
Therapeuten und Psychiater sind wichtige Hilfen für Betroffene.Bild: imago images / Panthermedia / NomadSoul
Meinung
Union und SPD wollen das Primärarztsystem etablieren. Nur in zwei Ausnahmen benötigen Patient:innen dann keine Überweisung. Die Psychotherapie gehört offenbar nicht dazu – das wäre ein schlimmer Fehler!
29.04.2025, 19:5929.04.2025, 20:01
Der Zugang zur psychischen Gesundheitsversorgung könnte demnächst deutlich erschwert werden.
Die designierte Bundesregierung aus Union und SPD will laut Koalitionsvertrag in den kommenden vier Jahren die Gesundheitsversorgung in Deutschland wesentlich reformieren und das sogenannte Primärarztsystem einführen. Das bedeutet, dass Patient:innen zunächst eine Hausarztpraxis aufsuchen müssen, bevor sie sich in fachärztliche Behandlung geben können.
Das ist bisher anders: In Deutschland haben gesetzlich Versicherte grundsätzlich die "freie Arztwahl". Sie können also jederzeit ihren Arzt oder ihre Ärztin des Vertrauens aufsuchen, solange diese:r zur Behandlung von Patient:innen mit gesetzlicher Krankenversicherung berechtigt ist.
Dazu gehören auch Fachärzt:innen; für psychisch Erkrankte besonders wichtig: Psychiater:innen. Auch für eine Psychotherapie benötigt man bisher keine Überweisung.
Und das ist auch gut so!
Arzttermin verlängert Zugang zu Psychotherapie unnötig
Einen Termin zu bekommen, ist sowieso schon eine Herausforderung. Es gibt einen erheblichen Mangel an Psychotherapeut:innen, die Wartelisten sind lang – wenn sie überhaupt noch geführt werden.
Betroffene hängen monatelang am Telefon, schreiben eine Mail nach der anderen – und bekommen doch häufig nur Absagen. Wer tief in einer psychischen Krise steckt, für den ist schon die Terminsuche ohne Unterstützung kaum zu bewältigen.
Ein vorgelagerter Termin bei Hausärzt:innen würde den Prozess nur unnötig verkomplizieren. Ein gefährlicher Rückschritt.
Für viele Betroffene ist der Schritt, sich Hilfe zu suchen, ohnehin kein leichter. Auch, über die – sehr persönlichen – Probleme mit Therapeut:innen zu sprechen. Und dann noch mit einer weiteren, womöglich fremden Person? Muss nicht sein.
Für Betroffene wird die Suche nach Hilfe so schlimmstenfalls zu einem unüberwindbaren Hindernis.
Ähnliches befürchtet auch die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Tania Ghosh. Das Primärarztsystem würde "zusätzliche Termine und lange Wartezeiten" bedeuten und könnte so "zu einer Chronifizierung der Symptome führen", schreibt sie zu der Petition, die sie ins Leben gerufen hat. Ihr Ziel: Das Erstzugangsrecht zur Psychotherapie erhalten.
"Menschen in psychischen Krisen brauchen keine weiteren Hürden. Sie brauchen Vertrauen, Zugang – und eine klare Botschaft: Dein Leid wird ernst genommen", appelliert sie.
Das sehen noch viele andere so. Rund 82.500 Unterschriften (Stand 28. April) konnte sie auf der Plattform "Innn.it" bereits sammeln.
Betroffene sollten nicht von Hausarzt abhängig sein
Zu den Erstunterzeichner:innen gehört der Vorsitzende des Deutschen Psychotherapeuten Netzwerkes (DPNW), Dieter Adler. Die Gründe für eine Psychotherapie seien zu persönlich und müssten keiner dritten Person mitgeteilt werden, sagt er im "Deutschen Ärzteblatt". Und einen ganz entscheidenden Satz: "Und erst recht nicht von einem Arzt geprüft werden".
Schon jetzt müssen gesetzlich Versicherte einen Konsiliarbericht von einem Arzt oder einer Ärztin vorweisen, um eine Psychotherapie bewilligt zu bekommen. Doch die probatorischen Sitzungen kann man erst einmal ohne nehmen.
Künftig wäre man also von der Einschätzung durch Hausärzt:innen abhängig. Bleibt zu hoffen, dass man jemanden erwischt, der sich näher mit psychischen Erkrankungen auskennt – und sie ernst nimmt. Das ist leider nicht selbstverständlich.
Koalition muss dringend nachbessern
Grundlegend scheint man sich bei den Koalitionsverhandlungen über die Situation der Psychotherapie schon Gedanken gemacht zu haben. Man will etwa eine "niedrigschwellige Online-Beratung in der Psychotherapie" erreichen, heißt es im Koalitionsvertrag.
Dazu passt es aber nicht, dass die psychische Gesundheitsversorgung von einem Primärarztsystem offenbar nicht ausgenommen werden soll. Als Ausnahmen sind lediglich Gynäkolog:innen und Augenärzt:innen vorgesehen.
Absicht möchte man den Verhandler:innen ja nun nicht unterstellen. Ist es Unwissenheit? Oder wurde schlicht zu kurz gedacht?
Jedenfalls sollte die schwarz-rote Koalition, wenn sie denn vermutlich zustande kommt, hier nachbessern. Ghosh und Adler – so wie die vielen anderen Unterzeichner:innen der Petition – fordern, die Psychotherapie von einer Primärarztregelung auszunehmen.
Es wäre sogar sinnvoll, einen Schritt weiter zu gehen. Auch Psychiater:innen sollten von der Regelung ausgenommen werden. Aus den gleichen Gründen.
Sie sind für die Betreuung von Betroffenen, insbesondere bei schweren psychischen Erkrankungen, ebenso wichtige Ansprechpersonen – mit dem speziellen Fachwissen.
Das könnte man für viele andere Fachärzt:innen auch sagen. Genau deswegen sollten sich SPD und Union noch einmal genau überlegen, ob ein Primärarztsystem wirklich zu einer "zielgerichteten Versorgung" beitragen. Denn da haben Expert:innen so ihre berechtigten Zweifel.
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