Das Baby soll schlafen? Klingt banal. Wollen das nicht alle? Ist Schlafen nicht das Nummer 1-Thema aller Eltern, worüber sie am liebsten schwadronieren? Möglich. Aber mir geht es um etwas anderes. Nicht darum, dass ich selbst keinen Schlaf finde weil das Kind die ganze Nacht wach wäre. Nein, die geschlossenen Augen meines drei Monate alten Babys sind aktuell die Grundlage dafür, dass ich mein Leben auch nur halbwegs in den Griff bekomme, dafür, dass unser Familienkonstrukt nicht in sich zusammenfällt.
Klingelt morgens der Wecker, ziehe ich im Zeitlupentempo meine Brustwarze aus dem Mund meiner Tochter und hoffe, dass sie weiterschläft, damit ich erst mich und dann meinen vier Jahre alten Sohn anziehen kann. Nur so ist es möglich, dass die ersten Momente des Tages nicht mit einer derart lauten Geräuschkulisse beginnen, die den Puls bei allen direkt nach oben schnellen lässt. Ein leichtes Flattern ihrer Lider. Neeeein, bitte mach die Augen zu!
Vormittags packe ich sie in den Kinderwagen und laufe so lange, bis sie die Tiefschlafphase erreicht. Schläft sie, stelle ich den Wagen im Flur ab. Ab jetzt läuft die wichtigste Zeit des Tages in der ich mein Leben zusammenhalte: Ich wasche Wäsche, führe wichtige Telefonate, verschicke ausgefüllte Formulare, überweise Rechnungen, mache Termine, beantworte Emails und schreibe Texte. Doch dann passiert es hin und wieder, dass ich den Wagen abstelle und sich ein kleiner Schlitz zwischen ihren Augenlidern abzeichnet.
Ich weiß, was das bedeutet. Sofort ruckele ich am Wagen, vor, zurück, vor, zurück. Zehn Minuten, zwanzig Minuten. Höre ich auf, ist der Schlitz wieder da. Mach doch bitte die Augen zu! Nach dreißig Minuten gebe ich auf. Die Wäsche bleibt liegen, den Rest erledige ich zum Teil einhändig, laufe mit Kind an der Brust durchs Treppenhaus oder telefoniere mit Babygebrabbel im Hintergrund.
Einkaufen mit ihr? Horror. Im Kindersitz schreit sie jeden Supermarkt zusammen. Es funktioniert also nur die Trage. Ich packe sie hinein und hoffe: Bitte mach die Augen zu. Anderenfalls renne ich mit einem sich aufbäumenden Kind vor der Brust durch den Markt, werfe nur noch die wichtigsten Basics in den Wagen, hüpfe an der Kasse auf und ab um das Schreien abzumildern und schwitze durchgehend.
An zwei Tagen in der Woche muss ich meinem Sohn ein warmes Mittagessen servieren. Auf dem Rückweg vom Kindergarten schläft die Kleine manchmal ein. Ich schleiche mit dem Kindersitz ins Haus, weise den Großen zurecht, bloß leise zu sein und hoffe, sie würde noch weiterschlafen, um wenigstens das Mittagessen zubereiten zu können. Denn ein Stück Fisch in Öl anbraten mit Kind auf dem Arm ist genauso nervenzehrend wie anbraten mit brüllendem Kind im Hintergrund. Ich fange an zu kochen und kann nur eines denken: Bitte lass noch ein paar Minuten die Augen zu.
Mein Sohn möchte, dass ich "Dinosaurier kämpft gegen Krokodil" mit ihm spiele. Bereits drei Mal habe ich ihn vertröstet weil ich jedes Mal am Stillen war. Jetzt schläft sie fest in meinem Arm. Ich versuche, sie in den Stubenwagen abzulegen. Ich beuge mich nach unten, verharre eine Weile in dieser Position. Ziehe meinen Arm Millimeter für Millimeter unter ihr heraus, bleibe. Entferne am Ende Finger um Finger meiner anderen Hand, warte. Als ich mich aufrichte, blickt sie mich an. Ich könnte heulen. Mach doch bitte die Augen wieder zu!
Je später es wird, desto häufiger muss ich an den Text denken, den ich dieses Mal doch rechtzeitig abgeben wollte und nicht erst wieder kurz vor Mitternacht, denn Deadline ist heute. Also gehe ich mit ihr um 19 Uhr nach oben, stille im Liegen, lasse sie neben mir liegen, setze mich Wirbel für Wirbel auf, öffne den Laptop und fange an zu tippen. Nach kurzer Zeit zuckt ihr Arm, sie dreht den Kopf, der Mund macht Saugbewegungen. Schnell lege ich mich hin. Sie trinkt mit geschlossenen Augen – und plötzlich starrt sie meine Brust an. Am liebsten würde ich schreien: Mach doch endlich die Augen zu, verdammt noch mal!
Mein ganzes Leben wird gerade von diesen Augen bestimmt – je nachdem, ob sie offen oder geschlossen sind. Ob es gut für mich läuft, weil ich alles, was anfällt, in eine Schlafphase packen kann. Oder schlecht, weil ich einhändig versuche, ein Mittagessen zu kochen. Weil ich Texte zu spät abgebe. Weil ich Fristen versäume, da selbst Kleinigkeiten liegen bleiben.
Und ganz nebenbei werde ich verrückt: Ich verfluche den Paketfahrer, der sie durchs Klingeln weckt. Ich weiche einer Bekannten schon von Weitem aus, weil "stehen bleiben" auch "aufwachen" bedeuten würde. Ich schleiche nasse, quietschende Außentreppen mit Socken hinauf. Ich laufe noch 40 Minuten vor unserem Haus auf und ab weil sie jetzt doch endlich gleich einschlafen muss.
Ich bin abhängig von diesen geschlossenen Augenlidern.