützung von Transrechten und Vielfaltsförderung zu ergreifen. Es geht hier also nicht mehr nur um politische Auseinandersetzungen – es ist ein ideologischer, religiös aufgeladener Kulturkampf.
Was könnten Unternehmen dem entgegensetzen?
Sie müssten Haltung zeigen – und nicht beim ersten Gegenwind einknicken. Aber genau das passiert. Es gibt inzwischen einige gute Studien mit Handlungsempfehlungen, die wir als LSVD⁺ auf unserer Webseite zusammengefasst haben. Von Sensibilisierung in Bewerbungsgesprächen bis zur Entwicklung eigener Antidiskriminierungsrichtlinien. Ich rate dringend dazu, proaktiv den Dialog mit queeren Organisationen zu suchen, um in dieser herausfordernden Zeit gemeinsam Lösungen zu entwickeln.
Dabei ist es doch vollkommen unlogisch, Menschen auszuschließen.
Logik spielt in dieser Art Politik oft keine Rolle. Es geht um Mehrheiten, welche durch Emotionen gewonnen werden. Und Diversity ist längst ein Reizwort geworden. Das Resultat: Unternehmen handeln irrational. Obwohl längst belegt ist, dass diverse Teams wirtschaftlich erfolgreicher sind, werden Programme gestrichen – angeblich, um sich aufs Kerngeschäft zu konzentrieren. Ein Trugschluss.
Warum?
Weil ein Unternehmen ohne sichere Umgebung für alle Mitarbeitenden nicht besser funktioniert. Druck und Diskriminierung erzeugen keine Produktivität – im Gegenteil. Menschen arbeiten nur gut und kreativ, wenn sie sich sicher und gesehen fühlen. Wenn Unternehmen sich politischen Strömungen unterwerfen, nur weil es Subventionen verspricht, sitzen sie einem gefährlichen Irrtum auf.
Du sprichst von einem strukturellen Problem?
Natürlich. Unternehmen sind oft autoritär organisiert. Sie können Menschen auch unter unsicheren Bedingungen zur Leistung zwingen. Aber wer ständig gegen Widerstände anarbeitet, verliert Energie – und das hat Folgen für das ganze System.
Du bist selbst im Austausch mit trans* Personen in den USA. Wie erleben sie die Lage?
Viele fühlen sich nicht mehr sicher. Ich bekomme Anfragen, ob ich bei einer Ausreise nach Deutschland helfen kann. Wenn Menschen sich in ihrer Heimat und am Arbeitsplatz bedroht fühlen, bleibt oft nur die Flucht. Und genau das darf nicht sein. Unternehmen hätten hier die Chance, Rückhalt zu geben.
Kommt dieser Rückhalt denn nicht von Kolleg:innen?
Nicht unbedingt. Wenn Führungskräfte oder Politiker:innen eine feindliche Haltung signalisieren, übernehmen andere sie, auch um die eigene Stellung nicht zu riskieren. Autoritäten prägen das Klima. Wer ohnehin Vorbehalte hatte, fühlt sich in ihnen bestätigt. Und das betrifft leider mehr Menschen, als man denkt.
Ist kollektiver Widerstand möglich?
Er ist nötig. Solidarität muss wieder ins Zentrum rücken – auch über Ländergrenzen hinweg. Wir leben in einer leistungsgetriebenen Gesellschaft, die Abgrenzung belohnt. Wir müssen neu verhandeln, was "Wert" bedeutet. Wert ist nicht nur Geld. Wer Diversity nur betriebswirtschaftlich betrachtet, verkennt den gesellschaftlichen Gewinn von demokratischer Teilhabe aller Menschen – auch am Arbeitsplatz.
Hast du Hoffnung, dass sich die Lage verbessert?
Hoffnung, ja. Aber Optimismus fällt mir schwer. Auch in Deutschland verschiebt sich das Klima nach Rechtsaußen. Ich halte eine AfD-Koalition in der nächsten Legislatur nicht für ausgeschlossen. Rechtsextremismus wird normalisiert, die Situation für trans* Personen wird auch hier nicht besser. Ich selbst frage mich wie viele aus der Community immer öfter, ob Auswandern irgendwann der letzte Ausweg ist. Wenn wir jetzt nicht laut sind, dann ist der Abbau von Menschenrechten morgen vielleicht zu weit fortgeschritten.