So viel Neues: Auf Kleinkinder müssen die Corona-Lockerungen wie ein kleines Wunder wirken. (Symbolbild)Bild: iStockphoto / LUNAMARINA
Meinung
Als Corona Anfang 2020 ausbrach, waren meine beiden Kinder gerade ein Jahr alt geworden. Das ist ziemlich genau das Alter, in dem man beginnt, seine Außenwelt so richtig zu begreifen. Doch die Welt, die meine Kinder zu dieser Zeit kennenlernten, war pandemiebedingt – sagen wir mal – reduziert.
Meine Kinder kennen die Stadt nur leblos
Meine Zwillinge sind Stadtkinder und wachsen in einem sehr belebten Bezirk auf. Doch das, was sie bislang von unserer Straße gesehen hatten, war alles andere als belebt: Es waren hauptsächlich leere Schaufenster und geschlossene Türen.
"Was ist das?", fiel so manches Mal als Frage. "Ein Restaurant", sagte ich. "Da kann man essen.""Kann man essen?" –"Ja, aber nicht jetzt. Das ist zu.""Das ist zu?" –"Ja, wegen Corona."
Das waren die Konversationen, die ich hauptsächlich mit meinen Kindern führen musste. Sie haben meine Erklärungen einfach hingenommen. Stattdessen sahen wir uns während der Lockdowns Baustellen an, Garagentore, die sich öffneten und freuten uns über Hunde, die Gassi geführt wurden. Der Supermarkt und die Drogerie waren Highlights im Alltag meiner Twins. Sobald sie das Rascheln der Einkaufstüten hörten, standen sie schon mit Schuhen im Flur parat, um "kaufen" zu gehen – die vielen Menschen mit ihren Einkaufswagen und die piepsende Kasse war für die beiden geradezu ein Spektakel.
Auch Feste wurden nicht gefeiert. In den Weihnachtsbüchern, die wir im Dezember lasen, saßen Familien in großer Runde um einen Gänsebraten herum. Bei uns zu Hause gab es nur Oma und Opa per Facetime. Ich habe meine Kinder im Sommer nie auf Hochzeiten mit dem Popo wackelnd mitfeiern sehen. Und dass ihre Geburtstagsgeschenke normalerweise nicht per Post kommen, habe ich erst gar nicht mehr versucht, zu erklären.
Corona-Lockerungen eröffnen kleinen Kindern eine völlig neue Welt
Doch vor etwa einer Woche hat sich die Welt meiner Kinder auf einen Schlag enorm erweitert. Und so aufregend es für erwachsene Menschen auch ist – für meine inzwischen 2,5-Jährigen sind die Öffnungsschritte noch ein ganzes Stück aufregender. Um ehrlich zu sein: Sie kommen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus!
"Ist auf! Ist auf! Maaama, guck' mal!!!", brüllte meine Tochter letztens völlig hingerissen, als sie sah, wie die Verkäuferin eines profanen Textildiscounters mehrere Kleiderständer auf die Straße rollte. Und noch immer kommentiert sie wie ein Wasserfall alles, was ihr vorher entgangen war.
"Eine Feststellung, die meiner Tochter mit der Maskenpflicht wohl auch entgangen wäre: dass wir Mamas und Papas Kaugummi kauen."
So gilt inzwischen in Hamburg zum Beispiel keine Maskenpflicht mehr auf dem Spielplatz. Das bedeutet konkret: Die Eltern können wieder Seifenblasen pusten und Ballons aufblasen, was meine Kinder über alle Maßen entzückt. Eine Feststellung, die meiner Tochter mit der Maskenpflicht wohl auch entgangen wäre: dass wir Mamas und Papas Kaugummi kauen.
In ihrer Wahrnehmung ist alles auf einen Schlag passiert, alles neu. Mit der Lockdown-Welt war sie bislang zufrieden, es fehlte ja auch der Vergleich. Doch wer konnte ahnen, dass da noch so viel Leben lauert? Das Schönste daran ist: Ihre Begeisterung springt geradezu Eins zu Eins auf mich über.
Die Freude meiner Kinder über all diese kleinen Dinge ist ansteckend
Ich freue mich, die Menschen wieder beieinander sitzen zu sehen, wie sie Wein trinken und sich auf den neuesten Stand bringen, während im Hintergrund ein Straßenmusiker singt. Wie konnte mir entfallen, wie viel Kultur und Miteinander uns Menschen verbindet? Haben mich Impfgegner und Querdenker das zwischenzeitlich vergessen lassen? Das Leben ist verdammt schön und endlich kann man wieder daran teilhaben.
"Mein Sohn durfte Limo probieren und es war nicht nur der Zucker, der ihn in Wallung versetzte."
Als ersten Schritt haben wir uns am Wochenende an einen Restaurant-Besuch gewagt. Mein Sohn durfte Limo probieren und es war nicht nur der Zucker, der ihn in Wallung versetzte. "Der Mann hat Tisch sauber gemacht. Mit Lappen! Der Mann hat Essen gebracht", kommentierte mein Sohn alles, was der Kellner an diesem Tag machte.
Noch beim Einschlafen murmelte er diese Sätze in sein Kissen. Wer sich nicht über das Ende des Lockdowns freut, hätte spätestens bei diesem Anblick verstanden, wie wichtig es ist, dass das Leben, wie wir Erwachsene es kennen, endlich auch für die Kleinen losgeht.
Die Kinder lernen nach dem Lockdown das richtige Miteinander kennen
Den ersten Eindruck, den unsere Kinder von der Welt hatten, war diese stark reglementierte, angstvolle Version unserer Gesellschaft. Ich selbst war ein Befürworter der meisten Maßnahmen, auch der harten und denke, es war nötig, um Leben zu schützen. Dennoch tut es mir leid, dass die fröhlichen Aspekte menschlichen Beisammenseins für die kleinsten Bürger dadurch nicht sichtbar waren.
Wenn die Geschäfte und Restaurants wieder öffnen und Menschen miteinander im Park anstoßen, ist das viel mehr als Konsum und Besäufnis. Es verändert das Stadtbild und die Sicht auf das Zusammenleben unter Menschen. Die Kinder lernen mit Fremden zu interagieren, "Bitte" und "Danke" zu sagen, eine Rolltreppe zu benutzen und warum man einen Pappuntersetzer unter das Glas legt. Sie lernen auch: Die meisten Mitmenschen sind ziemlich nett und überall kann man etwas lernen.
"Das Staunen meiner Zweijährigen über Alltäglichkeiten spiegelt das Gefühl vieler Erwachsener wieder."
Mir war nicht klar, wie sehr meine Kinder die Anspannungen unter dem Lockdown miterlebt haben – aber sie so gelöst zu sehen, ist neu. Das Staunen meiner Zweijährigen über Alltäglichkeiten spiegelt das Gefühl vieler Erwachsener wider. Denn auch wir sind aufgeregt, das erste Mal nach dem Lockdown wieder in einer Umkleidekabine zu stehen, um etwas anzuprobieren – oder den ersten Kaffee zu trinken, den man sich nicht selbst gebrüht hat.
Und wenn ich auf sinkende Inzidenzzahlen und steigende Impfquoten schaue, bin ich erleichtert und voller Vorfreude, was den Sommer angeht: Freibad, Jahrmarkt, Kino und Vergnügungsparks – Kinder, da kommt noch so viel mehr!
Es wird weiter globale Probleme geben, die wir angehen müssen, sei es der Klimawandel oder soziale Ungerechtigkeit. Doch diesen Sommer, diesen Moment des Verschnaufens, möchte ich durch eure Augen sehen und sagen: Die Welt nach Corona ist voller Trubel und Leben. Die Welt nach Corona ist wirklich ziemlich schön.
Auch wenn sie nur einmal im Jahr vorkommen: Manche Bräuche sind so geprägt von Gewalt, dass es einem das ganze Jahr über die Nackenhaare zu Berge stehen lässt, wenn man an sie denkt.