Liebe Selten Allein,
entweder du gehst das wahnsinnig hohe Risiko ein, und weißt nach einer halben Stunde, ob das Treffen eine ganz, ganz schlechte Idee war und du jetzt lieber alleine im Open-Air-Kino sitzen würdest statt hier über der Rhabarberschorle. Oder du hast einen überraschend spritzigen Abend, an dem du eine interessante Person kennenlernst, die dir sonst entgangen wäre.
Ich persönlich finde nicht, dass wir "absichtlich" auf neue Freunde verzichten sollten, nur, weil der WhatsApp-Verlauf voll scheint.
Völlegefühl hin oder her: Ich verstehe schon, dass sich aktuell viele Menschen nicht mehr auskennen. Da gibt es ein paar enge Freunde und Bekannte vor Ort, ein paar Menschen, die wir nur zuhause wiedertreffen und eine Liste von Facebook-"Freunden" und Instagram-Followern, die auch ein Stück von uns in Anspruch nehmen.
Da prasseln Nachrichten von Fremden auf uns ein, die sich wegen eines Postings austauschen wollen, während wir selbst nicht schaffen, mit unserer ältesten Freundin in Berlin auf einen Kaffee zu gehen. Die Reaktion? Totale Abschottung. Handy aus, Decke über den Kopf – Netflix.
Klingt ungesund? Ist es auch. Jeder hat sein Kontingent an Allein-Tagen, die er in der Wohnung ausharren kann. Meiner liegt bei vier oder fünf, danach muss ich meine Nachbarn einladen. Oder mir anderweitig zu helfen willen.
Erst letztens hatte ich eine witzige Begegnung am Flughafen in Stockholm. Als ich dran war, meine Boardkarte vorzuzeigen, fiel mir auf, dass ich den Pass im Trolley versteckt hatte. Während ich die Schlange aufhielt und auf dem Boden nach meinem Pass kramte, erspähte ich eine Frau im äußeren Rand meines Blickwinkels, die ebenfalls die Schlange aufhielt.
A. arbeitete als selbstständige Fotografin. Erst heute morgen, so erzählte sie es mir, wartete sie im Facebook-Messenger auf eine dringende Nachricht von einem Kunden, den sie vor dem Flug nach Berlin in Södermalm treffen wollte. "He wrote me back like five minutes ago", sagte sie, meinen verständnisvollen Blick erwartend. Sie bekam ihn.
Wir redeten den gesamten Flug über. Wir erzählten uns von unseren Familien. Sie kam gut rum und lernte außergewöhnliche Menschen in allen Ländern Europas kennen. Was weniger gut lief, war ihr Bekanntenkreis im temporären Zuhause Berlin. Erst letztens, so A., hatte sie einen Haufen Menschen verloren, als sie ihre Affäre mit einem fünf Jahre jüngeren Franzosen beendete.
Es war, als ob uns Easyjet zusammengeführt hatte für einen größeren Zweck. Obwohl ich rational betrachtet "genug" (hier wären wir wieder beim Wort!) Freunde und Dates offen hatte, um die nächsten fünf Wochen vollzupacken, nahm ich mir vor, uns eine realistische Chance zu geben. Gegen Ende des Fluges tauschten wir Nummern aus und versprachen, in Kontakt zu bleiben.
Ich lud sie zu meiner Party am kommenden Samstag ein. Sie sagte zu – und kam dann doch nicht. Einen Monat und ein paar lustlose Nachrichten später trafen wir uns unverbindlich auf einer Vernissage. Ich war ernüchtert. A. war ständig auf dem Sprung, schüttelte Hunderte Hände – während ich gelangweilt an einer Cola nippte.
Hätte ich A. während der Ausstellung kennengelernt, ich wäre keine fünf Minuten interessiert gewesen. Und obwohl ich mir Mühe gab, konnte ich eines nicht fälschen: meine unendliche Müdigkeit, neue Freundschaften einzugehen, wenn sich der Aufbau wie beschrieben ereignete.
Ich ging früh nach Hause. These bestätigt. Vorerst.
Ein paar Wochen später, ich hatte eigentlich keine zu großen Erwartungen, traf ich mich mit einer Frau, die mir – so wie dir auch – schon öfters signalisiert hatte, dass sie mich gerne kennenlernen würde. Ich war nie drauf eingegangen. Bis zu diesem Wochenende, als ich wirklich Lust auf Neues hatte. Was für ein Glück.
Inzwischen hören wir uns beinahe jeden Tag, treffen uns sogar dann, wenn wir zeitgleich zuhause in Wien sind und unterstützen uns gegenseitig bei unseren Projekten.
Lange Story, langer Sinn: Es gibt zwei typische Szenarien und eine Million Abweichungen. Entweder, die Geschichte entwickelt sich, weil beide daran interessiert sind – oder nicht. Dort, wo A.s Effort nicht reichte, kam S. in mein vollgepacktes Leben und schaffte es trotz Rasmus und Lea und Sinah, zu bleiben.
Ich hoffe, du weißt jetzt, worauf du achten musst. Zuverlässigkeit – und ein bisschen Planung in deinem Terminkalender. Zumindest für die, die es wert sind.
xx, Bianca
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