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Inklusion: Mit Prothese zum Traumjob – Pferdewirtin über ihren Werdegang

Siglind Koehler
Wer täglich mit Pferden arbeitet, muss körperlich fit sein.Bild: Ottobock / Tim Kasper
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Leben mit Prothese: Nach der Amputation zurück in den Traumjob

Mit Anfang 20 verlor Siglind ein Bein. Ihr Leben war plötzlich ein anderes. Statt als Pferdewirtin zu arbeiten, sollte sie ins Büro. Doch Hinnehmen kam für sie nicht infrage. Im Interview mit watson erzählt sie, wie sie gegen Schmerzen, Vorurteile und Behörden kämpfte und warum eine Reise nach Südafrika alles veränderte.
27.07.2025, 15:0927.07.2025, 15:21
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Watson: Siglind, du hast dein Bein bei einem Unfall verloren. Wie war die erste Zeit nach der Amputation und die Umstellung auf eine Prothese?

Siglind: Das war natürlich ein Schock. Ich bin im Krankenhaus aufgewacht, total unter Schmerzmitteln – und als die Decke weggezogen wurde, war da nur noch ein eingepackter Stumpf. Es hat eine Weile gedauert, bis das überhaupt wirklich bei mir ankam. Ich war anfangs im künstlichen Koma. Zwei Tage nachdem ich wieder wach war, kam jemand vom Sanitätshaus, hat mir eine Prothese gezeigt und meinte, so etwas bekomme ich auch. Ich wusste überhaupt nicht, was da auf mich zukommt.

Und was kam dann auf dich zu?

Mein Stumpf war sehr lange offen, über ein Jahr hat es gedauert, bis alles verheilt war. Trotzdem habe ich sehr früh mit Physiotherapie begonnen – direkt im Krankenhaus. Ich hatte von Anfang an diesen inneren Antrieb: Ich wollte schnell wieder laufen. Ich war vorher schon ein sehr aktiver Mensch, das hat mir sicher geholfen. Natürlich hatte ich starke Schmerzen, Phantomschmerzen, Nervenschmerzen – das volle Programm. Aber mein Wille war da. Und auch meine Familie und Freund:innen haben mich sehr unterstützt. Das hat vieles leichter gemacht.

Zum Zeitpunkt des Unfalls warst du als Pferdewirtin tätig. In Deutschland konntest du diesen Beruf aber erstmal nicht mehr ausüben. Was war der Grund?

Mir wurde gesagt, dass ich für körperlich anstrengende Berufe nicht mehr geeignet bin. Ich musste zu einem Amtsarzt, und seine Empfehlung war klar: am besten ein Bürojob. Für mich war das ein Schock, ein Bürojob passt überhaupt nicht zu mir. Ich habe dann tatsächlich eine Umschulung gemacht, aber immer mit Bauchschmerzen. Ich wusste, das kann ich nicht bis zur Rente machen.

"Zuerst musste ich zum Betriebsarzt. Der erste Satz, den er zu mir sagte, war: 'Für Sie sehe ich schwarz.' Das saß natürlich erstmal."

In einem Bürojob bist du schlussendlich nicht gelandet – wie ging es beruflich für dich weiter?

Dann kam ein Bekannter ins Spiel. Er war nach Südafrika ausgewandert. Ich bin kurzerhand dorthin geflogen – einfach mal schauen, was geht. Und dort war das Arbeiten mit Pferden plötzlich gar kein Problem. Die Leute haben mich einfach machen lassen. Klar, auch da gab es Rückschläge – Entzündungen im Stumpf, Schwellungen – aber ich konnte den Beruf ausüben, den ich liebe. Diese Möglichkeit hat mir in Deutschland niemand gegeben.

Du hast dort auch Para-Rudern gemacht – sogar auf internationalem Niveau?

Genau. In Südafrika hat mich ein Trainer im Fitnessstudio angesprochen, ob ich nicht Lust hätte, es mal auszuprobieren. Ich war dann schnell gut genug für die Nationalmannschaft. Für die Paralympics 2008 hätte ich allerdings die südafrikanische Staatsbürgerschaft annehmen müssen – das wollte ich nicht. Also bin ich zurück nach Deutschland, habe Kontakt zum Bundestrainer aufgenommen, wurde eingeladen und habe mich durchgebissen. Das war eine intensive Zeit, aber auch unglaublich bereichernd.

Heute arbeitest du als Pferdewirtin bei der Polizeireiterstaffel in Hannover. Das klingt nach einem anspruchsvollen Job. Wie lief der Bewerbungsprozess ab?

Zuerst musste ich zum Betriebsarzt. Der erste Satz, den er zu mir sagte, war: "Für Sie sehe ich schwarz." Das saß natürlich erstmal. Aber ich habe mich nicht abschrecken lassen. Ich musste ein paar Tests machen, Reflexe zeigen, Gleichgewichtsübungen – eher einfache Dinge. Die Angst war groß, dass ich den körperlichen Anforderungen nicht gewachsen bin. Aber ich bin seit 2010 dort angestellt, tariflich – und es funktioniert wunderbar. Ich mache alles, was dazugehört, ohne eine Extrabehandlung: Stall ausmisten, Pferdepflege, Longieren, Spaziergänge. Klar ist das anstrengend, aber es geht.

Siglinds Alltag besteht aus viel körperlicher Arbeit.
Siglinds Alltag besteht aus viel körperlicher Arbeit.Bild: ottobock / tim kaspar
"Das Wichtigste ist, an sich selbst zu glauben. Man hat oft keine Ahnung, wie stark man wirklich ist – bis man in eine Situation kommt, in der man es sein muss."

Wie sieht dein Arbeitsalltag konkret aus?

Im Frühdienst stehe ich kurz nach vier Uhr auf und arbeite bis etwa 14 Uhr. Danach geht es direkt weiter zu meinem eigenen Pferd. Im Spätdienst beginnt der Tag später, aber ich bin trotzdem von früh bis spät auf den Beinen. An manchen Tagen kommen sogar 60.000 Schritte zusammen. Ich gehe auch oft zwei Stunden mit meinem Pferd im Wald spazieren – das summiert sich dann schnell.

Erinnerst du dich noch an das Gefühl, zum ersten Mal nach dem Unfall wieder auf einem Pferd zu sitzen?

Oh ja. Es war total komisch. Ich hatte das Gefühl, gleich umzukippen – weil das Gewicht auf der rechten Seite ja fehlt. Mein bester Freund hat mir damals geholfen. Ich fühlte mich komplett schief, aber das Pferd hat erstaunlich schnell verstanden, dass da was anders ist. Anfangs war es ungewohnt, aber dann kam das Körpergefühl zurück – und sogar schneller, als ich dachte.

Du bist körperlich extrem gefordert. Wie sorgst du dafür, dass du langfristig fit und gesund bleibst?

Ich mache viel Ausgleichssport. Ich achte gezielt auf Rücken, Rumpf und Beine. Das muss sein, weil meine Belastung so einseitig ist. Auch bei der Arbeit selbst sehe ich vieles als Training, ob das nun Schubkarre schieben oder Heuballen ziehen ist. Ich mache die Bewegungen bewusst und achte dabei auf meine Haltung. Und ich mache das gern. Ich zwinge mich nicht zum Sport – ich freue mich drauf.

Bei so viel Bewegung spielt die richtige Prothese eine große Rolle. Wie war das bei dir?

Ich bin jetzt seit 24 Jahren amputiert und habe im Laufe der Zeit einige Modelle durch. Die erste war eine einfache mechanische Prothese – da war nichts mit Dämpfung oder Bremse. Dann kam der Umstieg auf ein besseres Modell, das Genium X3 – das war schon ein Quantensprung. Im Rahmen eines Projekts habe ich mal das neuere X4 getestet, damit kann man tatsächlich joggen und das fehlt mir sehr. Aber die Krankenkasse sagt, mein X3 ist aktuell noch zu gut in Schuss, um ein neues Modell zu bekommen. Ich muss mich noch ein paar Jahre gedulden.

Zu Siglinds Prothese:
Siglind trägt das Genium X3, ein mikroprozessorgesteuertes Prothesenkniegelenk mit intelligenter Sensorik, die in Echtzeit auf Bewegungen reagiert. Damit kann man mit größtmöglicher Unterstützung auf Treppen laufen, Hindernisse überwinden oder auch rückwärtsgehen.

Du wirkst sehr zielstrebig und kämpferisch. Was möchtest du Menschen mit auf den Weg geben, die durch eine ähnliche Situation müssen wie du?

Das Wichtigste ist, an sich selbst zu glauben. Man hat oft keine Ahnung, wie stark man wirklich ist – bis man in eine Situation kommt, in der man es sein muss. Man sollte nicht darauf warten, dass andere einem den Weg zeigen. Man muss ihn selbst gehen. Klar, es gehört auch Mut dazu, Risiken einzugehen. Man muss offen sein, was die Behinderung betrifft: Hilfe annehmen, darüber sprechen, sich nicht verstecken. Heute gibt es so viele Möglichkeiten, auch online – das war früher ganz anders. Ich finde, man sollte zeigen, was möglich ist. Und nicht vergessen: Es darf schiefgehen. Aber es kann auch funktionieren. Und genau das lohnt sich.

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