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Gefühlt wird der Lockdown niemals aufhören – wie wir trotzdem durchhalten können

Noch länger zu Hause bleiben wegen Corona? Für viele eine Horror-Vorstellung. (Symbolbild)
Noch länger zu Hause bleiben wegen Corona? Für viele eine Horror-Vorstellung. (Symbolbild)Bild: iStockphoto / chameleonseye
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Gefühlt wird der Lockdown niemals aufhören – wie wir trotzdem durchhalten können

11.02.2021, 16:3211.02.2021, 19:40
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Am Morgen, nachdem die 1087. Verlängerung des Corona-Lockdown verkündet wurde, habe ich Schwierigkeiten, die Augen aufzuschlagen. Das Duschen überspringe ich, im Homeoffice muss ich nicht gut riechen. Das Rattennest auf meinem Kopf ignoriere ich (damals, vor dem Lockdown, waren es noch Haare) und werfe mich in einen mit Zebrastreifen gemusterten Onesie. Schockieren kann ich meine Kolleginnen und Kollegen, die ihre müden Gesichter in die Video-Konferenz recken, damit nicht mehr. Wir erinnern uns an keinen anderen Zustand.

Nach fast einem Jahr Corona, Lockdown, Lockerung, Lockdown, noch mehr Lockdown sind wir zu müde, um noch erschöpft zu sein. Wir haben uns irgendwie damit abgefunden, dass unser Leben (im besten Fall) nur noch aus Arbeit – Essen – Schlafen besteht und es das Highlight des Monats ist, wenn wir auf einer Plastiktüte einen verschneiten Hügel im Mauerpark heruntersausen. In der Hoffnung, dass auch das nicht bald verboten sein wird, weil wieder viel zu viele Menschen versammelt sind.

"Nach fast einem Jahr Corona, Lockdown, Lockerung, Lockdown, noch mehr Lockdown sind wir zu müde, um noch erschöpft zu sein."

Konkret vermisse ich nichts – und trotzdem

Es ist nicht mal so, dass ich konkret etwas vermissen würde. Ich bin gesund, habe Arbeit, ein Dach über dem Kopf und muss keine existenziellen Ängste fürchten. Das ist nicht mein Verdienst, sondern absolutes Glück. Deswegen bin ich meilenweit davon entfernt, mich darüber zu beschweren, dass ich nicht zum Konzert kann oder ins Museum oder in eine Bar oder einfach mal wieder Freunde treffen. Ich kann ja froh sein, dass ich gerade keine Kinder betreuen, keine Corona-Patienten beatmen oder in einer vollen S-Bahn nach Kleingeld schnorren muss. Keine Frage.

Und obwohl man sich des Herumjammerns verwehren will (okay, bisschen stecke ich jetzt drin), macht man irgendwann die Beobachtung: Es geht langsam nicht mehr. Ich bin ermattet. Meine Freunde sind ermattet. Meine Mutter ist ermattet und selbst mein Hund scheint ermattet, wenn ich ihn morgens aus seinem Körbchen ziehe und zu einem der sich ständig wiederholenden Spaziergänge zwinge. Wer hätte gedacht, dass ein Winter sich so unfassbar lang anfühlen kann. Und selbstverständlich schleicht sich das Gefühl ein: So sinnvoll und notwendig er auch sein mag – dieser Lockdown nimmt einfach kein Ende.

"Es scheint mir eine Idealisierung dessen zu geben, was man nicht hat", schrieb mir letztens der Psychiater Michael Huppertz, als ich ihn fragte, wie wir diesen endlos scheinenden Lockdown durchhalten sollen. "Damit macht man sich auch das Leben schwer." Als Beispiel nennt er die Schulen, die sonst doch immer so verhasst waren und mittlerweile ein Image haben, "als seien sie Ableger des gelobten Landes". Dabei würden sicherlich auch viele Kinder gerne zu Hause sein, im Schnee spielen, fernsehen, vermutet Huppertz.

"Sie haben Angst, dass sie, wenn sie sich nicht melden und klagen, übersehen werden."

Möglich, dass wir unseren früheren Alltag, mit in die Schule und ins Büro fahren, gerade idealisieren. Möglich, dass das viele von uns auch gar nicht so sehr vermissen. Dass wenn wir wieder zu unserem gewohnten Alltag zurückkehren, feststellen, dass es ähnlich geil ist wie ein Besuch bei McDonald's: Man ist ewig jappig auf diesen Burger und merkt dann beim ersten Bissen, dass er nach Pappe schmeckt.

Vielleicht stimmt es auch, wenn Huppertz sagt, dass bei manchen Menschen gerade eine Tendenz entsteht, etwas von dem Mitgefühl abbekommen zu wollen. "Sie haben Angst, dass sie, wenn sie sich nicht melden und klagen, übersehen werden."

Ist es nicht aber auch ein bisschen menschlich, zu klagen und gesehen werden zu wollen? Und ist es schon Klagen, wenn man sich eingestehen muss: Boah, ich hab' jetzt alles versucht. Ich habe jeden Spaziergang gemacht, jedes Brot gebacken, jede Schublade in meiner Wohnung neu sortiert. Und ich komm trotzdem nicht aus dem Quark. Und irgendwie ist diese Quark-Schüssel, in der ich gelandet bin, auch größer, als ich anfangs dachte. Bis ich mich durchgefuttert habe, bin ich dreimal übersättigt.

Die Lockdown-Verlängerung war dennoch richtig

Dennoch würde ich diesen Lockdown niemals infrage stellen. Dass am Mittwoch überhaupt darüber diskutiert wurde, ob wir jetzt schon Lockerungen brauchen, fand ich absolut absurd. Weder sind die Infektionszahlen niedrig genug, noch sind genügend Menschen geimpft, um aktuell wieder schrittweise zur Normalität zurückkehren zu können. Und damit wir das irgendwann können, müssen wir noch ein paar Wochen den Hintern zusammenkneifen. Auch, wenn das Gefühl, sich selbst nicht mehr ausweichen zu können, mittlerweile unausweichlich ist.

Laut Huppertz sollte man allerdings genau das jetzt tun, um weiter gut durch die Pandemie zu kommen: "Von sich absehen und schauen, wie es den wirklich und schwerwiegend Betroffenen geht." Sich zum Beispiel dafür einsetzen, dass nicht nur die reichen Länder an Impfstoff kommen und die ärmeren dadurch noch mehr abgehängt werden. Und sich schlichtweg darauf konzentrieren, was wir in der Pandemie bereits erreicht haben.

"Eines Tages werden wir wieder mit frisch geschnittenen Haaren unsere Freunde zur Begrüßung umarmen und mit ihnen gemeinsam einen Gin Tonic an der Bar trinken."

Bis zu einem gewissen Grad ist es normal, dass es einem erst mal schlechter geht, bevor es besser wird. "Die meisten Menschen lassen sich auch operieren oder machen eine Chemotherapie, wenn sie dadurch überleben", sagt Huppertz. "Dass es ihnen eine Zeitlang schlechter geht, nehmen sie in Kauf und stellen deshalb nicht die Therapie infrage. Die Behandlung der Pandemie entspricht dem in etwa, nur, dass es mehr oder weniger alle Menschen auf diesem Planeten betrifft." Diese Sichtweise könne helfen. Und außerdem habe der Lockdown ja auch nicht nur schlechte Seiten.

Das stimmt natürlich. Nur schlecht ist nichts. Und: Alles hat ein Ende. Auch dieser Lockdown. Auch, wenn es sich manchmal nicht so anfühlt. Eines Tages werden wir wieder mit frisch geschnittenen Haaren unsere Freunde zur Begrüßung umarmen und mit ihnen gemeinsam einen Gin Tonic an der Bar trinken. Das Schlimmste, was den meisten von uns bis dahin passieren kann, ist, dass wir noch eine weitere Serie bei Netflix bingewatchen müssen. Das können wir verkraften.

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