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Streik von Ärzten an Unikliniken: Medizinerin erzählt, wie schlimm die Lage ist

Aufgepasst! Hier schreibt unsere Kolumnistin Julia Saliger über ihre Sicht der Dinge über den Streik in Krankenhäuser.
Aufgepasst! Hier schreibt unsere Kolumnistin Julia Saliger über ihre Sicht der Dinge über den Streik in Krankenhäuser.Bild: shutterstock / studiostoks
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Ärzte streiken an Unikliniken: "Wir zweifeln an unserer Berufswahl"

Julia Saliger ist angehende Ärztin. In ihrer watson-Kolumne schreibt die 25-Jährige über ihr Leben, ihre Emotionen und ihre Erfahrungen zwischen Kittel, Klinik und Kaffeeküche.
10.03.2024, 14:01
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Deutschlands Ärzt:innen an Unikliniken streiken. Sie streiken für faire Arbeitsbedingungen, für ein angepasstes Gehalt, für die Abschaffung der 24-Stunden-Dienste.

Habt ihr gar nicht mitbekommen, oder?

Als vor ein paar Wochen die Bauern auf die Straßen gingen, gab's in Deutschland kaum ein anderes Thema. Im Radio, im Fernsehen, im Internet: Überall waren die Landwirt:innen zu sehen. Das mag an ihren großen Traktoren gelegen haben und vielleicht auch an einigen provokanten Aussagen und Aktionen.

Vor allem aber war's ein Streik, bei dem sich plötzlich alle betroffen fühlten. Weil wir die Auswirkungen womöglich im Geldbeutel spüren. Weil wir nicht mehr Geld für unsere Milch bezahlen wollen.

Julia Saliger macht in München ihr Praktisches Jahr. Hier findest du sie auf Tiktok.
Julia Saliger macht in München ihr Praktisches Jahr. Hier findest du sie auf Tiktok.bild: privat

Beim Personal in Krankenhäusern ist das offensichtlich anders. Mich wird das Gefühl nicht los, dass Mediziner:innen unterschwellig fast schon das Recht abgesprochen wird, zu streiken. Weil uns indirekt vorgeworfen wird, dass wir ja wussten, worauf wir uns da einlassen.

Dass wir nach fünf Jahren Studium ein Jahr unbezahlt in Vollzeit arbeiten, unmenschliche 24-Stunden-Dienste und Nachtarbeit leisten, Studierende als billige Arbeitskräfte verheizt werden und ganze Stationen chronisch unterbesetzt sind, spielt dabei keine Rolle.

"Dass dein:e Chirurg:in seit 18 Stunden auf den Beinen steht, wird erst relevant, wenn ein fataler Fehler geschieht."

Unsere Gesellschaft vergisst regelrecht, dass hinter medizinischem Personal Menschen stecken. Menschen, die ein Recht auf faire Arbeitsbedingungen haben und deren Beruf ihr Privatleben (zumindest nicht vollständig) vereinnahmen darf.

Dass dein:e Chirurg:in seit 18 Stunden auf den Beinen steht, wird erst relevant, wenn ein fataler Fehler geschieht.

Ich formuliere jetzt einmal deutlich: Dein Leben hängt im Ernstfall davon ab, ob und wie gut Ärzt:innen funktionieren.

Und frage jetzt provokant: Wäre es dir vielleicht nicht doch wichtig, dass das System endlich so aufgebaut wird, dass Mediziner:innen auch fit, wach und nicht völlig überarbeitet sind?

Praktisches Jahr: Ärzt:innen werden nicht optimal ausgebildet

Ich absolviere gerade mein Praktisches Jahr und weiß aus eigener Erfahrung: An Unikliniken sind Chirurg:innen "nebenher" noch dafür verantwortlich, angehende Ärzt:innen auszubilden und für adäquate Lehre auf Stationen und im OP-Saal zu sorgen. Neben der eigentlichen Arbeit, die bereits die volle Konzentration und Fähigkeit erfordert.

Funktioniert dieser Balance-Akt wie so oft nicht, bekommen das die Studierenden zu spüren. Die Ärzt:innen der Zukunft werden demnach nicht bestmöglich ausgebildet.

Die medizinische Lehre wird in unserem System bis heute als eine Selbstverständlichkeit betrachtet, die neben der regulären Patientenversorgung stattfinden muss. Auf Kosten der Gesundheit unseres medizinischen Personals.

Crying doctor during COVID-19 needing help in hospital. Healthcare workers in despair over emergency need of PPE and distress. Coronavirus crisis death, despair, mental health anxiety.
Am Ende der Kräfte: Viele Ärzt:innen sind völlig überarbeitet.Bild: getty images / Maridav

Angehenden Ärzt:innen wird bereits während des Studiums beigebracht, sich unterzuordnen, sich dem System anzupassen und Dankbarkeit zu zeigen, ein Teil davon sein zu dürfen. Teil einer Maschinerie, die von mir verlangt, bedingungslos für meine Patient:innnen zu sorgen, ohne mir beizubringen, wie ich auf mich selbst achtgebe. Teil eines Konstrukts, welches der Gesellschaft suggeriert, es sei eine Berufung anstelle eines Berufs und folglich seien Forderungen für bessere Bedingungen oder mehr Gehalt beinahe unverschämt.

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Wenn Ärzt:innen erst einmal an den Punkt gelangen, auf der Straße zu demonstrieren, sollte das ein Weckruf sein. Nicht nur, aber auch für die Politik. Denn wir Mediziner:innen lieben unseren Beruf. Doch es ist Zeit, dass sich etwas ändert.

Der alltägliche Workload in Kliniken steigt kontinuierlich, Vollzeitstellen sind schon lange nicht mehr attraktiv und immer mehr approbierte Ärzt:innen verlassen das Gesundheitssystem.

"Das überwiegende Stimmungsbild in der Gesellschaft scheint zu sein, dass wir alle überbezahlt und verwöhnt seien."

Ich selbst befinde mich, wie eben schon beschrieben, in meinem PJ. Wir rotieren in diesem Jahr durch unterschiedliche Fachrichtungen und Stationen, doch die Stimmung währenddessen ist einheitlich: Wir zweifeln an unserer Berufswahl.

Nicht, weil wir die Medizin und ihre vielfältigen Facetten nicht lieben, sondern weil wir Angst davor haben, wie unser Leben langfristig verlaufen wird. Weil wir die ausgebrannten Assistenzärzt:innen jeden Tag Unfassbares leisten sehen, weil wir selbst kaum Zeit für eine Pinkelpause haben und weil unser privates Umfeld beginnt, sich um unsere Gesundheit zu sorgen.

Es beunruhigt mich, welch einen Gegenwind die wenige mediale Berichterstattung über den Streik auf Social Media hervorgerufen hat. Das überwiegende Stimmungsbild in der Gesellschaft scheint zu sein, dass wir alle überbezahlt und verwöhnt seien und uns nicht so anstellen mögen.

Das finde ich zumindest bemerkenswert. Nicht nur, weil die allermeisten Menschen selbst nicht bereit wären, 24-Stunden-Schichten zu schieben. Oder Verantwortung für das Leben von Menschen zu übernehmen. Sondern auch, weil ich, man mag mich für naiv halten, davon ausgehen würde, dass die Gesellschaft zumindest möchte, von gut ausgebildeten, fair behandelten und vor allem ausgeruhten Ärzten behandelt zu werden. Und sei es nur aus reinem Egoismus.

Die Realität scheint anders auszusehen. Auch deshalb finde ich es richtig und wichtig, dass Ärzt:innen in Deutschlands Krankenhäuser streiken. Denn glaubt mir: Das System, das unsere Patient:innen gesund machen soll, ist kränker, als ihr euch das vorstellen könnt.

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