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Tinder führt neues Feature ein – entgegen der Gen-Z-Bedürfnisse

Das Logo von Tinder wird auf einem Smartphone angezeigt. Berlin, 26.02.2018. Berlin Deutschland *** The logo of Tinder is displayed on a smartphone Berlin 26 02 2018 Berlin Germany PUBLICATIONxINxGERx ...
Tinder steckt in einer Krise. Bild: imago/ Thomas Trutschel/photothek.net
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Von Vibes und Zentimetern: Tinder verliert Gen Z und weiß es

Verlieben auf Plattformen wie Tinder soll einfacher, smarter, relevanter werden – sagt das Unternehmen. Doch mit einem neuen Körpergrößen-Filter testet die App ausgerechnet ein Feature, das tief ins Beuteschema der Oberflächlichkeit greift.
30.05.2025, 16:1330.05.2025, 16:13
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Man kann dem Internet wirklich vieles vorwerfen, aber irgendwo zwischen dem Hass, Neid und ungefragten Penisbildern, zwischen Pixeln, Likes und Bits und Bytes, liegen manchmal sogar echte, tiefe Gefühle. Und irgendwo dort, im Scroll-Gemenge, so sagt man, soll sich sogar die wahre Liebe verstecken.

Heute verlieben sich Menschen beim gemeinsamen Laufen (Strava), beim gemeinsamen Nichtlaufen (Letterboxd), beim Hassen derselben Serienfigur oder beim Bewundern der gleichen Excel-Formel. Wo sie sich zunehmend weniger verlieben, ist auf den einst dafür geschaffenen Plattformen.

Verlieben ist demokratisiert, digitalisiert und dezentralisiert – nur leider nicht unbedingt einfacher geworden. Und so verspricht ausgerechnet die vielleicht bekannteste Dating-App der Welt neue Ordnung im romantischen Chaos. Mit einem Maßband.

Bei Tinder darf jetzt nach Größe ausgesiebt werden

Tinder-Nutzer:innen mit bezahltem Abo können in einem neuen Test künftig angeben, welche Körpergröße sie bei potenziellen Matches bevorzugen. Die Funktion wurde zunächst von einem Reddit-User entdeckt und später von der Plattform gegenüber "Techcrunch" bestätigt.

Die sogenannte height preference ist Teil eines globalen Tests – allerdings vorerst nur für Gold- und Premium-Abonnent:innen, nicht für Nutzer:innen der kostenlosen Version.

Laut Tinder handelt es sich dabei nicht um einen hard filter. Das heißt, die Präferenz beeinflusst zwar die Empfehlungen im Matching-Algorithmus, blockiert jedoch keine Profile. Die neue Funktion sei "ein großartiges Beispiel dafür, wie wir mit Dringlichkeit, Klarheit und Fokus entwickeln", erklärte Phil Price Fry von Tinder gegenüber "Techcrunch".

Es gehe darum, "Menschen bewusster zusammenzubringen". Die neuen Produktprinzipien des Unternehmens würden Entscheidungen leiten, mit dem Ziel, "smartere, relevantere Erfahrungen zu ermöglichen und die gesamte Kategorie weiterentwickeln können".

Während viele Dating-Apps Filter nach klassischen Kriterien wie Alter oder Beziehungsabsicht anbieten, betritt Tinder mit dem neuen Feature heikleres Terrain. Die Körpergröße ist seit jeher ein sensibles Thema in der digitalen Partnersuche, insbesondere in der heterosexuellen Konstellation. Auch wenn solche Ansprüche im Alltag oft relativiert werden, hat sich ein klarer Bias etabliert: Tall men only, so die inoffizielle Faustregel vieler Bios.

Tinder selbst hat in der Vergangenheit auf diesen, sagen wir, Trend, reagiert. 2019 kündigte das Unternehmen in einem Aprilscherz an, künftig eine height verification-Funktion einzuführen. Damals kam das nicht bei allen Nutzern (männlich) gut an. Designer wie Soren Iverson entwickelten satirische Prototypen, in denen Männer gegen Aufpreis Höhenanforderungen übergehen können. Nun wird aus der Parodie zumindest testweise Realität.

Tinder-CEO Spencer Rascoff möchte Gen Z zurückgewinnen

Parallel hat das Unternehmen einen Führungswechsel angekündigt: Spencer Rascoff, CEO der Match Group, soll ab Sommer auch Tinder leiten. Rascoff hatte sich zuletzt wiederholt zur strategischen Ausrichtung des Unternehmens geäußert – und dabei eine andere Richtung angedeutet.

"Tinder muss sich weiterentwickeln und innovativ sein, um bei jungen Nutzer:innen wieder den Nerv der Zeit zu treffen", sagte er dem "Wall Street Journal". "Wir wollen neue Wege schaffen, um neue Leute in ungezwungeneren Umgebungen kennenzulernen. Genau das wünscht sich die Generation Z."

Gen Z hat keine Lust mehr auf Tinder und Co.

Vor allem jüngere Nutzer:innen ziehen sich zunehmend aus dem klassischen App-Dating zurück. Laut einer Axios-Studie von 2023 verzichten 79 Prozent der US-Gen-Z auf regelmäßige App-Nutzung. Der britische Medienregulator Ofcom berichtete 2024 von einem Rückgang der Top-10-Dating-Apps um 16 Prozent – mit Tinder als stärkstem Verlierer.

In einem Aktionärsbrief räumte die Match Group ein, dass junge Menschen "eine niedrigschwelligere, authentischere Art der Kontaktaufnahme" suchten.

Rascoff selbst kritisierte das bisherige Modell: "Dieses oberflächliche Konzept – ein Foto anschauen und sofort urteilen – empfinden viele Menschen als unangenehm. Es sorgt oft dafür, dass sie sich schlecht fühlen."

Gen Z, so seine Analyse, wolle keine bloßen Profile durchwischen, sondern "viben" – sich intuitiv annähern, in Etappen, nicht im Zielmodus: "Sie legen mehr Wert auf den Prozess und die Erfahrungen unterwegs als auf ein festes Endziel."

Strukturelle Probleme von Tinder und Dating-Apps

Nur liegt das Grundproblem möglicherweise tiefer. Das Swipe-Prinzip von Tinder basiert auf den Belohnungsexperimenten des Psychologen B. F. Skinner, der Tauben durch per Zufall verstärkte Reize konditionierte. Das Prinzip: Ein Wisch nach rechts, ein kleines Dopaminfeuerwerk. Kein Match: nichts. Das Ergebnis ist ein digitales Verhaltenstraining mit Suchtpotenzial, aber wenig langfristiger Belohnung.

Hinzu kommt ein strukturelles Dilemma: Das Versprechen der Liebe steht in Widerspruch zum Geschäftsmodell. Wer Erfolg hat, löscht die App. Wer scheitert, bleibt. Dauerhafte Bindung heißt für Tinder: Bindung an das Produkt, nicht an die Person.

Vor diesem Hintergrund wirkt die Einführung eines optischen Sortierkriteriums wie ein Anachronismus. Zwar ist das Feature optional, doch es zielt erneut auf ein Matching entlang visueller Erwartungen.

Tinder selbst betont: Nicht jeder Test wird zu einem festen Bestandteil. "Aber jeder Test hilft uns dabei zu lernen, wie wir intelligentere, relevantere Erfahrungen liefern und die gesamte Kategorie weiterentwickeln können", sagt Phil Price Fry. Fürs Erste bleibt die Frage: Wer bestimmt eigentlich, wie hoch die Liebe hängt?

Liebe: Diese 4 Beziehungstypen gibt es – welcher bist du?
Warum klammern wir – oder rennen weg, sobald es ernst wird? Erklären lässt sich das oft dadurch, welcher Bindungstyp wir sind. Psycholog:innen unterscheiden vier unterschiedliche. Wer versteht, welchem Typ er entspricht, hat bessere Chancen, langfristig glücklich zu werden in einer Beziehung.

Für manche sind Beziehungen ein sicherer Hafen, für andere eine emotionale Achterbahnfahrt mit gelegentlichen Loopings. Warum wir in der Liebe so unterschiedlich ticken, lässt sich psychologisch ziemlich gut erklären – und zwar mit den Bindungstypen, die unser Liebesleben heimlich steuern wie ein unsichtbarer Beziehungsalgorithmus.

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