Viele monogam-lebende Menschen spielen früher oder später mit dem Gedanken, wie es wohl wäre, ihre Beziehung für noch mehr Personen zu öffnen oder sogar polyamor zu leben, also mehrere Liebesbeziehungen gleichzeitig zu führen.
Doch oft ist da auch Angst, weil es sich um unbekanntes Gefilde handelt: Könnte ich zwei oder mehr Menschen überhaupt gerecht werden? Wie spreche ich das Thema an? Wäre ich zu eifersüchtig?
Über genau diese Fragen klärt Saskia Michalski seit nunmehr vier Jahren auf Social Media auf. Saskia (they/them) lebt selbst nach einer monogamen Ehe polyamor und spricht unverblümt über die zahlreichen Stolperteile im Alltag, aber auch die Vorteile einer Liebe, die sich selbstbestimmt bewegt.
Im Gegensatz zur offenen Beziehung, die auch rein sexuelle Motive haben kann, geht es bei der Polyamorie ausdrücklich um Liebesbeziehungen zwischen mehreren Menschen – was es nicht immer einfacher macht.
Nun hat Saskia zu dem Thema ein Buch im Piper Verlag veröffentlicht mit dem Titel "Lieben und lieben lassen". Das Werk greift alle Facetten der Liebe und Selbstliebe auf und erobert direkt die Bestseller-Listen. "Ich wollte nicht das zehnte Nischenbuch verfassen, sondern Leuten helfen, ihr eigenes Skript für die Liebe zu schreiben", sagt Saskia.
Gerade für Menschen, die spüren, dass Monogamie nicht zu ihnen passt, aber ratlos sind, wie Polyamorie konkret funktioniert, kann die Lektüre dennoch ein guter Ratgeber sein. Denn natürlich ist Saskia selbst beim Weg aus der Monogamie in einige Fallen getappt und sagt: "Ich hoffe, dass die Leserschaft durch meine Fehler ein, zwei weniger Runden drehen muss, als ich..."
Watson hat sich mit Saskia über die Dos and Don'ts in nicht-monogamen Beziehungen ausgetauscht.
Wer eine ehemals monogame Beziehung umwandeln möchte, sollte weder sich noch jemand anderen dazu drängen, klar. Doch nicht immer denken wir bewusst darüber nach, was wir uns von unserem angestrebten Liebesmodell versprechen. Sich diese Frage zu stellen, sei aber essenziell, sagt Saskia:
Es sei zwar normal, dass meist eine:r der Beteiligten den Anstoß gibt, doch das Gegenüber muss ebenfalls vom neuen Konzept profitieren.
"Man braucht immer einen autonomen eigenen Benefit", sagt Saskia deutlich, "auch wenn das 'nur' mehr Zeit für ein Hobby ist. Irgendwas Eigenes ist wichtig. Denn egal, wie gut man es macht, eine monogame Beziehung zu öffnen, ist emotional anfangs anstrengend. Diese Phase der Anstrengung hört nur dann auf, wenn die Polyamorie allen Beteiligten guttut."
"Ich könnte das ja nicht! Ich wäre dafür zu eifersüchtig!", sind häufige Aussagen, die von außen über Polyamorie getätigt werden. Dahinter stehe ein Trugschluss, sagt Saskia. Nämlich der, dass es in Beziehungen mit mehreren Menschen keine Eifersucht gebe:
Der Wunsch, Eifersucht vollständig zu unterdrücken, käme, weil wir dieses Gefühl "mit einem unangenehmen Verhalten verbinden, dem Bedürfnis, Menschen einzuengen. Man kann aber auch Eifersucht empfinden, sich ihren Ursprung anschauen und dann loslassen", sagt Saskia.
"Ich bezweifle übrigens, dass man in der Monogamie weniger Eifersucht empfindet. Man muss nur weniger durch sie durcharbeiten."
Eigentlich sei der Umkehrschluss richtig. Gerade, wer sehr eifersüchtig sei und Verlustängste habe, könne langfristig von einer polyamoren Beziehung profitieren. "Weil man sich den Themen, die dahinterliegen, endlich stellt", sagt Saskia.
Polyamorie sei zu Beginn emotional anstrengend, aber eigentlich auch nur "weil man Dinge herunterspielt und damit die andere Person unnötig verletzt." Es sei daher wichtig, aufkommende Gefühle rechtzeitig miteinander zu teilen, zum Beispiel, wenn man sich fremd verguckt hat.
"Wie oft habe ich schon gesagt: 'Ach, wir verstehen uns nur gut.' Über Personen, bei denen ich hätte sagen müssen: 'Ich weiß noch nicht, wohin das führt, aber es fühlt sich nicht platonisch an'", berichtet Saskia. Man wolle eben "niemanden verletzen, niemanden verlieren, schämt sich zuweilen für die eigenen Gefühle."
Doch wer sich jetzt in Heimlichkeiten und Selbstbetrug verrennt, riskiert einen viel größeren Vertrauensverlust und verhalte sich unfair. Polyamorie sei ein gemeinsamer Prozess, in dem die Bedürfnisse aller Beteiligten einfließen müssen, von Beginn an – nicht erst, wenn vollendete Tatsachen geschaffen wurden. Oder wie Saskia es im Buch beschreibt:
Saskia stellt fest, dass nicht-monogame Beziehungsmodelle manchmal von einem Paar gestartet werden, weil dieses "sich nicht eingestehen will, dass sie sich eigentlich trennen möchten." Das sei aber kein guter Grund:
In solchen Fällen sei eine Trennung fairer. Nicht-monogam zu leben, sei etwas für Paare, die gut miteinander kommunizieren oder bereit sind, es zu lernen. "Offen über Bedürfnisse sprechen können, über Sex und Ängste, das sollte schon möglich sein", sagt Saskia gegenüber watson, "sonst wird es nämlich sauschwer."
Wenn Saskia selbst in die Vergangenheit reisen könnte, um etwas besser zu machen, wäre das jede Beziehung individuell zu gestalten. Das sei zugleich auch der umfassendste Rat:
Eine Art Schablone auf jede Beziehung zu legen und dann zu hoffen, dass die sich wieder und wieder benutzen lässt, obwohl man selbst, die Zeit und das Gegenüber sich geändert haben, funktioniere nicht, führe zu Irritation, Vergleichen und oft auch Streit.
Saskia: "Mit jeder Person muss das Beziehungsskript, die Regeln, die Kommunikation, der Sex neu gestaltet werden." Das gilt für Polyamorie übrigens genauso wie für Monogamie. Und eigentlich auch über die Liebe hinaus.