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Liebe & Sex
25.09.2018, 19:2707.03.2019, 08:31
Hi!
Es gibt eine Person, die wohnt in meiner Nähe und schlägt immer wieder Treffen vor. Dass wir zusammen in den Park gehen könnten, oder mal etwas essen. Ich freue mich über die Nachrichten, aber in mir drinnen gibt es einen Widerwillen, tatsächlich zuzusagen.
Ich habe genug Freunde, die ich jetzt schon zu wenig sehe.
Klingt das blöd? Kann man überhaupt genug Freunde haben? Und: Was, wenn ich nur denke, dass ich genug Freunde habe, aber eigentlich schon bald alleine da stehen werde, weil ich immer wieder absage? Sollte ich vielleicht doch hingehen, die Person, um die es geht, ist an sich auch total nett.
Liebe Grüße
Selten Allein
Liebe Selten Allein,
entweder du gehst das wahnsinnig hohe Risiko ein, und weißt nach einer halben Stunde, ob das Treffen eine
ganz, ganz schlechte Idee war und du jetzt lieber alleine im Open-Air-Kino
sitzen würdest statt hier über der Rhabarberschorle. Oder du hast einen
überraschend spritzigen Abend, an dem du eine interessante Person kennenlernst,
die dir sonst entgangen wäre.
Ich persönlich finde nicht, dass wir "absichtlich" auf neue Freunde verzichten sollten, nur, weil der WhatsApp-Verlauf voll scheint.
Oder bist du einer dieser Menschen, die sich auch über "zu viel Pizza" beschweren, nur, weil der Bauch gerade voll ist?
Völlegefühl hin oder her: Ich verstehe schon, dass sich aktuell
viele Menschen nicht mehr auskennen. Da gibt es ein paar enge Freunde und
Bekannte vor Ort, ein paar Menschen, die wir nur zuhause wiedertreffen und eine
Liste von Facebook-"Freunden" und Instagram-Followern, die auch ein Stück von
uns in Anspruch nehmen.
Da prasseln Nachrichten von Fremden auf
uns ein, die sich wegen eines Postings austauschen wollen, während wir selbst
nicht schaffen, mit unserer ältesten Freundin in Berlin auf einen Kaffee zu
gehen. Die Reaktion? Totale Abschottung. Handy aus, Decke über den
Kopf – Netflix.
Klingt ungesund? Ist es auch. Jeder hat sein Kontingent an
Allein-Tagen, die er in der Wohnung ausharren kann. Meiner liegt bei vier oder
fünf, danach muss ich meine Nachbarn einladen. Oder
mir anderweitig zu helfen willen.
Erst letztens hatte ich eine witzige Begegnung am
Flughafen in Stockholm. Als ich dran war, meine Boardkarte vorzuzeigen, fiel
mir auf, dass ich den Pass im Trolley versteckt hatte. Während ich die Schlange
aufhielt und auf dem Boden nach meinem Pass kramte, erspähte ich eine Frau im
äußeren Rand meines Blickwinkels, die ebenfalls die Schlange aufhielt.
Auch sie hatte die Regeln gebrochen. Wir lächelten uns zu – und setzten uns an Bord nebeneinander.
A. arbeitete als
selbstständige Fotografin. Erst heute morgen, so erzählte sie es mir, wartete
sie im Facebook-Messenger auf eine dringende Nachricht von einem Kunden, den
sie vor dem Flug nach Berlin in Södermalm treffen wollte. "He wrote me back
like five minutes ago", sagte sie, meinen verständnisvollen Blick erwartend.
Sie bekam ihn.
Wir redeten den gesamten
Flug über. Wir erzählten uns von unseren Familien. Sie kam gut rum und lernte
außergewöhnliche Menschen in allen Ländern Europas kennen. Was weniger gut
lief, war ihr Bekanntenkreis im temporären Zuhause Berlin. Erst letztens, so A.,
hatte sie einen Haufen Menschen verloren, als sie ihre Affäre mit einem fünf Jahre jüngeren Franzosen beendete.
Ich erzählte meine Versionen ähnlicher Geschichten und so saßen wir beisammen, über den Wolken und fühlten uns wenn schon nicht immer von unserem Umfeld, dann zumindest jetzt in diesem Moment voneinander verstanden.
Es war, als ob uns
Easyjet zusammengeführt hatte für einen größeren Zweck. Obwohl ich rational betrachtet "genug" (hier wären wir wieder beim Wort!) Freunde und Dates offen hatte, um die nächsten fünf
Wochen vollzupacken, nahm ich mir vor, uns eine realistische Chance zu geben. Gegen Ende des Fluges tauschten wir
Nummern aus und versprachen, in Kontakt zu bleiben.
Freunde sind übrigens einfach die besten:
Ich lud sie zu meiner
Party am kommenden Samstag ein. Sie sagte zu – und kam dann doch nicht. Einen
Monat und ein paar lustlose Nachrichten später trafen wir uns unverbindlich auf
einer Vernissage. Ich war ernüchtert. A. war ständig auf dem Sprung,
schüttelte Hunderte Hände – während ich gelangweilt an einer Cola nippte.
Unsere Gespräche waren Verlängerungen bereits besprochener Ersteindrücke.
Hätte ich A. während der Ausstellung kennengelernt, ich wäre
keine fünf Minuten interessiert gewesen. Und obwohl ich mir Mühe gab,
konnte ich eines nicht fälschen: meine unendliche Müdigkeit, neue Freundschaften einzugehen, wenn sich der Aufbau wie beschrieben ereignete.
Ich ging früh nach
Hause. These bestätigt. Vorerst.
Ein paar Wochen später,
ich hatte eigentlich keine zu großen Erwartungen, traf ich mich mit einer Frau,
die mir – so wie dir auch – schon öfters signalisiert hatte, dass sie mich
gerne kennenlernen würde. Ich war nie drauf eingegangen. Bis zu diesem
Wochenende, als ich wirklich Lust auf Neues hatte.
Was für ein Glück.
Inzwischen hören wir uns beinahe jeden Tag, treffen uns
sogar dann, wenn wir zeitgleich zuhause in Wien sind und
unterstützen uns gegenseitig bei unseren Projekten.
Lange Story, langer
Sinn: Es
gibt zwei typische Szenarien und eine Million Abweichungen. Entweder, die Geschichte entwickelt sich,
weil beide daran interessiert sind – oder nicht. Dort, wo A.s Effort nicht
reichte, kam S. in mein vollgepacktes
Leben und schaffte es trotz Rasmus und Lea und Sinah, zu bleiben.
Ich hoffe, du weißt jetzt, worauf du achten musst. Zuverlässigkeit –
und ein bisschen Planung in deinem Terminkalender. Zumindest für die, die es
wert sind.
xx, Bianca
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Freunde können manchmal auch ziemlich... anstrengend sein:
Video: watson/Marius Notter, Julia Knörnschild, Lia Haubner
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Dann schick sie uns per Mail! mindfucked@watson.de
Bianca Xenia Jankovska...
...hat bisher in vier Städten in drei Ländern gewohnt, die Sicherheit einer Festanstellung gegen konstante Ungewissheit getauscht und dabei unter anderem gelernt, dass man nicht ewig gegen seine inneren Neigungen arbeiten kann, ohne unglücklich zu werden. Als freie Autorin und Bloggerin schreibt sie über Machtstrukturen und persönliche Kämpfe auf dem Arbeitsmarkt und Privilegien, die manchmal selbst enge Freunde entzweien. Ihr erstes Buch
"Das Millennial Manifest" erscheint im Herbst 2018.
Über die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) ist in Deutschland jahrelang diskutiert worden. Im Jahr 2021 wurde sie dann offiziell eingeführt, aber kaum jemand hat sie genutzt. Die Nutzung war nämlich bislang freiwillig und das Anmeldeverfahren eher kompliziert.