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Weihnachtsforscher: "Nicht nur Corona verändert unsere Festtage"

Beautiful mother and daughter in medical masks have fun at home near the Christmas tree in a white interior. Family happiness, holiday, joy, vacation, games with a woman. New Year's preparations. ...
Weihnachten funktoniert auch in der Corona-Pandemie.Bild: getty images / Sinenkiy
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Weihnachtsforscher erklärt, warum sich das Fest verändern wird, jedoch nicht vorrangig wegen Corona

19.12.2020, 19:32
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Weihnachten ist das Fest der Nächstenliebe. Doch wie soll das während der Corona-Pandemie gefeiert werden, in einer Zeit des Abstandhaltens? Familien planen unter Schweiß und Tränen ihr Weihnachtsfest: "Wen besuchen wir? Wen lassen wir lieber allein? Dieter, nimm den Mistelzweig ab, der geht dieses Jahr nicht."

Zwischen 24. und 26. Dezember gilt: Ein Haushalt mit beliebig vielen Personen darf insgesamt vier weitere Personen über 14 Jahren aus beliebig vielen anderen Haushalte einladen. Große Familien müssen sich hier gut überlegen, wen sie sehen können.

Doch vielleicht sorgt die Situation auch für frische Ideen zum Weihnachtsfest, gar könnten neue Bräuche entstehen, die auch über die Pandemie hinaus bestehen bleiben.

So sieht es zumindest der Weihnachtsforscher Stephan Wahle. Seit Jahren beschäftigt er sich damit, wie sich das Weihnachtsfest in den letzten Jahrhunderten verändert hat. Watson fragte ihn, welche Bedeutung die Corona-Pandemie für künftige Weihnachten hat, warum das Fest für viele so wichtig ist und weshalb es gut ist, dass die Kirche zu Weihnachten eher eine kleine Rolle spielt.

"Weihnachten ist ein Symbol für das Recht auf ein glückliches Leben in Freiheit und Würde aller Menschen."

watson: Derzeit befinden wir uns wegen Corona in einer schwierigen Situation – Unsicherheit begleitet viele quasi permanent, sei es beruflich oder gesundheitlich. Was bedeutet das fürs Weihnachtsfest?

Stephan Wahle: Wir vergleichen gerne unsere Weihnachtsfeste miteinander, um zu schauen, was im Vorjahr anders war. Dieses Jahr ist so viel passiert, dass wir wohl noch genauer hinsehen, nur fallen uns dann andere Dinge auf. Ist etwa jemand in der Familie verstorben, wird dieser Verlust nochmal deutlich spürbar. Wo im Vorjahr jemand saß, lachte, Glühwein ausschenkte, befindet sich eventuell ein leerer Platz. Das wird schmerzen. Doch Weihnachten kann auch helfen, mit der aktuellen Situation umzugehen. Nehmen wir die Rituale: Sie entlasten uns, geben Sicherheit. Statt zu planen, können wir uns Altbekanntem widmen – und sei es nur, einen Weihnachtsbaum zu kaufen.

Das funktioniert aber nicht immer. Abstandsregeln und die neuen Lockdown-Regeln sorgen dafür, dass wir Freunde nicht treffen können, manche Menschen gehen etwa nach dem Familienprogramm auf Partys.

Weihnachten ist bei uns, anders als Silvester, weit weniger ausgelassen. Partys sind für viele kein Thema. Clubs feiern zwar ihre Mottopartys, aber Erfahrungsberichte von jungen Menschen zeigen, dass sie das nicht unbedingt brauchen. Die Feier im Kreise der Familie hingegen schon.

Trotzdem wird es Einschränkungen geben. Immerhin können wir über die Weihnachtszeit nicht von Familienteil zu Familienteil fahren.

Natürlich werden wir uns einschränken müssen. Viele feiern erst mit den Eltern, dann mit den Großeltern und vielleicht noch anderen Teilen der Familie oder mit Freunden, das wird durch die Corona-Pandemie kaum möglich sein. Wir müssen die Festlichkeiten, sofern nötig, verkleinern, vielleicht mehr Zeit mit nur einem Familienteil verbringen. Und wenn wir uns dafür entscheiden, das Programm zu reduzieren, könnte sich dadurch jedoch ein neuer Trend entwickeln. Das ist aber normal. Die Art, wie wir Weihnachten feiern, verändert sich ständig. Kriegen wir beispielsweise Kinder, planen wir ebenfalls um. Neue Familienkonstellationen verändern die alten Traditionen, gleichwohl einige Elemente relativ stabil bleiben.

"Eine Verlängerung der Weihnachtsferien bietet auch die Chance, die gesamte Weihnachtszeit – einschließlich Silvester – neu zu entdecken."

Derzeit klammern wir uns ans Weihnachtsfest – mehr als sonst. Überrascht Sie das?

Überrascht hat mich das nicht. Das Weihnachtsfest ist der Moment, an dem nahezu die gesamte Gesellschaft innehält. In seiner modernen Gestalt haben sich die Menschen gewissermaßen ein Fest selbst gegeben, welches heute tief in unserer Kultur verankert ist. Mit Ostern oder auch Geburtstagen ist das nicht vergleichbar.

A happy couple with a child is celebrating Christmas with their friends on video call using webcam. Family greeting their relatives on Christmas eve online. New normal
Dass Oma das noch erleben darf: Weihnachten im Videocall.Bild: Getty Image

Weihnachten ist ein Symbol für das Recht auf ein glückliches Leben in Freiheit und Würde aller Menschen. Das zeigte sich etwa 2016, als es zu einem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin kam. Viele waren empört, fragten, warum ausgerechnet der Weihnachtsmarkt, der eben für die Sehnsucht nach einem guten Leben steht – trotz aller Kommerzialisierung, die nicht zu leugnen ist. Weihnachten hält uns zusammen, das wollen wir nicht verlieren.

Finden Sie es gerechtfertigt, dass von der Politik derzeit so viele Maßnahmen ergriffen werden, um Weihnachten zu retten?

Es ist eine Gratwanderung. Ziel sollte es sein, dass Familien ohne staatliche Kontrolle den Heiligabend in kleinem Kreis feiern können. Ich teile den politischen Appell an das Verantwortungsbewusstsein der Menschen. Eine Verlängerung der Weihnachtsferien bietet auch die Chance, die gesamte Weihnachtszeit – einschließlich Silvester – neu zu entdecken, als eine stille Zeit, ohne Events, Reisen und Megapartys.

"Es gibt Feiertage, die für uns an Bedeutung verlieren. Bei Weihnachten kann ich mir das aber nicht vorstellen."

Einige Rituale verlieren mit der Zeit an Bedeutung. Früher feierten wir Fronleichnam, heute nicht mehr. Könnte das auch mit Weihnachten passieren?

Es gibt Feiertage, die für uns an Bedeutung verlieren. Bei Weihnachten kann ich mir das aber nicht vorstellen. Bereits vor 100 Jahren hieß es, das Fest habe sich überlebt – und bis heute feiern wir es. Weihnachten hält sich trotz aller Kritik und erfindet sich ständig neu, weil dieses Fest für uns eine hohe Lebensrelevanz in sich trägt.

Dabei hat gerade die religiöse Bedeutung abgenommen. Kaum einer besucht zu Weihnachten die Kirche.

Die Weihnachtsgottesdienste zählen immer noch zu den Höhepunkten im Kirchenjahr. An ihnen nehmen viele Menschen teil, die sonst keine Nähe zur Kirche suchen, in der Weihnachtsbotschaft aber etwas ganz Wertvolles und Sinnstiftendes entdecken. Auch für Atheisten kann Weihnachten etwas Heiliges sein. Wie das dann genau gefasst wird, ist unterschiedlich. Christliche Narrative müssen keine Rolle spielen. Auch der soziale Charakter ist entscheidend, das Zusammenkommen von Familie oder Freunden, mit denen wir das vergangene Jahr Revue passieren lassen. Hier frage ich mich, was passiert, wenn sich die Lebensgrundlagen massiv verschieben, etwa aufgrund des Klimawandels. Unser Weihnachtsfest könnte sich dadurch verändern.

Dass der Klimawandel Weihnachten verändert, ist längst spürbar. Wir sind umweltbewusster als vor zehn Jahren. Viele kaufen etwa keine Weihnachtsbäume, basteln ihre Geschenke selbst, achten bei ihren Plätzchen auf nachhaltige Zutaten. Welche Auswirkungen könnte es noch geben?

Ich muss kein Prophet sein, um zu sehen, dass sich der Klimawandel auf alle Lebensbereiche auswirken wird, darunter auch Weihnachten. Die weiße Weihnacht existiert fast nicht mehr, nur noch in wenigen Regionen. Lieder wie "Schneeflöckchen Weißröcken", die stets Teil der Weihnachtszeit waren, wirken noch als Sehnsuchtslieder, irgendwann passen sie aber nicht mehr. Der Klimawandel hat sich auch auf unser Konsumverhalten ausgewirkt. Weihnachtsbäume werden nicht mehr in Massen verkauft, Biobäume sind mehr gefragt. Früher galt er uneingeschränkt als Symbol fürs Weihnachtsfest, heute nicht mehr. Entsprechend würde ich betonen: Im Vergleich zum Klimawandel wird sich die Pandemie deutlich weniger aufs Fest auswirken.

Whatsapp-AGBs ändern sich: Nutzer müssen akzeptieren oder wechseln

Privatsphäre und Nutzungsbedingungen sind für die meisten Verbraucher:innen seit Beginn des Smartphone-Zeitalters ein steter Begleiter – und ein nerviger obendrein. Es gab Zeiten, da gingen Kettenbriefe auf Whatsapp oder Facebook um, die zum Widerruf der jeweiligen Dienst-AGBs aufriefen. Meist wurde die Boomer-Generation – sprich: Eltern, Tanten und Onkel – von dem Trend angesprochen. Doch im Endeffekt erreichte das Thema auch die jüngeren Generationen.

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