Die Brandenburgerin Hanna B. wird zwar Mitte Juni erst 35 Jahre alt, dennoch wirkt es, als stecke sie bereits mitten in ihrem zweiten Leben.
Im ersten war sie eine gesunde Frau, Sozialarbeiterin. Sie fuhr mit dem Fahrrad zwischen ihren Arbeitsstätten hin und her, war nach Feierabend mit ihrem Hund Lino in der Natur. Sie machte Yoga und Pilates, traf Freund:innen, reiste gerne und begeisterte sich für Foodsharing.
Jetzt, im zweiten Leben, ist sie sterbenskrank, bettlägrig und auf Spenden angewiesen. "Heute ist der Tag zu 90 Prozent durchgetaktet durch Pflege, Infusionen, Mahlzeiten, medizinische Hausbesuche und Ruhen", berichtet sie im Interview mit watson, welches ausschließlich schriftlich stattfindet, weil Hanna Geräusche und Licht zu sehr anstrengen. Hanna schreibt:
Hanna B. leidet unter dem Ehlers-Danlos-Syndrom. Eine erbliche Bindegewebeerkrankung, bei der das Kollagen im Körper anders zusammengesetzt ist als üblich. Betroffene haben ungewöhnlich dehnbare Gelenke und sehr elastische, weiche Haut, Schultern und Knöchel kugeln schnell aus.
Die Krankheit hat sehr unterschiedliche Ausprägungen. Von harmlos bis hin zu fatal. Normalerweise befindet sich im Körper überall Gewebe, das zum Beispiel die Knochen stützt. Ist dieses Gewebe allzu weich, kann das Skelett nicht richtig gehalten werden. Es droht Lebensgefahr.
Hanna zum Beispiel kann ihren eigenen Kopf nicht auf dem Hals halten. Dadurch ist sie bettlägrig und kann sich nicht ohne Halskrause aufrichten. Zudem strengen sie akustische, olfaktorische und visuelle Reize an – sie bleibt in einem abgedunkelten Raum.
Die Komplexität ihres Krankheitsbildes ist für Laien schwer zu verstehen. Denn zusätzlich zum Ehlers-Danlos-Syndrom ist sie von Komorbiditäten (Erkrankungen, die mit der Grunderkrankung in Zusammenhang stehen) betroffen, insbesondere schweren Unverträglichkeiten zahlreicher Medikamente, die ihre Behandlung und Pflege erschweren.
Für Hanna gibt es hier in Deutschland leider keine adäquate Therapiemöglichkeit, das Feld ist noch zu unbekannt, ihre Ausprägung zu komplex. Ein Neurochirurg in Barcelona könnte ihr operativ zumindest helfen, ihre Halswirbel zu versteifen. In einer ersten OP 2021 war ihm das bereits im oberen Teil gelungen, wodurch sie innerhalb der Wohnung wieder mobiler war.
Doch leider trat danach auch im unteren Halsbereich Instabilität ein. Seitdem ist Hanna erneut bettlägrig. Eine weitere OP wäre notwendig – für die Hanna das Geld nicht hat.
Die Krankenkasse zahlt nicht, sondern verweist "auf die deutschen Vertragskrankenhäuser", erläutert sie das Problem. Dort würden Versteifungsoperationen zwar durchgeführt, aber nicht an Patient:innen mit derart risikobehafteten Krankheitsbildern wie ihrem.
"Aktuell gibt es nur etwa fünf Neurochirurgen weltweit, die hochspezialisiert auf diesem Gebiet sind", erzählt sie. "Im Moment ist meine einzige Möglichkeit für eine sichere Anschluss-OP daher der Neurochirurg in Spanien."
Das Problem? Nicht nur die OP an sich, auch der Ambulanzflugtransport dorthin ist mit hohen Kosten verbunden, die Hanna mit ihrer Erwerbsminderungsrente niemals zahlen kann: insgesamt 147.000 Euro.
Um das Geld zusammenzubekommen, hat sie daher eine Go-Fund-Me-Seite eingerichtet und hofft auf die Hilfe anderer. "Ich bin über jede noch so kleine Spende unglaublich dankbar", sagt Hanna und führt aus:
Diese schweren Momente sind unvermeidbar, gibt Hanna zu. "Der Vergleich mit dem Leben von Gleichaltrigen ist natürlich immer schmerzhaft, aber dass mein Leben anders verläuft, habe ich ein Stück weit akzeptieren können."
Damals, als sie die ersten Symptome bemerkt, begreift sie noch nicht, wie gravierend sich die Krankheit auf ihr Leben auswirken kann. Als Jugendliche wird ihr regelmäßig schwarz vor Augen, wenn sie über die Schulter blickt, das allein ist für sie aber noch kein Grund zur Panik.
Hanna erzählt:
Zunehmend verschlimmern sich diese jedoch. Eine starke Erschöpfung setzt ein, Unverträglichkeiten und Magen-Darm-Symptome begleiten Hanna. Mit Mitte zwanzig bricht sie ohnmächtig auf der Arbeit zusammen. 2020 erlebt Hanna Atemaussetzer, wenn sie liegt. Alle Symptome zusammengenommen, ergibt sich bei der Diagnose nun ein deutliches Bild: Ehlers-Danlos-Syndrom.
"In dem Moment war für mich klar, dass die Sache sehr viel ernster ist als angenommen und mein Leben nicht mehr wie vorher sein würde", erinnert sich Hanna. Es war "ein Schock", sagt sie. "Ich musste sehr weinen."
"Ich hoffe weiter fest, dass ich ein gewisses Maß an Selbstständigkeit zurückerhalten kann", sagt sie heute. Aktuell gehe es aber um viel akutere Probleme.
"Da ich im Moment regelmäßig unter anderem sehr heftige Lähmungsepisoden und Atemaussetzer habe und stetig abbaue, geht es bei der OP erst einmal vor allem darum, mein Leben zu retten", erklärt sie ihre Hoffnung in Bezug auf den Eingriff in Barcelona.
Sollte sie das Geld zusammenbekommen und alles gut gehen, wäre das ein echter Hoffnungsschimmer. Hanna weiter:
Denn momentan ist sie mit ihren Freund:innen vor allem übers Handy mit Textnachrichten in Kontakt. Diese Menschen wären weiter für sie da, erklärt sie gerührt. "Das ist etwas, was mir Auftrieb und Freude gibt."
Es sind diese kleinen Momente, die ihr Kraft geben, weiterzumachen. Regelmäßig Postkarten aus dem Freundeskreis zu bekommen. Ab und an mit dem Hund ihrer Mutter, Luna, zu kuscheln. Kleine Momente, aber "sehr wertvoll für mich", sagt Hanna.
Es sind Reste aus dem alten Leben, das man so gut auf Hannas Fotos erkennen kann. Hanna im Reitstall, Hanna im Urlaub, im Sand, in der Sonne. "An manchen Tagen tut es weh, alte Bilder zu betrachten", gesteht sie. "Der Verlust der Lebensqualität, der Treffen mit Freunden, der vielen Hobbys ist sehr schmerzhaft."
Andererseits habe sie dieses satte Leben immerhin genossen, als es noch ging und sei "sehr froh über die schönen Erinnerungen." Noch hofft sie. Darauf, dass sie irgendwann wieder neue Erlebnisse hinzufügen darf.
Dass sie sich irgendwann doch wieder aufrichten, vielleicht selbstständig vor die Tür treten, das Sonnenlicht verkraften kann. Sie hofft darauf, dass sie überlebt.
Wenn sie heute einen gesunden Nachmittag erleben dürfte, einen Tag wie früher – wie würde sie ihn verbringen? "Das wäre definitiv ein Tag am Meer, mit Menschen, die mir am Herzen liegen, Sonne, Hunden, Schwimmen und gutem Essen", sagt Hanna und schreibt, schon die Vorstellung daran bringe sie zum Lächeln. Wer weiß, irgendwann vielleicht wieder. In ihrem dritten Leben.