"Du hast mein Herz im Sturm erobert" oder "Ich habe mein Herz an dich verloren" – In Liebesdingen glauben die meisten Menschen, dass eines ihrer Organe ganz besonders viel mitzureden hätte. Johanna und Daniel Rosenkranz wissen es allerdings besser. Denn: In ihnen schlagen zwar die Herzen fremder Menschen, doch ihre Gefühle füreinander erzählen trotzdem von einer großen Liebe.
Das Ehepaar aus Freiburg lebt seit etwa zehn Jahren mit transplantierten Spenderherzen. Erst das hat ihnen eine Zukunft ermöglicht, mit der andere ganz selbstverständlich rechnen. Johanna ist 25, Daniel 28 Jahre alt. "Ein bisschen sind wir aber wie Rentner", sagt Daniel zu watson. "Wir brauchen alle zwölf Stunden Medikamente und werden schnell müde."
Trotzdem trauen sie sich sogar Flugreisen zu, waren zuletzt in Island, der Karibik, London und Paris. Für Aufschieben ist keine Zeit, das wissen beide, seitdem ihre Herzen streikten.
"Manche Gleichaltrigen verhalten sich arrogant gegenüber dem Leben, so nach dem Motto 'Ach ich bin noch jung. Das mache ich später'", sagt Johanna. "Wir haben aber beide früh gelernt, dass der Tod kommt – so oder so."
Johanna wächst mit einem Herzfehler auf, ist immer das Kind, das nicht beim Sport mitmachen kann, nicht Schwimmen lernt, nur kleine Strecken Fahrradfahren darf. "Klar, war ich manchmal traurig darüber. Aber ich kannte es auch nicht anders."
Mit 17 Jahren hat sie Vorhofflimmern, ihr Lungendruck erhöht sich – sie landet auf der Warteliste für ein neues Herz. Was, wenn du stirbst, fragt ihre Schwester sie. Und Johanna antwortet: Das ist dann ja in erster Linie euer Problem!
"Für mich war der Herzfehler in Ordnung, selbst das Sterben hatte ich inzwischen akzeptiert", sagt sie.
Daniel wiederum lebt 14 Jahre lang als gesunder Junge. "Dann wurden Herzrythmusstörungen entdeckt, eine Herzmuskelentzündung, nur noch 20 Prozent Leistung möglich, kein Sport mehr – das war ein großer Schock", erinnert er sich. "Ich war ein Teenie und es hat mich genervt. Ich habe aber auch nicht begriffen, wie ernst es aussieht."
Bis es zwei Jahre später schlagartig bergab geht. Zuerst sind es nur Bauchweh, zwei Wochen später muss er in die Klinik, Herzstillstand, Reanimation, Koma. Daniel stirbt fast – als er einen Monat später wieder aufwacht, sagen die Ärzte, dass er unbedingt ein neues Herz braucht. Jetzt!
Weil beide jung sind, haben sie Glück: Schon nach etwa einem halben Jahr sind Spenderherzen für sie gefunden. Doch Transplantationen sind lebensgefährliche Eingriffe. Und selbst wenn sie gelingen, wird das neue Organ bei vielen Patienten noch im ersten Jahr wieder abgestoßen.
"Als ich in den OP geschoben wurde, sagte meine Tante: Wir sehen uns, wenn du wieder aufwachst. Und ich antwortete: 'Ja. Oder im Leichenschauhaus.' Das nimmt sie mir bis heute übel", erinnert Daniel.
Johanna wagt es auch nicht, sich zu freuen, erzählt sie. "Erst der Moment nach dem Aufwachen, da habe ich die Augen geöffnet und dachte: OK. Jetzt lebe ich."
Johanna und Daniel haben Glück, müssen aber auch lernen, mit den Spenderorganen klar zu kommen. "Vorher hatte ich immer kalte Hände und auf einmal waren die wieder warm, das war erstaunlich", erinnert Daniel. Neues Herz rein und los geht's?! So läuft es leider trotzdem nicht.
Johanna braucht länger, um das zu akzeptieren: "Ich habe immer noch Arzttermine, muss immer noch auf meinen Körper achten, verstehe ihn aber schlechter als vorher. Das ist frustrierend", erzählt Johanna. Beide sind für Menschen mit Spenderherzen noch ziemlich jung.
"Es hilft, dass Daniel all das versteht", sagt Johanna. "Das Problem mit anderen Männern war oft, dass ich schon mit 17 Jahren eine ernsthaftere Sicht auf das Leben hatte."
Auch deshalb kommen sie schnell ins Gespräch, als sie sich vor fünf Jahren bei einem "Transplantierten-Treff" begegnen, wie sie auch bei stern.de erzählen. Daniel hält einen Vortrag an der Uniklinik, danach gehen er und Johanna etwas trinken.
Die klassische Dating-Story beginnt. "Letztlich sind wir ganz normal", sagt Daniel. "Ich musste mich anfangs beim Flirten ziemlich reinhängen, sie war nicht so überzeugt. Aber wir passen gut zusammen – nicht nur wegen der Spenderorgane."
Beide haben einen ähnlichen Humor, kochen gerne und mögen Standardtänze. "Das war etwas, was ich früher nie machen konnte", sagt Johanna. "Deshalb hat mir Daniel einen Kurs zu Weihnachten geschenkt, vor etwa zwei Jahren. Und da gehen wir bis heute hin."
Die Liebe zueinander sitzt nicht in ihren Herzen, davon sind beide überzeugt. "Vielleicht kommt die aus der Seele oder so", sagt Johanna. "Was wir transplantiert bekommen haben, ist nur ein Organ. Da saßen nicht meine Gefühle drin." Per WhatsApp schicken sie sich zwar auch mal Herzchen hin und her, aber nur als Symbol.
Romantisch ist er dennoch, machte seinen Heiratsantrag 2016 klassisch auf Knien, ganz oben auf dem Münster Turm. "Ich hab extra gewartet, bis alle anderen Touristen weg waren. Sie sagte sofort: 'Ja! Und jetzt steh wieder auf!'"
Bei ihrer Hochzeit 2017 war selbst der Pfarrer den Tränen nahe. "Er habe sowas noch nie erlebt, sagte er uns später. Zwei Menschen mit neuen Herzen", erzählt Daniel. Vor der Kirche ließen sie Ballons mit Organspendeausweisen steigen. Sie wissen: Dass sie noch so viel Zeit miteinander verbringen können, haben sie auch Verstorbenen zu verdanken.
Der Gedanke, wer dieser Mensch sein könnte, beschäftigt Daniel manchmal. Er würde sich gerne anonym bei den Angehörigen bedanken, doch kennen lernen? Lieber nicht. "Was, wenn der Spender ein schlechter Mensch war? Oder was, wenn er ein guter Mensch war und ich Schuldgefühle entwickle? Was, wenn die Spenderfamilie zu viel von mir erwartet?", sagt er. "Ich denke, es gibt gute Gründe, warum das in Deutschland anonym ist."
Das Geschenk, das sie erhalten haben, ist konkret greifbar: Das sind Restaurantbesuche. Und Abende mit Freunden. Und Tage im Freibad. Vielleicht sogar irgendwann ein Kind. "Mal schauen", sagt Johanna. "Es wäre gefährlich, aber je eher wir es probieren, desto besser, meint der Arzt."
"Die Statistik zeigt, dass nach 10 Jahren nur noch die Hälfte von uns Transplantierten lebt. Man weiß einfach nie, wie lange man hat", ergänzt Daniel. Er kennt viele, die bereits gestorben sind, meist an den Folgen ihres schwachen Immunsystems, Krebs, Nieren- oder Leberversagen. "Deshalb leben wir beide nie so, als hätten wir ewig Zeit."
Letztens habe er sich zum Beispiel extra ins Freie gesetzt, nur weil der Himmel von blau auf lila und orange wechselte: "Es ist etwas seltsam für jemanden in meinem Alter, aber: Wer weiß denn, wie oft er so etwas noch sieht – so etwas Schönes."