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ADHS bei Müttern: Natalia Lamotte über Diagnose und Leben mit Kindern

Stressed out mother sitting on floor in middle of toys while children naughty running around her at room. Woman alone burnout with kids. Family home with chaos, mess. Motion blur for speed, real life.
Tausend neue Aufgaben, Lärm und Chaos: Elternschaft ist Öl ins Feuer eines ADHS-Hirns.Bild: iStockphoto / NataliaDeriabina
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ADHS und Mutterschaft: Zwischen Reizüberflutung und kreativem Chaos

"Wann muss Theo nochmal da sein?", "Im Turnbeutel für Lia fehlen die Hallenschuhe", "Halt doch bitte mal still jetzt, Madleen!", "Wie, heute ist Zahnarzt-Vorsorge? Ich muss arbeiten!" – so ähnlich klingt Alltag in Familien. Stress pur für neurotypische Menschen, aber für Menschen mit ADHS? Ein unlösbares Puzzle sich überlappender Mikroaufgaben.
30.07.2025, 19:0830.07.2025, 19:08
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Während Jungs ihre ADHS-Diagnose oft schon im Kindesalter erhalten, wird die Mehrheit der Frauen erst im Erwachsenenalter diagnostiziert, oft wenn sie Mütter werden und ihr bisheriges Organisations- und Regulationssystem kollabiert.

Natalia Lamotte, selbst vierfache Mutter und neurodivergent, hat das erlebt. Sie will mit ihrem Buch "Chaos, Kinder & Konfetti. Was neurodivergente Mütter entlastet, stärkt und ihnen neues Selbstbewusstsein schenkt" (Kösel Verlag) Mut machen.

In watson berichtet sie über fiese Selbstkritik, eine späte (aber erleichternde!) Diagnose und wann Mütter mit ADHS mal so richtig glänzen können.

"Ein neurotypischer Mensch verpasst auch mal einen Flug in seinem Leben, klar. Aber doch nicht vier- oder fünfmal!"

"Wie bei vielen Frauen wurde auch mein ADHS erst erkannt, als ich Mutter wurde. Dabei hatte ich schon mein Leben lang Symptome.

Ich fühlte mich oft dumm, statt die ADHS-Symptome zu erkennen

Zum Beispiel kann ich Langeweile schwer aushalten. Die zehn Minuten, die man beim Friseur am Waschbecken wartet, bis die Haarkur einwirkt, ohne ein Handy in der Hand zu haben – sowas ist für mich eine harte Challenge.

Oder die Tatsache, dass ich immer wieder die gleichen Fehler mache, weil ich – egal, wie sehr ich mir das Gegenteil vornehme – den Reisepass vergesse oder das Datum verwechsele. Ein neurotypischer Mensch verpasst auch mal einen Flug in seinem Leben, klar. Aber doch nicht vier- oder fünfmal! Es gab bei mir keinen Lerneffekt.

Natalia Lamotte ADHS Mutter
Natalia Lamotte hat vier Kinder und ADHS. Bild: privat

Ich verpackte mein Chaos in lustige Anekdoten, aber in Wahrheit schämte ich mich dafür und fragte mich, warum ich die Einzige bin, die so unfähig ist, ihren Alltag nicht hinzubekommen. Ständig versuchte ich, mich besser zu organisieren, aber neurotypische Methoden fruchteten nicht. Da kaufte ich einen Kalender, bunte Textmarker und vergaß dann die Termine einzutragen. Ein Frust.

Mit der Geburt meiner Kinder spitzte sich das zu. Während andere Frauen sich nach ein paar Jahren in ihrer Mutterrolle einfinden, blieb ich permanent überfordert.

Ich merkte, wie schwer es mir fiel, die Emotionen eines wilden Kleinkinds auszuhalten, weil ich meine eigenen nicht richtig regulieren konnte. Zudem griffen meine alten Methoden zum Herunterkommen nicht mehr.

Leben mit Kindern sprengt den Alltag nicht nur organisatorisch

Jeder Mensch mit ADHS entwickelt Bewältigungsstrategien, die das Leben leichter machen. Aber vieles lässt sich als Mutter nicht mehr umsetzen. Ich habe mich zum Beispiel gerne hyperfokussiert – also die ganze Nacht an einem Thema gesessen, nicht geschlafen, nicht gegessen, bis Wissensdurst oder Kreativität befriedigt waren. Andere brauchen Sport oder viel Schlaf, um mit ihrem ADHS umzugehen.

Doch mit Kindern hat man keine drei Stunden am Stück Ruhe für sich. Reizüberflutung war angesagt. Gleichzeitig kamen tausend neue Organisationsaufgaben hinzu. Ich musste nicht mehr nur ein Leben planen, sondern fünf. An Kindergeburtstage denken, die Badehose am Dienstag, die Unterschrift für den Kita-Ausflug – hundert neue Gelegenheiten, um zu scheitern.

Das Problem war nur, dass nicht mehr nur ich unter meinem Chaos litt. Klar, früher war es hart, wenn ich einen Flug verpasste und draufzahlen musste. Aber nun traf es meine Kinder. Ständig zu spät auf Geburtstagen zu erscheinen ist unangenehm – sowohl für sie als auch für mich. Ich hatte das Gefühl, es müsste sich etwas ändern und holte mir deshalb Hilfe.

"Viele neurodivergente Frauen sind kreativ und emphatisch. Es kann für Kinder sehr schön sein, Eltern zu haben, die gerne Quatsch machen."

Sehr typisch: bei Frauen wird ADHS oft mit der Mutterschaft erkannt. Entweder weil ihr Organisationssystem implodiert oder weil ihre Kinder in der Grundschule diagnostiziert werden und die Mamas dann merken: 'All diese Symptome auf dem Merkblatt hab ich eigentlich auch schon mein Lebtag lang.'

Dass ich ADHS haben könnte, erkannte ich durch Social Media, vor allem durch Angelina Boerger. Vieles, was sie schilderte, kam mir wahnsinnig bekannt vor. Die offizielle Diagnose zu haben, war dennoch ein Gamechanger.

Warum die Diagnose ADHS eine Erleichterung war

Es bedeutete, dass ich nicht einfach unfähig oder faul war, wie ich mir in fiesen Momenten vorgeworfen hatte, sondern mein Gehirn anders funktioniert. Ich konnte mir endlich verzeihen, dass mein Alltag nicht so glattlief und begann, mich nach eigenen Organisationsmethoden umzusehen.

Das ist etwas, was ich Müttern mit ADHS rate: Beobachtet, wann genau ihr im Alltag scheitert und was euch leichtfällt. Brauche ich die Nachtstunden für mich oder tut mir ein frühes zu-Bett-gehen gut? Bist du morgens nicht zu gebrauchen, kann der Partner oder die Partnerin – sofern vorhanden – den Frühstücksdienst übernehmen und du machst dafür die Einschlafbegleitung.

Natalia Lamotte Buchcover Chaos Kinder & Konfetti, ADHS als Mutter
Das Buch ist am 30. Juli 2025 erschienen.Bild: Kösel Verlag

Oder wenn dir Sport hilft, du aber keine Routinen magst, gestalte es so reizvoll wie möglich: suche eine Freundin, die mitmacht oder zieh dein Outfit direkt nach dem Aufstehen an. Der Trick ist, zu erkennen, welche Hürden es vorzubeugen gilt.

Eine Standardlösung gibt es nicht, aber sobald die Neurodivergenz erkannt ist, kann man Strategien finden, unter Umständen Medikamente nehmen, aber in jedem Fall das schlechte Gewissen ein Stück weit loslassen.

Mit der Diagnose wurde auch die Beziehung zu meinem Mann besser. Mein schlechtes Time-Management hat ihn verrückt gemacht. Zum Beispiel, wenn wir losmussten, ich aber begann, alle Küchenschubladen zu staubsaugen, weil mein ADHS-Hirn der Reinigung spontan Prio Eins zugeordnet hat. "Wir müssen los! Was stimmt nicht mit dir?!", solche Streitereien gab es öfter. Nun haben wir die Antwort. Statt Vorwürfe zu machen, ruft er mich jetzt sogar manchmal vor wichtigen Terminen an und sagt: "In 15 Minuten müsstest du los, wenn du das Kind rechtzeitig zum Arzt bringen willst." Das hilft enorm.

Ich möchte Müttern mit ADHS, aber auch Frauen, die nur aufgrund der Diagnose vor einem Kinderwunsch zurückschrecken, diesbezüglich Mut machen.

Chaotische Familie: Neurodivergenz wird häufig weiter vererbt

Klar müssen einige von uns mal an einen Schulausflug erinnert werden, aber viele neurodivergente Frauen sind auch kreativ und emphatisch. Es kann für Kinder sehr schön sein, Eltern zu haben, die gerne Quatsch machen, enormen Gerechtigkeitssinn haben und sensibel auf Gefühle eingehen.

Die Diagnose hat mir auch geholfen, meine Mutter besser zu verstehen. Sie war sehr emotional, es herrschte oft Chaos. Wen wundert's. ADHS hat eine Heritabilität von 80 Prozent, wird häufig vererbt.

Als ich meiner Mutter von meiner Diagnose erzählte, sagte sie nur: 'Ach was, ist bei mir genauso!' Und ich dachte nur: 'I know! Deshalb sage ich es dir.' Es versöhnte mich mit vielen Schwierigkeiten aus meiner Kindheit.

Mir wurde klar: Nicht nur bin ich eine Mutter mit ADHS. Ich bin auch das Kind einer Mutter mit ADHS.

Ich sehe meine ganze Familie nun anders. Wenn meine Verwandten zusammenkommen, geht ständig was zu Bruch. 'Ist halt eine crazy Sippe', dachte ich früher. Heute erkenne ich einen Haufen neurodivergenter Leute.

Ich kann anderen Frauen, besonders Müttern, nur raten, eine Diagnose im Zweifel abchecken zu lassen, statt sich mit Schuldgefühlen zu plagen. Die Gesellschaftsstrukturen sind nicht gemacht für Menschen mit anderen neurologischen Betriebssystemen. Daher: wenn du das Gefühl hast, du versagst als Frau und als Mutter, ist es vielleicht weder deine Intelligenz noch deine Kompetenz – sondern einfach ADHS."

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