Zwei Väter über ihre Regenbogenfamilie: "Queere Menschen sind noch nicht Alltag"
Den Moment, als Steve und Frank ihre Tochter zum ersten Mal sehen, beschreiben beide als surreal. Kurz nach der Geburt ihres Adoptivkinds sind sie im Krankenhaus. Es ist 2022, zu dem Zeitpunkt neigt sich die Corona-Pandemie erst langsam dem Ende, deswegen gilt FFP2-Maskenpflicht. Neben dem medizinischen Personal sind auch Mitarbeitende vom Jugendamt vor Ort; sie begleiten das erste Aufeinandertreffen der beiden mit ihrer Tochter.
"Dadurch war erst mal eine Distanz da", erinnert sich Steve im Gespräch mit watson. "Es hat sich angefühlt, als würde genau beobachtet, wie wir reagieren und uns verhalten". Dann sei aber zum Glück eine Hebamme hereingekommen. "Sie meinte: 'Was macht ihr denn da? Ihr zieht jetzt sofort eure Masken und Oberteile aus und legt euch das Kind auf die Brust!'"
"Dafür sind wir ihr bis heute dankbar, weil wir uns dann wirklich voll auf unsere Tochter einlassen konnten", meint Frank. In dem Moment seien sie richtig angekommen und hätten erst mal ein paar Tränen verdrückt.
Erst zwei Wochen vor der Geburt kam der Anruf vom Jugendamt
Doch bis sie ihre "Zaubermaus" – so nennen Steve und Frank ihre Tochter auf Instagram – in den Armen halten konnten, mussten sie einen langwierigen, bürokratischen Weg gehen. Denn bevor man für eine Adoption infrage kommt, müssen viele Termine mit dem Jugendamt absolviert und eine Menge Papierkram eingereicht werden.
Auch die Kommunikation mit der leiblichen Mutter muss abgestimmt werden. Im Fall von Franks und Steves Tochter hat sich die Frau schon früh entschieden, ihr Kind direkt nach der Geburt zur Adoption freizugeben. Sie wollte anonym bleiben, bekam aber die Möglichkeit, sich die Adoptiveltern auszusuchen. Und ihre Wahl fiel auf Frank und Steve.
Den Anruf, dass sie "Papa und Papi" werden, bekamen Frank und Steve erst zwei Wochen vor der Entbindung. "Das klingt nach wenig, aber bei manchen Adoptionen bekommt man erst am Tag der Geburt einen Anruf", meint Steve. Dann blieben höchstens ein paar Stunden zur Vorbereitung.
Mit Unterstützung von Familie, Freund:innen und Bekannten konnte das Paar in den zwei Wochen aufholen, wofür andere neun Monate Zeit haben. Eine große Hilfe war eine Nachbarin, die selbst Mutter ist.
"Eine halbe Stunde, nachdem wir ihnen gesagt hatten, dass wir Eltern werden, hat sie uns eine riesige Kiste mit Erstlingskleidung gerichtet", erzählt Steve. Am selben Tag standen ein Kinderwagen und zwei Babysitze fürs Auto vor der Haustür.
Die größere Herausforderung war die berufliche Umstellung. Frank ist selbstständig, Steve ist bei ihm angestellt. Dadurch ist das Paar beruflich flexibler als andere, als durch Steves Elternzeit innerhalb von zwei Wochen eine 30-Stunden-Kraft wegfiel, war das aber nur schwer zu kompensieren.
"Da hatten wir einige schwierige Momente, in denen wir beide überfordert waren", meint Frank. Seine Auftraggeber hätten sich aber größtenteils verständnisvoll gezeigt.
So teilen sich zwei Väter die Care-Arbeit nach der Adoption auf
Zu Hause angekommen, dauerte es nicht lange, bis das frisch gebackene Dreier-Team eingespielt war. Ziemlich schnell machten Steve und Frank die Erfahrungen, die wohl allen Eltern vertraut sind: "Wenn der Schlafmangel da ist und das Kind schreit, kommt man manchmal in Situationen, in denen man mit der Geduld am Ende ist."
Die Care-Arbeit versuchen sie fair aufzuteilen. Da Steve aber weniger als Frank arbeite, sei es nur logisch, dass er eher mal zum Kinderarzt mitgehe oder den Terminkalender im Blick behalte. Trotzdem:
Für Frank hat sich mit dem Vatersein beruflich insofern etwas geändert, als er nun seine Aufträge anders auswählt. "Ich nehme nicht mehr alles an, worauf ich Lust habe. Ich wähle vor allem Angebote, die nah bei uns liegen, damit ich nicht so viele Nächte auswärts verbringe." Vor der Geburt der gemeinsamen Tochter sei er im Jahr durchschnittlich 60 Nächte beruflich weg gewesen; mittlerweile seien es nur noch rund 20. "Da verschieben sich einfach die Prioritäten", sagt Frank.
Regenbogenfamilie ist online mit Vorurteilen konfrontiert
Während sich die Regenbogenfamilie im realen Leben weitgehend in einer toleranten Bubble bewegt, sieht das online ganz anders aus. Auf ihrem Instagram-Kanal 2papas.mit.zauber teilen sie regelmäßig Einblicke aus ihrem Alltag.
"Da bekommen wir häufiger mal zu lesen, dass dem armen Kind eine Mutter fehlen würde", erzählt Steve. Doch dieses Vorurteil ist aus seiner Sicht völlig haltlos: "Ein Kind braucht Liebe, Sicherheit und einen strukturierten Alltag. Das können Eltern unabhängig ihres Geschlechts bieten."
Und wenn ihre Tochter eine weibliche Bezugsperson brauche, habe sie Patentanten, Erzieherinnen, Nachbarinnen oder ihre beiden Omas.
Steve führt solche Vorurteile auf klischeehafte Rollenbilder zurück, bei denen der Vater nie Gefühle zeige, während die Mutter Liebe und Wärme spende. "Auch Männer haben einen Elterninstinkt. Wir können genauso Gefühle zeigen und Liebe spenden wie Frauen", meint der 32-Jährige.
Trotzdem: Dass ihre Tochter irgendwann negative Erfahrungen in der Kita oder Schule machen wird, weil sie zwei Väter hat, scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. "Davor habe ich schon Angst", gesteht Steve ein. "Aber wir versuchen sie jetzt schon so resilient und eloquent zu erziehen, dass sie eine passende Antwort parat hat und das gar nicht so nah an sich heranlässt".
Und Frank fügt an: "Für uns ist wichtig, dass sie weiß, dass sie bei uns einen sicheren Hafen hat."
Gesellschaftliches Klima verändert sich: queere Menschen unter Druck
Die Vorurteile und Hasskommentare, die ihnen vermehrt online begegnen, sieht das Paar als Folge eines sich verändernden gesellschaftlichen Klimas.
Deswegen sei sowohl ihre Liebe als auch ihre Familienkonstellation politisch. "Queere Menschen sind immer noch nicht Alltag. Wir werden teils immer noch als Aliens gesehen", sagt Frank.
Deswegen ist den beiden daran gelegen, auf ihrem Instagram-Kanal viele Ausschnitte aus ihrem alltäglichen Leben zu zeigen. "Ich poste beispielsweise immer in unsere Story, wie ich der Zaubermaus morgens die Haare mache. Das ist total unspektakulär, aber es zeigt einfach, dass es bei uns nicht anders läuft als bei anderen", betont Steve. "Wir sind eine ganz normale Familie."
Wie lange es dauert, bis Regenbogenfamilien breite gesellschaftliche Akzeptanz erfahren, lässt sich schwer einschätzen. Aber Steve und Frank feiern immer wieder kleine Erfolge. Erst kürzlich hat ihnen wieder eine Frau geschrieben, die viele Vorurteile hatte, aber durch den Instagram-Kanal zum Umdenken angeregt wurde.
"Das hat uns sehr berührt und auch ermutigt, weiterzumachen", sagen beide. "Wenn eine Person den Mut hat, uns zu schreiben, dass wir ihre Ansichten geändert haben – wie viele erreichen wir dann, die uns das nicht mitteilen?"