Wenn es uns mental schlecht geht, fühlen wir uns oft ziemlich einsam. Etwa, weil es sich so anfühlt, als könne uns niemand verstehen. Das trifft für Liebeskummer zu und für psychische Erkrankungen noch mehr. Dagegen hilft Sichtbarkeit, auch, um zu verstehen, dass es keine Schande ist, sich Hilfe zu holen.
Max und Josephine teilen auf Instagram, dass sie schon mehrfach in der Psychiatrie waren, zeigen, was ihnen hilft, wenn die Depression kickt. Dabei ist Max eigentlich für das "romantischste Gedicht im Internet" bekannt. Jeden Tag postet er eine bunte Kachel mit Poesie für seine über 180.000 Follower:innen. Josephine ist seine Managerin und postet fast ausschließlich Beiträge über ihre Therapie, Klinik und Erkrankungen.
Im watson-Interview erklären sie, warum Sichtbarkeit, und in Max' Fall, Worte alles ändern können. Und warum sie sich mit ihrer Offenheit nicht verletzbar machen.
watson: Max, du hast in einem Podcast gesagt, dass deine Depressionen wie ein extra Gewicht sind. Wie schwer sind eure Rucksäcke gerade?
Max: Ich finde, die Analogie ist gut, um nachvollziehen zu können, wie sich eine Depression anfühlt. Jeder kann sich vorstellen, wie alles, was man tut, dadurch schwerer wird, dass man Gewichte, nicht nur im Rucksack, sondern auch an Armen und Beinen hat; dass das Aufstehen und jede einzelne Tätigkeit verkompliziert werden. Gerade habe ich aber das Gefühl, mein Rucksack wird ein bisschen leichter.
Josephine: Ich mache gerade Traumatherapie und in den Stunden ist es so, als würde sich noch mal jemand oben auf den Rucksack draufsetzen. Mit jeder Therapiesitzung leere ich den Rucksack aber auch ein bisschen.
Was macht der Konsum von Social Media mit eurer mentalen Gesundheit?
Josephine: Mir tut es überhaupt nicht gut. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir lernen, bewusst Inhalte zu konsumieren. Dazu gehört auch, auszusortieren: Wem folge ich, tut es mir gut, das zu sehen? Ich mache gerade eine Instagram-Pause als Therapiemaßnahme, um das zu lernen. Allerdings vermisse ich den Austausch mit meiner Community.
Max: Ich glaube, dass wir grundsätzlich unterschätzen, was die Medien, die wir konsumieren, mit unserer mentalen Gesundheit machen. Die Inhalte arbeiten in unserem Kopf weiter. Du schaust dir etwas an und das ist nicht vorbei in dem Moment, in dem du denkst, dass es vorbei ist. Wir müssen also besser aufpassen, was wir uns angucken. Wir sagen ja auch, du bist, was du isst. Die geistige Nahrung lassen wir meistens außer Acht. Das Gute an dem Algorithmus ist aber, dass er trainierbar ist und wir selbst steuern können, was uns angezeigt wird.
Und ihr steuert auch selbst, was ihr postet über eure mentale Gesundheit. Hilft euch der Output?
Josephine: Mir hat es sehr geholfen, um mich nicht allein zu fühlen. Ich bin über meinen Kanal in den Austausch mit Menschen gekommen, die die gleiche Problematik hatten.
Max: Es ist ein Geschenk, die Offenheit, die ich gebe, zurückzubekommen. Menschen mit psychischen Erkrankungen fühlen sich schnell wie der einzige Fehler in einem sonst reibungslosen System. Doch je mehr sich jemand öffnet, desto mehr öffnen sich auch die Menschen drumherum. Das wünsche ich mir auch gesamtgesellschaftlich. Ich glaube, das führt dazu, dass wir alle ein bisschen sanfter miteinander umgehen.
Was motiviert euch noch dazu, über eure psychische Gesundheit zu sprechen?
Josephine: Aufklärung finde ich superwichtig. Deswegen ist es für mich das Größte, wenn mir Angehörige von erkrankten Menschen schreiben: Durch deinen Content verstehe ich meine Tochter besser. Oder Menschen, die sich dadurch, dass ich öffentlich so viel teile, trauen, offen mit ihrer Familie und ihren Friends zu sprechen. So werden Tabus gebrochen.
Max: Und ich finde es auch schön zu zeigen, dass man mit diesen Herausforderungen trotzdem ein selbstbestimmtes Leben führen kann. Ich will zeigen, dass es möglich ist, Träume zu verwirklichen. Gerade im Kontakt mit Eltern von Kindern, die ADHS haben, und die sich Sorgen machen um die Zukunft des Kindes. Ich war auch so ein "auffälliges" Kind und habe meinen Weg gefunden in der Welt. Das macht anderen vielleicht Mut.
Gibt es auch fiese Kommentare, wenn ihr in Posts über Depressionen oder Traumatherapie sprecht?
Josephine: Ja, negatives Feedback gibt es auch. Ich war 2023 über Weihnachten und Silvester in der Klinik und habe darüber gesprochen, dass ich es traurig finde, wie schwer es auszusprechen ist, gerade in der Psychiatrie zu sein. Ich fühlte mich scheiße für etwas, das mir geholfen hat. Viel trauriger ist es aber, dass Menschen an Heiligabend allein zu Hause sitzen und Hasskommentare schreiben. Aber: Auf einen negativen Kommentar kommen meistens zehn Positive. So werden die fiesen Kommentare mit Liebe zerstört.
Eure Community moderiert sich also selbst.
Josephine: Ja, das ist richtig cool.
Max: Bei mir werden manchmal Sachen kommentiert, die kann man sich nicht ausdenken: "Wenn du erstmal eine Million auf dem Konto hast, dann hörst du auf rumzuheulen", hat mal jemand unter ein Reel geschrieben. Ich folge der Logik, dass ich mich weniger angreifbar mache, je verletzlicher ich mich zeige. Ein Paradoxon, das ich eigentlich schön finde: Je mehr wir zu uns stehen, desto weniger können uns diese Dinge verletzen. Außerdem: Jemand, der dich angreift, nachdem du sagst, ich habe Probleme und mir geht's schlecht, ist ein Arschloch.
Ihr sprecht beide offen über eure Klinikaufenthalte. Wie habt ihr gemerkt, dass ihr diese Art von Hilfe braucht?
Josephine: Wenn Suizidgedanken im Raum stehen, wie vor meinem ersten Klinikaufenthalt, dann ist es wirklich allerhöchste Eisenbahn. Aber auch schon davor. Viele denken, ihnen würde es nicht schlecht genug gehen, um sich akut Hilfe zu holen und lassen es, bis es fast zu spät ist.
Max: Dieser Gedanke, dass es einem nicht schlecht genug geht, um einen Therapieplatz in Anspruch zu nehmen, ist ein sehr guter Indikator dafür, dass es wichtig ist, sich gerade dann Hilfe zu holen.
Josephine: Außerdem ist es gut, den Liebsten zu vertrauen, wenn diese spiegeln, dass es mir wirklich schlecht geht. In einer Krisenphase löse ich mich fast auf und wenn Max dann zu mir sagt: "Du, Krise", dann vertraue ich Max. Ein Klinikaufenthalt kann dich auffangen und du musst dich erstmal nicht mehr um dein Überleben kümmern.
Max: Und ich kann sagen: Klinik hat mir dreimal das Leben gerettet.
Manchmal schämen sich Betroffene aber auch dafür, in die Psychiatrie zu müssen.
Max: Ja, ich musste vor meinem ersten Klinikaufenthalt erstmal gegen die Stigmatisierung des Themas in mir drin ankämpfen. Durch mein ADHS habe ich schon früh in Systemen wie der Schule gespiegelt bekommen, dass mit mir etwas nicht stimme. Diesen Menschen wollte ich nicht recht geben, indem ich in die Psychiatrie gehe. Ich glaube, dieses lähmende Gefühl der Stigmatisierung kennen auch andere. Deswegen finde ich es umso wichtiger, der Sache ein Gesicht zu geben und so mit Klischees zu brechen. Manche denken noch immer, dass man in einer Klinik per se in eine Zwangsjacke gesteckt wird.
Eigentlich postest du jeden Tag ein Gedicht, Max. Wie leicht war der Wiedereinstieg in den beruflichen Alltag nach deinen Klinikaufenthalten?
Max: Meine Kunst ist für mich einfach das Coolste und sowas wie mein Platz in der Welt. Deswegen war es mir immer wichtig, weiterzumachen. Seit sieben Jahren poste ich täglich Gedichte – mal ausgenommen von der Unterbrechung letztes Jahr. An Tagen, an denen es mir sehr schlecht ging, war das trotzdem dieser eine Schritt, den ich gehen konnte. Ich glaube, das ist etwas, das sehr hilfreich ist für Menschen mit psychischen Erkrankungen: Eine kleine Sache finden, die ihnen täglich etwas gibt.
Verarbeitest du in deinen Gedichten auch deine Depression?
Max: Mein Motto ist: "Worte ändern alles." In meinen Gedichten versuche ich Auswege aus ausweglosen Gedanken zu finden. So baue ich destruktive Glaubenssätze auseinander und knoble, welche anderen hoffnungsvollen Bedeutungen in manchen Worten noch stecken. Das hilft mir mehr, als Begriffe für die Schatten zu finden. Und es ist total schön für mich, dass das dann auch anderen hilft. Diese Gedichte zu schreiben ist für mich, wie einen Ausgang suchen in einem Zimmer ohne Tür. Ein lyrischer Escape-Room.
Vielen Dank für eure Offenheit.