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Disney-Musical "Hercules": Warum zum Start in Hamburg sicher Tränen fließen

Young couple at the cinema watching movie
Die Tränen, die man um Musicalheld:innen weint, sind ein äußerst delikater Genuss. Bild: Getty Images/E+ / Luka Lajst
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Fan outet sich: "In Musicals habe ich schon mehr geweint, als bei all meinen Trennungen"

22.03.2024, 16:3526.03.2024, 10:09
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Zu den Vorteilen eines Journalist:innen-Berufs gehört es, dass man ab und an zu Events eingeladen wird. So wie etwa zur Sichtung des neuen Disney-Musicals "Hercules" in Hamburg (startet am 24. März 2024).

Als Musical-Fan war ich nun fast ein bisschen neidisch auf mich selbst, musste aber feststellen, dass einige Bekannte auf meine Begeisterung eher mit einem süffisanten Grinsen reagierten, à la: "Wenn man auf diesen Kitsch steht..."

Ich stellte fest: Musicals und ihre Fans werden oft belächelt. Sie werden assoziiert mit Prosecco trinkenden Leggins-Träger:innen (ja gut, mache ich beides) und gelten als Banausen und Prolls gewöhnlicher Mainstream.

Musicals zu verachten, ist reiner Kultur-Snobismus

Völlig zu Recht. Das IfD Allensbach hat erst 2023 ermittelt, dass Musicals unter den Deutschen deutlich beliebter sind (34,9 Prozent), als zum Beispiel der Besuch eines 1. oder 2. Bundesligaspiels (25,7 Prozent). Soviel zur großen Fußballnation.

"Die mangelnde Subtilität der Musicals wird als oberflächlich belächelt wie Frauen mit zu viel Make-up."

Auch Menschen, die selten Bücher lesen und in Gemälden nichts über die Farbe hinaus erkennen, zieht es durchaus in Musicals. Was meines Erachtens der Hauptgrund ist, dass viele Leute, die sich für kultivierter als "den Pöbel" halten, die Shows schon aus Prinzip verachten.

Zu platt ist es vielen, aka unter ihrem Niveau, wenn auf der großen Bühne, große Gefühle in noch größeren Balladen heraus geschmettert werden. Kunst soll schließlich nicht für alle sein – oder warte, etwa doch?!

Die mangelnde Subtilität der Musicals wird als oberflächlich belächelt wie Frauen mit zu viel Make-up. Ich sage: Das ist reiner Kultur-Snobismus.

Musical kann auch Humor. Siehe "Hamilton". Video: YouTube/Asaki Takaya

Und es verkennt das absolut Geniale an Musicals: Gerade, weil Gefühle hier nicht nur angedeutet werden, kann auch ein Kulturmuffel ohne Theater-Abo sofort folgen und sich amüsieren. Das ist nicht dumm, das ist egalitär.

Warum ich mich durch jedes Musical weine – und sich das toll anfühlt

Noch besser: Weil das Musical so unverfroren emotional ist, darf auch der Zuschauer richtig schamlos alle Emotionen herausbrechen lassen. In einer scharfzüngigen, akademischen Bubble mag das als niederer Instinkt gelten, doch für mich ist es ein unironisches Geschenk an die Seele.

Entsprechend tränenreich sind meine eigenen Musicalbesuche. Mir klumpt meist schon ein Kloß im Hals, wenn das Licht gedimmt wird und die ersten Takte des Orchesters loslegen. Nur so, aus Vorfreude und Ergriffenheit. Das war aber nur der Start. Ab dann heule ich mich durch die Akte.

"Wenn die Violinen zittern und die Blechbläser schmettern, sprudelt mir das Wasser aus den Augen."

Zuerst weine ich über die Helden, die noch so hoffnungsfroh am Anfang ihrer – nun zwangsläufig folgenden – Odyssee stehen, dann geht es weiter zum Heulen-vor-Lachen im fröhlichen Mittelteil.

Meist folgt nach etwa zwei Dritteln ein dramatischer Moment, bei dem ich aus Mitleid in Tränen ausbreche und dann das erleichternde Geschluchze, wenn die Katharsis vollzogen ist und das Finale erreicht.

Legendär! Barbra Streisand in "Funny Girl".Video: YouTube/newkookoori

"Let it go" würde die Eiskönigin trällern und meine Güte, ich lass' echt los. Wenn die Violinen zittern und die Blechbläser schmettern, sprudelt mir das Wasser aus den Augen. Erwähnte ich, dass ich auch bei Standing Ovations regelmäßig hinter einem Tränenschleier mitklatsche, weil mich der Stolz in den Gesichtern der Darsteller:innen so rührt?

Mir ist bewusst, dass ich jetzt klinge, als hätte ich eine labile Psyche. Die Wahrheit ist aber: Im Alltag bin ich völlig stumpf.

Drama, Baby! Das wahre Leben ist allzu oft viel zu profan

In Musicals habe ich vermutlich mehr geheult, als bei all meinen Trennungen zusammen. Kein Wunder. Wenn ich einem Liebsten das letzte Adieu gesagt habe, wo war da bitte die anschwellende Musik aus dem Orchestergraben? Das blaue Spotlight auf unsere Hände, die sich in aller Endgültigkeit voneinander lösen?

Nach "West Side Story" will man auch Maria heißen.Video: YouTube/DisneyMusicVEVO

Selbst diese großen Momente waren in meinem Leben eher von widersprüchlichen und zuweilen fürchterlich profanen Gefühlen begleitet. Man ist zwar traurig, weil man sich vermissen wird, aber auch erleichtert, weil der Stress nun ein Ende hat und eigentlich muss man auch dringend auf Klo.

Die echte Welt ist unromantisch. Wie anders ist das Musical! Schon als Kind lernte ich, dass dort alle Gefühle zu finden sind, nur eben auf die Spitze getrieben, ästhetisiert.

"Nirgendwo sonst fühle ich so viele Dinge in einer derart kurzen Zeit."

Bei meinem Vater schaute ich "Bandits" und "Evita". Mit meiner Mutter ging ich in "Cats", "Phantom der Oper" und "A Chorus Line". Von meinem Taschengeld kaufte ich mir die ausrangierten Klassiker "Funny Face" und "Cabaret". Ich könnte die Liste ins unendliche führen, ich bekam niemals genug davon.

STAGE ENTERTAINMENT:
Disneys HERCULES Das Heldenhafte Musical feiert Weltpremiere.

Hauptdarsteller BenŽt Monteiro beim Schlussapplaus anlŠsslich der Weltpremiere des Musical âHerculesÔ im Stage Theat ...
Standing Ovations gab es auch bei "Hercules".Bild: Stage Entertainment / Morris Mac Matzen

Ein emotionaler Aderlass, der mich friedlicher macht als Meditation

Konzerten fehlt einfach der rote Faden, Theaterstücke verkopfen schnell. Das Musical hingegen verbindet Storytelling über die Musik mit Emotion und raspelt damit noch jede Hornhaut vom Herzen herunter. Nirgendwo sonst fühle ich so viele Dinge in einer derart kurzen Zeit.

Ich war schon Fantine, die von der Welt gepeinigt in den Gossen von Paris verglimmt oder Löwe Simba, der seinen Weg aus der Schuld hinaus findet. Das ist nicht unterkomplex, sondern extrem aufregend.

"Nine": So sexy brach noch keiner Frau das Herz. Video: YouTube/Movieclips

Sich 90 Minuten lang mitreißen lassen zu können, ist eine Fähigkeit, die ich niemals gegen intelligenten Zynismus eintauschen würde. Es ist meine Art des emotionalen Aderlasses und kostet mich weniger als Inner Balance Workshops.

Ich halte es daher für hochgradig vernünftig, sich der Unvernunft in geregeltem Maß hinzugeben.

Taschentücher für alle! Die heilsame Wirkung der Hyper-Emotion

Und ich weiß, ich bin damit nicht alleine. Egal, auf welchem Theaterpolster ich schluchze, meist reicht ein Schwenker nach links, um den Blick einer seelenverwandten Person zu fangen, der ebenfalls schon das Pipi aus den Augen tropft und die mir mit wissendem Lächeln zunickt. Wir Prosecco-trinkenden Legginsträger:innen sind eine liebenswerte Kategorie Mensch. Wir ERKENNEN einander.

Vielleicht sind wir in Musical-Momenten albern, träumerisch, naiv. Doch für mich sind das ungefähr so widersinnige Schimpfwörter wie "Gutmensch". Warum soll man sich nicht mal mitreißen lassen, wie als Kind? Ist dir das peinlich, oder wie?

"Leergeweint, leergelacht und kribbelig nach einem Musicalbesuch in die Nacht zu treten, ist ein Gefühl wie nach sehr gutem Sex."

Ich kann es jedem, besonders Skeptiker:innen nur empfehlen, sich nicht mit verschränkten Armen schlauer fühlen zu wollen als die Inszenierung auf der Bühne, sondern den emotionalen Knöpfen, die da gedrückt werden, einfach mal zu folgen. Das ist wie beim Essen, beim Küssen, beim Tanzen. Das Musical will nicht deinen Intellekt, sondern deine Gefühle.

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Leergeweint, leergelacht und kribbelig nach einem Musicalbesuch in die Nacht zu treten, ist ein Gefühl wie nach sehr gutem Sex. Eine zufriedene, emotionale Erschöpfung. Ich fühl's – ist alles, was ich dazu sagen kann.

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