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Interview

Darf ich wissen, ob mein Kollege geimpft ist? Eine Arbeitsrechtlerin klärt auf

Businesspeople wearing masks in the office and working on bigger distance for safety during COVID-19 pandemic
Impflicht am Arbeitsplatz? In Deutschland gibt es die noch nicht. Bild: E+ / Phynart Studio
Interview

Darf ich wissen, ob mein Kollege geimpft ist? Eine Arbeitsrechtlerin klärt auf

11.08.2021, 10:0811.08.2021, 13:02
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So langsam muss auch der letzte Büroangestellte zumindest hin und wieder am Arbeitsplatz erscheinen. Gleichzeitig kommen viele Kollegen aus dem Sommerurlaub im Ausland zurück. Für Menschen, die sich weiterhin um die Ausbreitung des Coronavirus sorgen, bleibt daher ein mulmiges Gefühl zurück: Sind meine Kollegen geimpft? Und was passiert eigentlich, wenn ich mich weiter weigere, mich immunisieren zu lassen?

Kaja Keller kennt diese Fragen. Sie ist Fachanwältin für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Gansel Rechtsanwälte in Berlin und sagt, die Corona-Pandemie habe nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Arbeitgeber stark verunsichert. Niemand will einen Corona-Ausbruch im Betrieb riskieren, aber eine Impfpflicht besteht auch nicht. Mit watson sprach die Juristin über die Zwickmühle, in der viele Chefs derzeit stecken – und eine mögliche Bevorzugung geimpfter Job-Anwärter.

Sie sagt:

"Solange die Rechtsfrage zur Impfpflicht sich nicht ändert, gehen viele Arbeitgeber auf Nummer sicher und setzen auf das Homeoffice."

watson: Wie ist die gesetzliche Lage zur Impfplicht am Arbeitsplatz derzeit in Deutschland?

Kaja Keller: Zur Zeit gibt es keine gesetzliche Grundlage für eine Impflicht am Arbeitsplatz. Ob man sich impfen lässt, ist eine höchstpersönliche Angelegenheit und kann nicht vom Arbeitgeber angeordnet werden. In Deutschland halten wir den Datenschutz und die Arbeitsrechte der Arbeitnehmer sehr hoch, das ist bei uns historisch bedingt und prinzipiell finde ich diese Arbeitnehmerfreundlichkeit auch begrüßenswert.

Das heißt, eine Impfpflicht auf der Arbeit ist hier nicht zu erwarten?

Eine indirekte Impfpflicht ist schon jetzt durchaus möglich. Wie gesagt: Niemand muss sich impfen lassen, das steht über allem. Aber auch der Arbeitgeber hat gewisse Fürsorgepflichten zu erfüllen, zum Beispiel gegenüber seinen anderen Mitarbeitern oder gegenüber vulnerablen Kunden oder Patienten. Er kann einer ungeimpften Person nicht einfach kündigen, aber wenn deren Tätigkeitsbereich ein zu hohes Infektionsrisiko mit sich brächte, kann der Arbeitgeber diesen Mitarbeiter in einen anderen Arbeitsbereich versetzen.

Woher wüsste der Arbeitgeber denn überhaupt, wer geimpft ist? Darf er das abfragen?

In den meisten Berufen nicht. Im Gesundheitswesen ist die Abfrage des Impfstatus aber zum Beispiel in einigen Bereichen zulässig, so wurde es durch das Infektionsschutzgesetz festgelegt. Allerdings darf der Mitarbeiter die Auskunft verweigern – was in der Praxis dann oft wie ein "Nein" aufgefasst wird.

Und wenn ich eine Kündigung erhalte, weil ich mich nicht impfen lasse?

Wenn es zu einer arbeitgeberseitigen Kündigung aufgrund einer fehlenden Impfung kommt, kann der Arbeitnehmer das vor Gericht bringen. Dann wird im Einzelfall geschaut, ob die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers in diesem speziellen Fall höher wiegt als die Rechte des Arbeitnehmers. Grundsätzlich wird der Arbeitgeber aber immer erst eine Lösung suchen müssen, um seinen Mitarbeiter weiterzubeschäftigen – wenn nötig vom Homeoffice aus.

"Das sind sicher klassische Streitfälle, die da in Zukunft auf uns zukommen werden."

Das ist aber in einige Berufen nicht möglich. Bei Pflegefachpersonal zum Beispiel.

Deshalb kann es in Einzelfällen schon sein, dass ungeimpftes Personal nicht mehr einsetzbar ist und dann seine vertraglich festgelegte Arbeitsleistung nicht mehr erbringen kann. Das sind sicher klassische Streitfälle, die da in Zukunft auf uns zukommen werden.

Wird ein Arbeitgeber dann nicht schon im Bewerbungsgespräch geimpften Bewerbern den Vorzug geben?

Ich vermute, dass dies in der Praxis tatsächlich passieren kann, denn ein ungeimpfter Mitarbeiter braucht unter Umständen eine Homeoffice-Ausstattung oder kann keine Dienstreisen ins Ausland wahrnehmen. Bei ähnlich qualifizierten Bewerbern könnte der Geimpfte da im Vorteil sein, weil seine Beschäftigung weniger aufwendig scheint. Das ist aber keine juristische Frage, sondern eher die Logik des Arbeitsmarkts.

Welche Rechte habe ich denn als Angestellter, wenn ich nicht neben Kollegen arbeiten will, die ungeimpft sind?

Die Offenlegung des Impfstatus unter Kollegen ist schon allein aufgrund des Datenschutzes nicht machbar, daher wird man im Zweifelsfall nie erfahren, ob der Sitznachbar geimpft ist. Mit begründeten Sorgen müsste sich ein Arbeitnehmer an seinen Vorgesetzten wenden, dann liegt es wieder am Arbeitgeber, Lösungen zu finden.

"Bei ähnlich qualifizierten Bewerbern könnte der Geimpfte im Vorteil sein, weil seine Beschäftigung unaufwendiger scheint."

Wie können solche Lösungen denn aussehen?

Solange die Rechtsfrage zur Impfpflicht sich nicht ändert, gehen viele Arbeitgeber auf Nummer sicher und setzen auf das Homeoffice. So gehen sie ihrer Fürsorge nach, ohne juristisch komplizierte Situationen zu riskieren. Besorgte Mitarbeiter haben so auch die Chance, zu sagen: "Ich komme nicht ins Büro, weil ich nicht weiß, ob die Kollegen geimpft sind." Ich glaube sowieso, dass Home- und Mobile-Office auch nach Corona noch eine wichtige Rolle in unserer Arbeitswelt spielen werden.

Einige Firmen im Ausland haben die Maskenpflicht im Büro aufgehoben, nur Ungeimpfte müssen diese noch tragen. Ist so etwas hier auch vorstellbar?

So eine Zwischenlösung ist in Deutschland nicht rechtlich umsetzbar, vermute ich. Die Maske wäre dann ja ein Erkennungsmerkmal für diese höchst persönliche Entscheidung, das verstößt gegen unseren Datenschutz.

Über Klinikpersonal sprachen wir. Aber auch Lehrer und Erzieherinnen sind derzeit besonders im Fokus. Muss sich diese Berufsgruppe auf eine Impfpflicht gefasst machen?

Meiner Meinung nach könnte diese Gruppe an Beschäftigten tatsächlich von einer Impfpflicht in Deutschland betroffen sein – wenn es denn überhaupt so weit kommt. Denn die Tatsache, dass Kinder unter 12 Jahren noch nicht geimpft werden können und daher zwingend auf den Herdenschutz ihrer Umgebung angewiesen sind, ist ein starker juristischer Gesichtspunkt, der höher wiegen könnte als das Persönlichkeitsrecht. Kindern wird zu Recht eine hohe Schutzbedürftigkeit eingeräumt. Außerdem gilt für Schul- und Kitapersonal ja schon seit März 2020 eine Impfpflicht nach dem Infektionsschutzgesetz – nämlich gegen Masern.

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