Leben
Nah dran

Mutter-Kolumne: "Mein Sohn ist selbst schuld daran, dass er Einzelkind bleibt"

Mother and son sitting at the table with laptop. Mother is consulting online. Looking sad and frustrated.
Ein Kind ist schon anstrengend genug, findet unsere Autorin. (Symbolbild)Bild: E+ / svetikd
Nah dran

Mutter: "Geht es nur darum, was das Kind braucht oder auch darum, was ich brauche?"

"Schonungslos ehrlich" – die Mama-Kolumne ohne Insta-Filter
25.01.2021, 21:25
Mehr «Leben»

Ein Running Gag zwischen meinem Mann und mir, bei jedem Eklat, den unser Sohn veranstaltet: "Einzelkind, beste wo gibt". Auch im Familien- und Freundeskreis witzeln wir häufig darüber, dass unser Sohn selbst daran schuld sei, dass er Einzelkind bleibe. Weil er ab der ersten Sekunde lauthals fordernd war und uns bis heute regelmäßig an unsere Grenzen bringt.

Da unser Umfeld mitbekommen hat, welche Täler wir mit einem High-Need-Baby durchschritten haben und weil ich nie verheimlicht habe, dass mich Mutter zu sein unglaublich anstrengt und keinesfalls komplett erfüllt, kamen die Fragen nach dem Zweiten ziemlich spät. Vor einem halben Jahr ging es langsam los. Selbst meine Mutter, die sich wirklich nie ungefragt einmischt, begann ihre Sätze plötzlich mit: "Hätte er jetzt ein Geschwisterchen..." Eine Freundin schwang dann den Holzhammer: "Einzelkind? Das könnt ihr dem armen Kerl doch nicht antun!"

"Was sollten wir uns nicht (noch mal) antun?"

Für mich stellt sich nach drei Jahren eher folgende Frage: Was sollten wir uns nicht (noch mal) antun? Geht es nur darum, was das Kind braucht oder auch darum, was ich brauche? Inzwischen weiß ich sehr genau, was ich dringend in meinem Leben brauche: mehr Schlaf für mehr Ausgeglichenheit; mehr Zeit für mich allein, in der ich Gedanken nachgehen kann, um kreativ zu sein; mehr Möglichkeiten, beruflich wieder voll einzusteigen, um mich zu verwirklichen und meine finanzielle Unabhängigkeit zu wahren; mehr Ästhetik, die mich täglich umgibt – ob in Kleidung, kulturellen Dingen, Design oder der Architektur einer Stadt; mehr Reisen, um neue Impulse zu bekommen; und zuletzt mehr ungestörte Zeit mit meinem Partner. All das ist mit einem Kleinkind unglaublich schwierig. Mit einem – weiteren – Baby unmöglich.

Unsere Autorin berichtet über die unschönen Seiten des Mutterdaseins – schonungslos ehrlich.
Unsere Autorin berichtet über die unschönen Seiten des Mutterdaseins – schonungslos ehrlich.Bild: Emmy Lupin Studio
Unsere Autorin...
... wurde mit Anfang 30 Mutter. Und kommt noch immer nicht damit klar, dass ihr altes, schönes Leben seitdem vorbei ist. Sie ist wütend, dass Eltern nie den Mut hatten, zu erzählen, was es wirklich bedeutet, ein Kind zu haben. Aus diesem Grund legt sie alle zwei Wochen den Finger in die Wunde – und berichtet schonungslos. Und weil sie weiß, dass Mütter sehr giftig werden können, wenn es um ihr Heiligstes geht, bleibt sie lieber anonym. Die täglichen Entrüstungsstürme ihres Sohnes reichen ihr völlig aus.

Ich selbst war kein Einzelkind – braucht mein Sohn deswegen Geschwister?

Ich bin selbst mit drei Geschwistern aufgewachsen und ich schätze es sehr, mit ihnen verbunden zu sein und regelmäßig mit der Großfamilie zusammenzukommen. Aber wenn uns am Wochenende schon dieses eine Kind wieder so sehr schafft, dann ist der entfernteste aller entferntesten Gedanken, ein weiteres Kind zu zeugen. Sollen wir unser hart erarbeitetes Niveau wieder aufgeben? Und den ganzen Mist noch mal von vorne beginnen? Gerade jetzt, wo ab und zu mal ein Lichtblick durchdringt?

Vor ein paar Wochen hat sich mein Sohn zum ersten Mal vor den Lautsprecher gesetzt, um 30 Minuten am Stück einem Hörspiel zu lauschen. Hätte ich in der Zwischenzeit nicht dringende E-Mails beantworten müssen, hätte ich vielleicht vor Glück geheult.

"Einzelkinder sind sogar kontaktfreudiger – leuchtet irgendwie ein. Zudem seien sie selbstbewusster, kreativer, leistungsfähiger und würden häufiger Führungspositionen übernehmen."

Also egoistisches, verwöhntes, intolerantes Einzelkind olé? Diese Klischees sollten wir endlich loswerden. Neuere Studien haben nämlich bewiesen, dass sich Einzelkinder kaum von Kindern mit Geschwistern unterscheiden. Ganz im Gegenteil: Einzelkinder sind sogar kontaktfreudiger – leuchtet irgendwie ein. Zudem seien sie selbstbewusster, kreativer, leistungsfähiger und würden häufiger Führungspositionen übernehmen. Voilà!

Und einsam? Oh nein! Dieses Kind wird von Großeltern mit Liebe und Aufmerksamkeit überschüttet und erlebt mit ihnen die tollsten Abenteuer. Wir treffen uns regelmäßig mit anderen Kindern, er hat schon jetzt sechs Cousins und Cousinen, bald acht. Und einige seiner Tanten und Onkels kommen nicht mehr uns besuchen, sondern unseren Sohn, weil sie ihn spätestens nach drei Wochen vermissen.

Ich finde ein Kind echt ok. So ist man nicht immer gleich als lärmende Großfamilie unterwegs, bei der man selbst die Augen verdreht, sobald sie den Flieger betritt. Und möchte man endlich wieder nur zu zweit verreisen, lässt sich das eine Kind sicher einfacher unterbringen. Das Risiko, als Eltern bis ans Lebensende durch Probleme jeglicher Art gefordert zu sein, ist ebenfalls minimiert.

Manchmal frage ich mich: Was, wenn es meinen Mann und mich nicht mehr gibt?

Nein, ich selbst bräuchte kein zweites Kind. Ich habe die Erfahrung einmal gemacht, ich bin durch. Nur eine Sache macht mich nachdenklich. Was, wenn mir oder meinem Mann etwas zustößt? Wenn einer von uns schwer krank wird? Und der entscheidende Gedanke: Was, wenn wir irgendwann beide nicht mehr leben?

"Trotzdem wäre es schön, Momente mit einem Bruder oder einer Schwester teilen zu können."

Natürlich hat er dann hoffentlich enge Freunde, eine Beziehung oder eine eigene Familie, die ihn auffangen. Und trotzdem wäre es schön, solche Momente mit einem Bruder oder einer Schwester teilen zu können. Dann denke ich eine Sekunde darüber nach, ob wir dieses Thema für ihn noch mal angehen sollten. Keinesfalls jetzt. In den nächsten ein, zwei Jahren vielleicht – irgendwann. Oder auch nicht. Mal sehen.

Corona-Comeback: So äußern sich die Symptome der neuen Variante

Mittlerweile ist es geschehen, wir haben mit Corona leben gelernt. Es war ein langer Weg, einer, der besonders steinig war. Die Pandemie wirbelte die Welt durcheinander. Lockdowns, Proteste, Ungewissheit. Über das Virus war schlicht zu wenig bekannt. Heute sind wir deutlich klüger.

Zur Story