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Vaginismus: Betroffene über Symptome, Behandlungen und Mythen

Schon die kleinste Berührung kann bei Vaginismus schmerzhaft sein.
Schon die kleinste Berührung kann bei Vaginismus schmerzhaft sein. Bild: pexels / Deon Black
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Vaginismus: Betroffene sprechen über Missverständnisse, Therapien und Sex

Bei Betroffenen von Vaginismus löst jedes Objekt in der Vagina große Schmerzen aus. Das ist oft auch mit einer enormen psychischen Belastung verbunden, denn in Gesellschaft und Medizin ist diese Diagnose in vielen Aspekten noch ein blinder Fleck.
28.11.2025, 19:5828.11.2025, 19:59

Es wird kalt, piekst und oft fängt es an zu bluten: Der Moment auf dem gynäkologischen Untersuchungsstuhl ist für niemanden angenehm. Besonders auf den regelmäßigen Abstrich zur Vorsorge gegen Gebärmutterhalskrebs könnten wohl die meisten gut und gerne verzichten, wenn er für die Gesundheit nicht so wichtig wäre.

Bei Sex mit Penetration sieht das anders aus. Auch wenn dessen Bedeutung zugunsten des Patriarchats seit Jahrhunderten überinterpretiert wird, finden viele Frauen daran Gefallen.

Für die meisten Personen mit Vaginismus aber ist das unmöglich. Penetrativer Sex ebenso wie der Besuch bei der Gynäkologin oder auch das Einführen eines Tampons kann in ihrem Fall starke körperliche Schmerzen verursachen. Und das nicht nur einmal, sondern immer.

Vaginismus: Mehr als ein "Scheidenkrampf"

Denn Vaginismus ist weit mehr als ein "Scheidenkrampf", wie es der Duden definiert. Bei dieser Erkrankung zieht sich der Beckenboden reflexartig so stark zusammen, dass die kleinste Penetration heftige Schmerzen auslösen kann. Schnell entwickeln die Betroffenen Angst, im Bereich ihrer Vulva überhaupt berührt zu werden.

Die Ursachen für die massiven Verspannungen im Beckenboden sind vielfältig und können auch psychische Hintergründe haben. Entgegen oft verbreiteter Theorien geht sie aber nicht in jedem Fall auf Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch oder Gewalt zurück.

"Meine Gynäkologin sagte mir damals mit 16, dass ich meinen Freund einfach nicht genug lieben würde."
Vanessa (31)

"Bitte nicht allen Menschen mit Vaginismus ein Trauma überstülpen", mahnt daher Ann-Kathrin Foß im Gespräch mit watson. Sie arbeitet als Physiotherapeutin und Heilpraktikerin für Psychotherapie und legt ihren Fokus vor allem auf Beckenbodentraining – einen der Hauptpfeiler in der Behandlung von Menschen mit Vaginismus. "Oft spielen auch Faktoren wie Erziehung oder Religion eine Rolle", betont sie. Wenn das Thema Sex im Elternhaus etwa ein Tabu darstellt, haben Mädchen Probleme, damit offen umzugehen.

Dabei bemerken viele Betroffene die durch Vaginismus bedingten Schmerzen schon mit der Menarche, also dem Einsetzen ihrer allerersten Periode. Einen Tampon einzuführen, bedeutet für sie höllische Schmerzen. Die Rede ist hier vom primären Vaginismus. Beim ersten Besuch in einer gynäkologischen Praxis werden die Betroffenen aber oft nicht ernst genommen.

"Meine Gynäkologin sagte mir damals mit 16, dass ich meinen Freund einfach nicht genug lieben würde", erzählt Vanessa. Sie ist heute 33, ihr Weg zur Diagnose war wie bei vielen Frauen ein langer. In gynäkologischer Fachliteratur wird oft ein Durchschnittszeitraum von acht Jahren genannt, bis die Betroffenen sich Hilfe suchen.

Vanessa hat sich bis heute bewusst gegen penetrativen Sex entschieden. Diese selbstbestimmte Entscheidung fällt den meisten Betroffenen extrem schwer. "Ich habe das jahrelang unter Schmerzen einfach mitgemacht, weil mir von der Gesellschaft und durch meine Sozialisation als Frau suggeriert wurde, dass Schmerzen beim Sex okay sind", sagt Jana. "Was sie aber niemals sind."

Gemeinsam mit Vanessa hat sie vor knapp fünf Jahren eine Selbsthilfegruppe für Personen mit Vaginismus gegründet. Auf einer Website informieren sie rund um das Thema, bei regelmäßigen Treffen tauschen sich die Betroffenen in einem sicheren Raum aus.

Gynäkologen oft ratlos bei Vaginismus-Patientinnen

In der Gynäkologie wird Vaginismus laut Fachquellen schon im Jahr 1547 erstmals erwähnt. Damals war dort die Rede von einer "Verengung der Vulva, sodass selbst eine verführte Frau als Jungfrau erscheinen kann". Hier zeigt sich bereits einer der großen Mythen, die in Verbindung mit Vaginismus auch immer wieder zur Sprache kommen: über das Hymen – lange fälschlicherweise als "Jungfernhäutchen" bezeichnet.

"Das größte Missverständnis bei Menschen mit der Diagnose Vaginismus ist, dass sie denken, das sei alles ihre Schuld."
Physiotherapeutin Ann-Kathrin Foß

Diese Schleimhautfalte ist bei jeder Frau anders ausgeprägt, ihr Vorhandensein hat nichts damit zu tun, ob die Person bereits penetrativen Sex hatte oder nicht. Auch eine Verbindung zu Schmerzen während des Geschlechtsverkehrs oder Vaginismus ist in keiner Weise belegt.

Dennoch wird das Hymen auch von Gynäkolog:innen noch immer als Grund für Schmerzen herangezogen. "Mir hat ein Arzt damals mit 16 gesagt, er würde 'das' dann einfach mit einem Wattestäbchen durchstechen, wenn ich nicht bald Sex haben würde", berichtet Vanessa.

Dass es in der Vulva nichts gibt, was sich durchstechen lässt, wird in solchen Gesprächen überspielt. Betroffenen von Vaginismus wird stattdessen oft geraten, vor dem Sex mal ein Glas Wein zu trinken oder ein Bad zur Entspannung zu nehmen. "Mäuschen, Sie sind aber auch verkrampft" ist nur einer der Standardsätze, die Betroffene bei Gynäkolog:innen zu hören bekommen.

Noch schlimmer: Einige Gynäkolog:innen verschreiben Salben und Medikamente, deren Wirksamkeit gegen den durch Vaginismus bedingten Schmerz nicht erwiesen ist. "Ein Arzt riet mir, ich solle mich einfach immer beim Geschlechtsverkehr mit einer Betäubungssalbe betäuben", sagt Marie, die ebenfalls von primärem Vaginismus betroffen ist. Bei der parallel stattfindenden gynäkologischen Untersuchung habe er bewusst ein Spekulum eingeführt, obwohl sie anmerkte, dass ihr dies Schmerzen bereitete.

Vaginismus und das Patriarchat: der ewige Druck nach Sex

Übergriffigkeit ist für Betroffene von Vaginismus nicht ungewöhnlich. "Wir Frauen werden oft so sozialisiert, dass wir für die Befriedigung männlicher Bedürfnisse da sind", erzählt Marie weiter. "Das führt dazu, dass man die eigenen Grenzen nicht ausdrücken und respektieren kann". Alle drei Betroffenen berichten im Gespräch davon, jahrelang die eigenen Grenzen überschritten zu haben, auch und vor allem, um Sexualpartnern gerecht zu werden.

"Ich kann ja verstehen, wenn er ab und an das Bedürfnis nach penetrativem Sex hat, und ihm das zu verweigern, tut mir unglaublich weh", erklärt Vanessa in Bezug auf ihre langjährige Beziehung. Eine ihrer größten Ängste ist demnach, dass ihr Partner sie wegen des Wunsches nach penetrativem Sex verlassen könnte.

"Das größte Missverständnis bei Menschen mit der Diagnose Vaginismus ist, dass sie denken, das sei alles ihre Schuld", bestätigt Ann-Kathrin Foß. Statt das Ganze als gemeinsame Herausforderung als Paar anzugehen, würden sich Betroffene oft alleine in Therapie begeben, sobald sie in einer Beziehung sind. Die Physiotherapeutin empfiehlt, auch über Paartherapie nachzudenken.

Gerade bei sekundärem Vaginismus kann eine solche oft beim Verständnis der Diagnose helfen. Bei dieser Form entwickelt sich die Verspannung im Beckenboden erst später im Leben, oft in der Folge von Erkrankungen, durch Schwangerschaft oder traumatische Erlebnisse.

Behandlungswege für Vaginismus-Betroffene oft vielfältig

Die sexuelle Störung geht häufig mit weiteren Symptomen einher. Viele der Betroffenen leiden unter Verspannungen in Nacken, Kiefer und Zwerchfell, einige berichten auch von Inkontinenz.

Im Falle der Diagnose Vaginismus finanziert die Krankenkasse anteilig jeweils sechs Einheiten Physiotherapie. "Der Ansatz ist dabei, wieder Sicherheit zu schaffen und aus dieser Schmerzvermeidungsspirale auszusteigen", erklärt Foß. Auch wenn viele als Ziel penetrativen Sex ohne Schmerzen angeben, versuche sie, mit ihren Patientinnen kleinere Teilziele zu stecken. Dazu gehören etwa das Wohlbefinden im eigenen Körper und ein Bewusstsein über die eigenen Bedürfnisse.

Mitunter wird auch mit Dilatoren gearbeitet. Dieser medizinische "Vaginaldehner" kann helfen, sich mit verschiedenen Größen an das Einführen eines Objekts in die Vagina zu gewöhnen. Foß betont aber, dass nicht jeder Ansatz auch für jede Patientin geeignet ist.

Für Vanessa, Jana und Marie ist vor allem der gesellschaftliche Umgang mit Vaginismus ein großes Thema. "Ich will auf gar keinen Fall Mitleid", betont Marie. Stattdessen wünsche sie sich etwa, dass Freund:innen sie zu unangenehmen Arztterminen begleiten – oder einfach zuhören.

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