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Mental Health To Go

Abschied nehmen: Wann es heilsam ist, Dinge zu beenden

Photo of single man walking or leaving through a forest landscape in a country road during autumn day. Rear view of Man walking through woods with light ahead, after the rain stopped and the sun now s ...
Goodbye zu sagen, ist nicht leicht. Oftmals ist es trotzdem das Richtige.Bild: E+ / ljubaphoto
Mental Health To Go

Abschiede: Manchmal ist es heilsam, Dinge zu beenden

Etwas gehen zu lassen, fällt vielen von uns schwer. Manchmal ist es einfach Gewohnheit, Bequemlichkeit oder man hat etwas schlicht lieb gewonnen. Unser Kolumnist ist sich aber sicher: Wir brauchen immer wieder Luft und Raum für Neues.
05.10.2024, 08:4605.10.2024, 08:56
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Ich sitze im Zug auf dem Weg von Köln nach Hamburg und schreibe diese Kolumne. Seit einigen Tagen drücke ich mich ein wenig vor dem Schreiben, denn ich weiß: Wenn ich die Kolumne am Ende in die Redaktion schicke, wird es die letzte "Mental Health To Go"-Kolumne für watson gewesen sein. Damit endet diese Kolumne und das tut weh.

Auf der anderen Seite ist diese Entscheidung eine, die wichtig war. Ich möchte gerne eine neue Form finden, um das Thema mentale Gesundheit größer in der Gesellschaft zu verankern. Es ist und bleibt mein Herzensthema und so braucht es eine neue Entwicklung. Darauf freue ich mich auch.

Verstärkt wird meine Traurigkeit allerdings dadurch, dass ich fast zeitgleich noch einen weiteren Abschied verarbeiten muss: Er mag für viele banal sein, aber für mich ist es ein kleines, emotionales Desaster.

Manchmal muss man loslassen, um nach vorne schauen zu können

Als mein Hund Dante vor einigen Jahren plötzlich verstarb, versuchte ich ihn noch vergeblich zu retten, indem ich mit ihm zum Tierarzt fuhr. Ich trug ihn in meinen alten Range Rover. Er lehnte seinen Kopf an die Heckscheibe, drückte seine Schnauze gegen das Glas. Als ich ohne Dante wieder zurück nach Hause fuhr, sah ich im Rückspiegel noch die Abdrücke seiner Nase an der Scheibe. Das ist jetzt sieben Jahre her. Ich habe den Abdruck nie entfernt. So fuhr immer ein Stück Dante mit mir mit. Gestern habe ich den Wagen verkauft. Und bin unter Tränen mit dem Taxi davon gefahren.

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Loslassen: gar nicht so leicht.Bild: Remi Walle / Unsplash

Den Range Rover zu verkaufen, hatte zunächst ganz realistische Gründe, redete ich mir ein. Er war alt, laut, als Oldtimer zwar günstig und sehr lässig, aber für den täglichen Gebrauch einfach nicht ideal. Weite Strecken waren immer problematisch, es macht in meiner Lebenssituation keinen Sinn. Es war also Zeit, Abschied zu nehmen.

Über "Mental Health to go"
Deutschland ist erschöpft, sagen Expert:innen. Ob jung oder alt, ob Gen Z oder Boomer, viele kommen einfach nicht klar. Alles too much, alles nicht so, dass sich das Leben gut anfühlt. Was also tun? Das wird, da ist sich Mike Kleiß so sicher wie viele Expert:innen, das zentrale Thema unserer Gesellschaft werden. Je klarer wir mit uns und der Welt sind, je mehr wir gut auf uns achten, desto besser kann die Welt für uns werden. Wir müssen es eben nur tun! In "Mental Health to go" bekommt Ihr jede Woche ein kleines Stückchen Energie. Tipps und Anregungen, nahbare Geschichten, die euch inspirieren sollen

Was ich lange selbst nicht wahrhaben wollte, ist: Ich musste Dante (und damit auch den Range Rover) gehen lassen, um endlich nach vorn schauen zu können. Immer wenn ich in den Range Rover stieg, schlüpfte ich in eine Art Zeitkapsel. Diese trug mich immer zehn Jahre zurück, in eine Zeit, als ich den Wagen gekauft hatte, als das Leben ein ganz anderes gewesen war. Auch davon wollte ich mich gestern verabschieden.

Es waren Reste von Erinnerungen, die mich fesselten, die aber auch nicht gut für meine Seele waren. So wie eine Zigarette zu rauchen. Man mag es, es ist Gewohnheit, aber man weiß, schon wenn man sie anzündet: Das ist nicht gut, das ist sogar toxisch. Und deshalb rauche ich seit zwölf Jahren nicht mehr.

Abschiede können auch Freiheit bedeuten

Der Abschied von der Zigarette war nicht halb so schlimm, wie der Abschied von Dantes Schnauzenabdruck, wie das Ende meiner Zeit mit dem Range Rover. Ich hörte einfach damit auf. Wenn ich gewusst hätte, was für eine enorme Freiheit mir der Verzicht auf die Kippen bedeutete, ich hätte wahrscheinlich sofort nach meinem Einstieg wieder aufgehört. Nicht nur die Sucht fesselte mich, vor allen Dingen die mentale Abhängigkeit bündelte unfassbar viel Energie.

Ich weiß gar nicht, wie oft ich mitten in der Nacht quer durch die Stadt fuhr, weil ich nur noch eine Zigarette in der Schachtel hatte. Aus lauter Panik, auf dem Trockenen zu sitzen, klapperte ich alle Tankstellen ab. Meist rauchte ich die letzte Kippe gar nicht mehr. Aber die Angst, ohne zu sein, war unerträglich.

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Die ersten drei Wochen als Nichtraucher waren die Hölle. Immer wieder wollte mein Kopf weiterrauchen, obwohl sehr klar war, dass Freiheit mein Lohn sein würde. Doch irgendwie hatte ich genug mentale Stärke in mir, um über die Hürde zu kommen. Nach drei Wochen hatte ich sie genommen und atmete am Meer durch. Und seither genieße ich ganz bewusst die Freiheit, jeden Tag.

Alleine die Energie, die Zeit für die Beschaffung, die Gedanken rund um die Kippen, all das sind Kapazitäten, die ich seit über einem Jahrzehnt anders und besser nutzen kann. Einfach nur, weil ich mich entschieden habe. Gegen die Zigaretten, für einen Abschied, für einen Neuanfang.

Mehr Raum für mentale Gesundheit: Ein Satz hat mir geholfen

In meiner ersten Kolumne habe ich davon geschrieben, dass wir mehr Raum für unsere mentale Gesundheit brauchen. Dass viele Menschen in Deutschland erschöpft sind. Und hier schließt sich der Kreis. Wir können und sollten uns mehr Raum für Entscheidungen lassen. Ich finde, wir müssen das sogar priorisieren. Nur wer gute Entscheidungen für sich treffen kann, schafft Raum für Bewegung, Entwicklung. Unsere Seele braucht Platz, sonst ersticken wir und das macht krank.

Vor allen Dingen aber ist es wichtig, sich von Dingen zu trennen, die keinen Sinn machen. Das kann etwas Emotionales sein, aber auch schlicht ein Wechsel des Berufs. Dabei ergibt es Sinn, genau hinzusehen.

Ein guter Freund und Coach sagte einmal zu mir: "Vielleicht ist jetzt einfach nicht die Zeit, um eine Entscheidung zu treffen." Er sagte diesen Satz, weil ich fassungslos über mich selbst war, dass ich so furchtbar lange für einige Abschiede brauchte. Und dieser Satz begleitet mich immer dann, wenn ich wieder gefangen bin. Wenn ich gelähmt bin. Er beruhigt mich, um dann meist wenig später eine gute Entscheidung treffen zu können.

Es fühlt sich übrigens toll an, mit dem Zug und nicht mit dem Range Rover zu fahren. Ich habe plötzlich viel mehr Raum, die Kolumne zu schreiben. Tut gut.

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