Mikro-Chips in der Corona-Impfung und Bill Gates als Drahtzieher der Pandemie? In Verschwörungskreisen kursiert allerhand Kurioses.Bild: iStockphoto / nicoletaionescu
Interview
17.12.2021, 13:4517.12.2021, 15:25
Bedrohliche Fackelzüge vor Privathäusern und Mordpläne an sächsischen Politikern: Verschwörungsideologen sind längst nicht mehr nur lustige Aluhut-Schwurbler, sondern eine konkrete Gefahr für unsere Demokratie und unser Leben. Denn Experten sehen eine Vermischung der Anti-Corona-Bewegung mit Rechtsextremisten: Nach der Demo von Corona-Maßnahmengegnern im sächsischen Freiberg ermittelt die Polizeidirektion Chemnitz gegen mutmaßlich rechtsextreme Rädelsführer. Bei der Demonstration nahm die Polizei eine Gruppe von 24 Personen fest, die "durchaus als gewaltgeneigt und rechtsgerichtet einzuordnen" sei, sagte eine Sprecher der Polizei dem Nachrichtenportal t-online.
Wie sehr hartnäckige Querdenker und Corona-Leugner nicht nur unsere Gesellschaft, sondern auch Familien- und Freundeskonstellationen auf die Probe stellen, erleben viele Menschen am eigenen Leib.
Wir sprechen mit Niklas Vögeding, einem Berater des Vereins für Bildungsarbeit, Cultures Interactive. Vögeding berät in dessen Berliner Projekt "Veritas" Menschen, deren Angehörige an Verschwörungserzählungen glauben.
Herr Vögeding: Sollte man mit Verschwörungsgläubigen und -ideologen überhaupt noch reden?
Niklas Vögeding: Ja, insbesondere im privaten Kontext auf jeden Fall. Angehörige können eine Art Brückenfunktion übernehmen. Wir sprechen oft von der Metapher: Die Personen können es schaffen, die Tür nach draußen einen Spalt offen zu lassen. Sie können quasi eine Hand reichen, denn letztlich kann man zwar niemanden zwingen, sein Weltbild zu ändern, aber man kann ein Angebot machen. Aber auch nur, soweit man selbst dazu in der Lage ist. Das ist ganz, ganz wichtig, denn wenn Personen sagen: "Ich schaff das nicht. Das ist für mich zu aufreibend, ich leide da selbst zu sehr drunter", dann werden auch die Erfolgschancen geringer.
Niklas Vögeding hilft Menschen, die in ihrer Familie mit Verschwörungsgläubigen zurecht kommen müssen.privat
Sie betreuen mit Ihrem Verein Menschen, deren Angehörige an Verschwörungsideologien glauben. Uns würde interessieren, ob diese Fälle zugenommen haben.
Ob das zugenommen hat, ist gar nicht so leicht zu beantworten angesichts der Tatsache, dass es uns erst seit Anfang dieses Jahres gibt, wir also quasi mitten in der Pandemie gestartet sind und unser Angebot erst seit Mai für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Was man aber sagen kann, ist, dass es seitdem eine unglaublich starke Nachfrage gibt: Wir haben seit Mai über 450 Beratungsanfragen bei nur zwei Vollzeitstellen erhalten. Das heißt, dass wir auch versuchen, Betroffene an andere Stellen vor Ort und in ihrem Bundesland weiter zu verweisen. Sollte das klappen, ist das gut. Sollte das nicht klappen, haben wir eine Warteliste, wo es tatsächlich gerade leider mehrere Monate dauert, bis man einen ausführlichen Beratungstermin bekommt. Das liegt daran, dass wir in unserer Beratung auch auf Langfristigkeit setzen, da ist es also nicht mit einem zehnminütigen Telefonat getan, sondern es kann auch schon mal sein, dass wir fünf bis acht Beratungssitzungen mit einer oder einem Betroffenen machen, so dass sich das natürlich in die Länge ziehen kann.
"Menschen die an eine Verschwörungserzählung glauben, glauben mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auch an andere."
Wie oft haben diese Verschwörungstheorien ganz konkret mit Corona zu tun?
Tatsächlich würde ich sagen, fast alle verschwörungsideologischen Äußerungen, die uns zugetragen werden, haben momentan mit Corona im weitesten Sinne zu tun. Es gibt natürlich auch noch unterschiedliche andere Verschwörungserzählungen – viele haben was mit Impfen zu tun. Das sind unterschiedliche Ausprägungen. Was man aber sagen muss und das ist auch empirisch nachgewiesen: Menschen die an eine Verschwörungserzählung glauben, glauben mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auch an andere.
Warum ist das so?
Man fängt bei einer konkreten Verschwörungstheorie an und dann kommt man in einen Strudel und fängt an, auch andere zu glauben. Was man aber auch dazu sagen muss – und das ist auch empirisch ganz gut belegt – dass die Anzahl von Verschwörungsgläubigen in Deutschland kaum gestiegen ist seit der Corona-Pandemie. Das heißt, die Menschen waren auch vorher offen für Verschwörungserzählungen.
Die Anzahl von Verschwörungsgläubigen ist kaum gestiegen ist seit der Corona-Pandemie? Das können wir nur schwer glauben...
Dass Corona-Verschwörungserzählungen gerade so ein präsentes Thema sind, erklären wir uns unter anderem dadurch, dass man gezwungen ist, diese konkreten Erzählungen auch zu formulieren. Also zum Beispiel: Der Mundschutz wird zu einer politischen Angelegenheit. Lasse ich mich impfen oder nicht? Das sind Fragen, die man öffentlich rechtfertigen muss. Diese Rechtfertigungen sind nicht selten verschwörungsideologisch und deswegen wird das Thema viel präsenter. Man kann sagen, die verschwörungsgläubigen Leute sind nicht unbedingt mehr, sondern lauter und präsenter im Alltag geworden. Es gibt sogar eine aktuelle Studie, die besagt, dass die Menschen, die an Verschwörungsmythen in Bezug auf Corona glauben, seit dem letzten Jahr sogar weniger geworden sind – von 14 Prozent der deutschen Bevölkerung auf circa 9 Prozent.
"Fast alle verschwörungsideologischen Äußerungen, die mir begegnen haben momentan mit Corona im weitesten Sinne zu tun."
Wie sieht denn die Betreuung der Angehörigen von Verschwörungserzählungen aus? Wie kann man da helfen?
Wir verstehen uns in erster Linie als psychosoziales Angebot. Allerdings ist das auch eine schwierige Trennung, denn Verschwörungstheorien oder -erzählungen haben natürlich auch immer eine politische und ideologische Dimension, die man bei der Beratung nicht vernachlässigen darf. Nichtsdestotrotz ist es so, dass bei uns vor allem Angehörige oder Freunde des Familienmitglieder aufschlagen, mit einer emotionalen Bindung zu den Personen. Oft wollen sie einfach wieder normal mit ihrem Vater oder ihrer Mutter reden können. Man muss von Beratung zu Beratung schauen, da sind wir sehr am Einzelfall orientiert. Allerdings kann man schon sagen, dass es erst einmal darum geht, den eigenen Leidensdruck der Personen, die da bei uns aufkreuzen, irgendwie zu verringern. Da gibt es verschiedene Techniken und Mechanismen, denn Menschen, die einen sehr hohen Druck verspüren und sehr gestresst sind, wird es auch schwer fallen, adäquat ins Gespräch mit den Angehörigen zu gehen. Das heißt, man muss da erst mal für Entlastung sorgen.
Und wie kann man das konkret erreichen?
Für eine persönliche Entlastung sorgt häufig schon, dass Angehörige ein anderes Verständnis für die Verschwörungsgläubigen kriegen. Da geht es dann oftmals weniger um moralische Fragen – die spielen zwar auch immer eine Rolle –, aber oftmals geht es darum, dass die Angehörigen erst einmal die Motive verstehen, warum eine Person Verschwörungsideologien verfällt. Dieses Verständnis wiederum kann zu einer Stabilisierung in der Beziehung führen, die erst die Grundlage dafür ist, damit Verschwörungsgläubige den Impuls verspüren, sich von diesen Erzählungen zu distanzieren. Dieser Impuls kommt, wenn ich mich sicher fühle, wenn ich kein Gefühl mehr von Ohnmacht habe, also wenn da keiner ist, der mich dafür beschämt, wenn ich sage: "Ich habe mich da geirrt." Denn so ein Zugeständnis ist natürlich etwas Schambesetztes. Je tiefer ich drin bin, desto schwieriger wird es, da wieder rauszukommen. Und wenn da eine Person ist, bei der man das Gefühl hat, dass sie einen total verurteilt, wird es natürlich noch schwieriger.
Welche Tipps geben Sie, um einen Verschwörungsgläubigen zu überzeugen?
Zunächst versuchen wir niemanden zu "überzeugen". Es geht zunächst um die Frage von eigenen Grenzen und die Frage: Was will man dann eigentlich erreichen und wo will man hin? Geht es beispielsweise darum, eine friedliche Trennung herbeizuführen? Oder geht es darum, den Kontakt mit der Person wieder aufzunehmen oder zu verstärken? Geht es darum, ihr auch noch mal die Möglichkeit einer anderen Weltdeutung zu geben? Das sind ja alles unterschiedliche Ziele, auf die man dann in der Beratung hinwirken kann.
Im brandenburgischen Königs Wusterhausen tötete Anfang Dezember ein Querdenker, der auch Impfgegner war, sich und seine Familie.Bild: dpa / Fabian Sommer
Wie geht es dann konkret weiter?
In einem zweiten Schritt gucken wir uns die Kommunikation zwischen den beiden Personen an oder zwischen den Partnern, also zwischen der beratungsnehmenden Person und den Angehörigen. Denn oftmals ist es so, dass sich da Muster etabliert haben, die dazu führen, dass man sich gar nicht zuhört: Man glaubt, man weiß schon, was die andere Person sagen und wie man reagieren wird und dann werden schnell Mauern hochgezogen. Das führt zu einer Eskalationsspirale, die überhaupt nicht zuträglich ist. Das heißt, bei der Beratung reflektieren wir eingefahrene Kommunikationsmuster und gucken: Was kann man da anders machen? Wie kann man einen Irritationsmoment setzen, ohne eine Eskalation herbeizuführen? Wenn man plötzlich mal ganz unerwartet reagiert auf eine Aussage, dann wird die andere Person plötzlich hellhörig. Und dann gibt es vielleicht einen Raum, in dem man anders ins Gespräch gehen kann und will.
"Verschwörungstheorien sind da Problemlöser, die geben dem Menschen die Kontrolle zurück."
Und in der letzten Phase?
In der dritten Phase gucken wir: Welche psychologischen Motive stecken eigentlich für die Verschwörungsgläubigen dahinter? Was gibt ihnen die Verschwörungsgläubigkeit? Das sind oftmals Dinge, wie die Kompensation von Ohnmachtserfahrung. Ein ganz dezidiertes Motiv ist der Umgang mit Kontrollverlust: Wir haben alle in der Pandemie eine Form von Kontrollverlust erfahren. Das mag sich im Politischen äußern, also im fehlenden Vertrauen in demokratische Strukturen. Das kann aber auch auf der ganz persönlichen Ebene sein. Etwa, wenn ich meinen Job verloren habe oder ich einen Angehörigen durch Corona verloren habe und damit nicht umgehen kann...
Persönliche Schicksalsschläge erhöhen also die Wahrscheinlichkeit, an Verschwörungsideologien zu glauben?
Genau. Verschwörungstheorien sind da Problemlöser, die geben dem Menschen die Kontrolle zurück. Man weiß plötzlich, was andere nicht wissen, getreu dem Motto: "Ich habe das Lügenwerk des Bösen decodiert". Und da gucken wir hin und fragen: Wie kann man diese Bedürfnisse, die durch diese Verschwörungserzählung gestillt werden, anderweitig befriedigen? Was kann man dafür Alternativen, Äquivalente schaffen? Natürlich immer nur, sofern es denn die Person möchte. Denn es ist immer die Frage ob die Person, die da vor uns sitzt, bereit dafür ist. Wir respektieren jeden, der sagt: Eigentlich will ich das nicht, dafür habe ich keine Kraft.
Wie groß ist denn die Chance, dass man diesen Leute da wieder aus Verschwörungserzählungen heraushelfen kann? Lohnt sich all der Ärger überhaupt?
Was in der Regel nicht passieren wird, ist, dass man ein Beratungsgespräch hat und dann kriegt man einen Zaubertrick verraten, und dann denken sich die Leute: "Ach, ich habe ja Unsinn erzählt, jetzt glaube ich nicht mehr an Verschwörungstheorien." Das wird aller Regel nach nicht passieren. Das heißt, wenn man Hoffnung auf Erfolg haben will, muss man sich darauf einstellen, dass es ein langer und anstrengender Prozess ist, der auch immer wieder Rückschläge erfahren wird. Der Prozess ist ganz oft wellenförmig und das führt natürlich auch zu Frustration. Man denkt sich: Jetzt bin ich so weit gekommen und jetzt fängt die Person schon wieder an, etwa weil eine neue konkrete Ohnmachtserfahrung gemacht wurde.
Onlinepanel vom 13. November 2021 mit Micha Brumlik, Annika Brockschmidt und Niklas Vögeding Moderation: Christiane Mudra. Die Diskussion ist Teil des Rahmenprogramms zur Theaterproduktion "Der Schlüssel. Zufall? Verschwörung? Mashup?" Video: YouTube/Christiane Mudra Also wird man die Person nie ganz aus dem Dunstkreis der Verschwörung rauskriegen?
Wir haben Erfahrungen damit gemacht, dass unsere Arbeit insofern wirksam ist, als dass die Verschwörungserzählung oder die -gläubigkeit eine geringere Rolle spielen, in der Drastik abnehmen und das wieder ein normales Zusammenleben möglich wird. Das heißt nicht unbedingt, dass die Personen sofort nicht mehr Verschwörungserzählungen zugeneigt sind. Es gibt natürlich auch Leute – darüber gibt es ja auch Berichte – die sagen: "Ich habe mich da wirklich in Etwas verrannt. Ich brauche Hilfe." Und gleichzeitig muss man sagen, bei anderen Leuten wird es vielleicht auch nicht funktionieren. Und dann ist es auch legitim, den Kontakt abzubrechen. Das steht ja jedem frei.
"Mit diesem 'Fakten-Pingpong', wie wir es nennen, kommt man ab einem gewissen Punkt nicht mehr weiter."
Jetzt haben Sie ja schon gesagt, dass es eine lange Warteliste gibt. Hätten Sie denn so eine Art Erste-Hilfe für Betroffene, die das gleiche Problem haben und vielleicht noch keinen Ansprechpartner?
Das kommt auf den Kontext an, es ist schwer, da pauschale Ratschläge zu geben. Aber es gibt auf unserer Homepage acht Tipps, die einen allgemeinen Rahmen geben. Also ich würde immer sagen, der erste Schritt muss sein, sich zu fragen: Was will ich überhaupt? Was will ich erreichen bei meinem Angehörigen und wie viel kann ich leisten? Also die eigenen Grenzen zu erkennen und wahrzunehmen. Beim zweiten Schritt ist es wichtig, einen festen Rahmen zu haben, wenn man ins Gespräch geht. Also zu sagen, wir setzen uns jetzt mal zusammen und quatschen mal darüber statt das Gespräch durch zwei Türen durchzuschreien. Bei manifest Verschwörungsgläubigen – also nicht bei Leuten, die skeptisch und unsicher sind oder nicht so richtig die Medien einschätzen können, sondern von denjenigen, wo das wirklich ein Weltbild ist – bei denen kommt man mit Fakten nicht mehr weiter.
Warum nicht?
Das führt dazu, dass jedes Gegenargument zum Argument für die Verschwörungstheorie umgedeutet wird. Das kann im schlimmsten Fall so weit führen, dass man selbst Teil der Verschwörung wird. Dann ist es natürlich sehr schwierig, wenn die glauben, meine Neffe ist Teil der Verschwörung und wird von Bill Gates bezahlt. Mit diesem "Fakten-Pingpong", wie wir es nennen, damit kommt man ab einem gewissen Punkt nicht mehr weiter. Denn es gibt Leute, die sich letztendlich 10 Stunden am Tag am PC damit auseinandersetzen und die Zeit haben, die viele andere Leute nicht haben.
Also sollte man lieber mit Gefühlen statt Fakten argumentieren?
Genau. Deswegen sagen wir immer, die Leitfrage muss sein: Was steckt dahinter? Welche Bedürfnisse erfüllt die Verschwörungserzählung auf der emotionalen Ebene? Man muss verständnisvoll sein für die Motive, die dahinter stecken (das heißt aber nicht, verständnisvoll für die konkrete Verschwörungserzählung sein zu müssen). Eine Frage könnte zum Beispiel sein: "Hey wir merken beide, dass wir uns in letzter Zeit mehr streiten, das wollen wir ja beide nicht. Wie könnten wir denn dahin kommen, dass es wieder anders wird?" Dann gibt es gar keinen Raum für Fakten-Diskussionen, sondern man redet schnell über eigene Gefühle und eigene Sorgen. Und man merkt, man hat vielleicht auch etwas gemeinsam, nämlich, dass man sich eigentlich wünscht, einen guten Kontakt zu haben. Wenn man sich sicher fühlt, dann kann man auch ab einem gewissen Zeitpunkt etwa die Frage stellen: Könntest du dir denn überhaupt vorstellen, dass es auch eine andere Sichtweise gibt als deine? Also die Frage: Bist du bereit, eine andere Sichtweise zu akzeptieren? Oder geht es dir eigentlich nur darum, dass du etwas glauben kannst und dass du dagegen sein kannst.