Plötzlich herrscht Krieg in Europa – ein beängstigender Gedanke, der schon Erwachsene schnell überfordern kann. Seit letzter Woche führt Russland einen offenen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Viele Menschen sind auf der Flucht, es gibt Bomben, Tote und Chaos. Gerade Kindern können die Bilder und Geschichten, die sie gerade überall mitbekommen, Angst machen. Derzeit kann es kaum vermeiden, in der Öffentlichkeit und in (Sozialen) Medien mit dem Thema Krieg konfrontiert zu werden.
Am besten ist es, selbst mit dem Kind zu sprechen, bevor es unvorbereitet mit dieser schwierigen Situation konfrontiert wird. Aber wie mache ich das am besten und wieviel darf ich einem Kind wirklich zumuten?
Viele Medien haben genau für solche komplexe Themen bereits eigene Formate entwickelt, wie "Logo!" vom ZDF, das Kinderradio von WDR5 "KiRaKa" oder dessen Reportermagazin "neuneinhalb".
Was Eltern selbst beachten sollten, wenn sie ihren Kindern die aktuelle Lage erklären, haben wir den Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort gefragt.
Der Universitätsprofessor empfiehlt, Kinder ab einem bestimmten Alter nicht mehr vor schlimmen Nachrichten über das Weltgeschehen abzuschirmen, sondern sie gezielt in ihrer Verantwortungsfähigkeit ernst zu nehmen. "Das heißt, es geht weder darum, Sorge zu unterdrücken. Es geht aber auch nicht darum, Sorge zu dramatisieren, sondern Kinder wirklich teilhaben zu lassen an der eigenen Sorge", erklärt er im Gespräch mit watson.
Kinder und Jugendliche von solchen Nachrichten abzuschirmen, sei hingegen nicht sinnvoll. Denn zum einen würden Kinder das ohnehin merken. Der Wunsch, die Kinder zu schonen, sei zudem unrealistisch und unter Umständen sogar schädlich. Der Psychologe spricht hier von einem "elterlichen Schmerz", also dem Schmerz, den man als Elternteil habe, wenn die Kinder zirka um das achte Lebensjahr herum anfingen, Nachrichten zu sehen oder zu lesen. Dabei stoßen sie zwangsläufig auch auch negative Ereignisse. Oft käme da der Wunsch auf, die Kinder ein bisschen länger in der kindlichen Naivität zu lassen.
Doch die Kinder aus Sorge von der Realität abzuschotten, sei nicht zielführend:
Falls die Kinder Angst haben, solle man sie auf alle Fälle beruhigen – aber nicht etwa, indem man Probleme und Sorgen klein redet oder dem Kind abspricht, sondern indem man für die Kinder da ist und ihre Sorgen ernst nimmt.
Schulte-Markwort erklärt das an einem Beispiel von Anna Freud, einer wichtigen österreichisch-britische Psychoanalytikerin und Tochter Sigmund Freuds im Zweiten Weltkrieg:
Der Psychologe empfiehlt Eltern also, nicht als Trost zu behaupten, es werde schon nichts passieren, sondern ehrlich zu sein und beispielsweise zu sagen: "Es kann was passieren. Aber du kannst dir sicher sein, dass wir immer alles dafür tun, dass uns nichts passiert."
Ab wann ein Kind wirklich bereit für solche ernsten Gespräche ist, ist dabei höchst individuell und hängt davon ab, für welche Themen es sich schon interessiert. "Mit einem Vorschulkind oder mit einem Kind, das gerade eingeschult ist, würde ich wahrscheinlich nicht drüber sprechen, weil es das wahrscheinlich auch gar nicht mitkriegt", sagt Schulte-Markwort zu watson.
"Aber immer dann, wenn ein Kind zum Beispiel auch Gespräche von Erwachsenen mitbekommt oder zufällig am Fernseher vorbeiläuft und da Panzer schießen sieht, dann muss man klarstellen, dass das die realen Bilder sind. Dann heißt das: Ja, in einem Land, das ziemlich weit weg ist, da passiert das gerade." Sein Tipp: "Kinder mit einzubeziehen ist ganz entscheidend und wichtig."
Auch in der eigenen Praxis und in der Klinik hat der Psychologe und seine Kollegen und Kolleginnen den Ukraine-Krieg mit den Kindern proaktiv besprochen. Er empfiehlt auch allen Lehrern und Lehrerinnen einen proaktiven Umgang mit dem Thema: "Die Kinder müssen erleben, wie wir damit umgehen. Und wir verleugnen das nicht und wie sind nicht in Angststarre verfallen."
Im Vorfeld dieser Besprechung mit den Kindern hätten sich aber erst einmal die Erwachsenen getroffen, um sich über ihre eigenen Haltungen klar zu werden, wie Schulte-Markwort erklärt. Die Reaktionen der Kinder zum Thema seien dann auch überwiegend gut gewesen, also "ernst und sachlich".
"Die Kinder haben auch von uns dadurch das Gefühl vermittelt bekommen: Wir kümmern uns. Das heißt, wir wollen dafür Sorge tragen, dass wir alle verantwortlich damit umgehen", so der Psychiater abschließend.