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Depression in der Corona-Pandemie: Schülerin über ihren Schulabschluss ohne Abi

Katharina freut sich, dass die Schulzeit für sie vorbei ist. Der Applaus bei der Zeugnisvergabe haben sie zum Lächeln gebracht – auch wenn sie selbst durch das Abitur fiel.
Katharina freut sich, dass die Schulzeit für sie vorbei ist. Der Applaus bei der Zeugnisvergabe haben sie zum Lächeln gebracht – auch wenn sie selbst durch das Abitur fiel.bild: privat
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"Mit Panikattacken zu Hause": Wie die Pandemie eine Schülerin so belastete, dass sie durchs Abitur fiel

16.03.2022, 11:5016.03.2022, 17:38
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Katharina H.

"Am Tag der Zeugnisverleihung war ich erleichtert, dass die Schulzeit endlich vorbei war. Der Applaus und die Glückwünsche haben mich zum Lächeln gebracht, auch, wenn sie den Abiturienten galten und nicht mir": Katharina H. aus Potsdam entwickelte während der Corona-Pandemie eine Depression. Sie ist aus diesem Grund nicht zu ihren Abiturprüfungen angetreten.

Junge Menschen leiden unter den Einschränkungen der Corona-Pandemie – nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Seit Monaten gibt es Berichte darüber, dass viele Jugendliche nach zwei Jahren Pandemie an Depression und Angstzuständen leiden. Das Problem: Es gibt zu wenige Therapieplätze, oftmals müssen Betroffene monatelang auf Hilfe warten. Auf Nachfrage von watson, ob es bald eine Reform der therapeutischen Bedarfsplanung gäbe, sagte der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vergangene Woche in Berlin: "Daran werden wir arbeiten, das gehört zu einem der vielen Projekte, die wir in den nächsten Monaten beginnen werden." Er betonte, dass die Regierung neben Gesetzen zur Finanzierung von Krankenkassen, zum Pflegebonus und zur Triage-Regelung, auch sehr schnell ein Gesetz zur Bedarfsplanung der Psychotherapie vorlegen würde.

Für Katharina kommt das geplante Engagement der Bundesregierung jedoch zu spät: Ihr Abitur hat sie nicht geschafft und das wird Auswirkungen auf ihr Leben haben, nicht nur beruflich. Sie erzählt watson über ihre Zeit in der Oberstufe, die Corona-Pandemie und ihre Depression.

Katharina H. ist 18 Jahre alt und in Potsdam zur Schule gegangen.
Katharina H. ist 18 Jahre alt und in Potsdam zur Schule gegangen.bild: privat

Triggerwarnung: Im folgenden Text werden Depressionen und Suizidgedanken geschildert, die belastend und retraumatisierend sein können.

Katharina sagt:

"Jeder Tag sah gleich aus: Morgens setzte ich mich an den Laptop und nachmittags loggte ich mich aus dem Schulsystem wieder aus."

"Seit der 10. Klasse leide ich unter Prüfungsangst. Die Corona-Pandemie hat das weiter verstärkt. Wenn man zu Hause sitzt und lernen muss, wird diese Angst noch größer als schon im normalen Schul-Umfeld. Das hatte für mich ernste Konsequenzen: Ich fiel durch das Abitur.

Dabei war ich gut in der Schule. Ich war zwar nicht überall eine Einser-Schülerin, aber meine Noten haben sich auf jeden Fall im oberen Bereich bewegt. Im Verlauf der Pandemie rutschten sie aber ab, vor allem durch das Vorabitur in der 12. Klasse.

Schon die komplette 11. Klasse habe ich im Homeschooling verbracht. Im Jahr darauf wechselten sich Präsenz- und Distanzunterricht ab. Jeder Tag sah gleich aus: Morgens setzte ich mich an den Laptop und nachmittags loggte ich mich aus dem Schulsystem wieder aus. Nicht einmal mit Freunden konnte man sich treffen. Ich fühlte mich einfach allein.

Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich selbst das Bildschirmlicht nicht mehr ertragen konnte. Ich hatte ständig Kopfschmerzen. In der Zeit habe ich ja nicht nur die Schule über den Screen erlebt, sondern auch alle sozialen Interaktionen. Abends habe ich mich nicht mit Freunden getroffen, wie sonst, sondern mich per Videocall mit ihnen unterhalten. Dieses Blaulicht konnte ich nicht mehr ertragen und dazu jeden Tag die gleichen Erlebnisse...

Es fiel mir schwer, mich aufzuraffen, meine Sachen zu erledigen

Die Oberstufenzeit fühlte sich an, als werde man entsozialisiert. Normalerweise wird diese Zeit als lustig angesehen, man feiert Partys, freut sich auf die Abschlusswoche und die Abschlussfahrt. Aber all das hatten wir unter Corona nicht. Wir waren zu Hause. Selbst Referate wurden eingestellt, es gab keine Gruppenarbeiten mehr. Ich fühlte mich gar nicht mehr sozial in die Schule integriert.

"Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich selbst das Bildschirmlicht nicht mehr ertragen konnte."

Schon bald hatte ich ein echtes Motivationsproblem und es fiel mir zunehmend schwer, mich aufzuraffen, um meine Sachen zu erledigen. Dasselbe habe ich auch von vielen Mitschülerinnen und Mitschülern gehört, selbst von Einser-Schülern. Zu Hause wird man einfach viel schneller abgelenkt als in der Schule.

Meine Noten wurden immer schlechter. Das lag vor allem an den Vorabitur-Prüfungen in der 12. Klasse, bei denen in Brandenburg ein Semester der Oberstufe abgefragt wird. In unserem Fall ausgerechnet das, das wir komplett im Homeschooling verbracht haben. Mein Grund-Abi-Schnitt wäre ein 2er-Schnitt gewesen, aber diese Prüfungen zogen ihn nach unten, weil sich auch dort schon meine Prüfungsangst zeigte.

Während der Oberstufe hatte ich deshalb schon Therapiestunden und ich bin auch nach wie vor in einer Verhaltenstherapie. Ein Learning daraus war, mein Umfeld komplett zu ändern. Und ich muss sagen, das fiel mir einfacher als gedacht. Durch die Kontakteinschränkungen der letzten zwei Jahre hatte ich sowieso fast keine sozialen Bindungen mehr in Potsdam. Jetzt wohne ich mit meiner besten Freundin zusammen in einer Stadt in Mecklenburg-Vorpommern.

Katharina gehen beim Warten auf die Zeugnisverleihung tausende Gedanken durch den Kopf.
Katharina gehen beim Warten auf die Zeugnisverleihung tausende Gedanken durch den Kopf.bild: privat

Ich hatte zum Glück eine tolle Lehrerin, der ich mich anvertrauen konnte

Die fehlenden sozialen Bindungen haben mir echt zu schaffen gemacht. Ich bin in einem Alter, in dem man sich oftmals von Monat zu Monat verändert. Manchmal steht nach einem halben Jahr ein ganz anderer Mensch vor einem, wenn man sich wiedersieht. In der Zeit merkt man dann aber, teilweise auch sehr schmerzhaft, wer die wahren Freunde sind. Ich habe während Corona viele Freunde, oder ich würde sagen 'Wegbegleiter', verloren. Das hat mir aber auch gezeigt, dass man in der Schule oft keine Freundschaften, sondern Bekanntschaften schließt.

Als es mir psychisch so schlecht ging, haben sich meine Schulbekanntschaften nicht wirklich für mich interessiert. Ein Grund wird sein, dass man sich nicht mehr täglich sieht und nur noch schriftlichen Kontakt hat. Dafür bin ich aber mit meinen anderen Freunden umso enger zusammengewachsen. Vor allem mit meiner besten Freundin.

Da ich aber wusste, wie schlecht es einem gehen kann, habe ich mich umgekehrt sehr für meine Mitschülerinnen und Mitschüler interessiert. Allerdings würde ich das nicht noch einmal in dem Ausmaß machen, weil es eine zusätzliche Belastung für mich war, sich den Gefühlen und Sorgen der anderen anzunehmen.

"An unserer Schule hat vor allem in der Zeit ein Vertrauenslehrer oder generell eine Ansprechperson gefehlt."

Ich hatte aber zum Glück eine ganz tolle Lehrerin, der ich mich anvertraut habe. Sie war zwar keine Vertrauenslehrerin an der Schule, aber hat immer nachgefragt, wie es mir geht und sich für mich eingesetzt. Ihr ist meine schlechte psychische Verfassung nur aufgefallen, weil ich vor ihr einen Nervenzusammenbruch in der Schule hatte. Damit hatte ich Glück im Unglück. Ich glaube aber, dass es viele Schülerinnen und Schüler gibt, bei denen nicht bemerkt wird, wie schlecht es ihnen wirklich geht.

Katharina realisiert mit Tränen in den Augen, dass sie die Einzige in der Reihe ist, die kein Zeugnis in ihrer Mappe hat.
Katharina realisiert mit Tränen in den Augen, dass sie die Einzige in der Reihe ist, die kein Zeugnis in ihrer Mappe hat.

Wir haben erst während der Pandemie eine Sozialarbeiterin bekommen

Deshalb bin ich auch der Meinung, dass an unserer Schule vor allem in der Zeit ein Vertrauenslehrer oder generell eine Ansprechperson gefehlt hat. Zwischenzeitlich gab es zwar eine Sozialarbeiterin, aber mir wurde sogar einmal verboten, sie aufzusuchen. Und das, obwohl ich während des Unterrichts eine Panikattacke hatte. Viele wussten vermutlich nicht mal, dass es eine Sozialarbeiterin gab. Kommuniziert wurde das nämlich nicht.

Schülerprobleme wurden einfach kleingeredet bei uns. Da geht es rein um den Lehrplan und um das Durchbringen des Stoffes, ohne Rücksicht auf Verluste. 10 Prozent von ungefähr 100 Schülerinnen und Schüler in meinem Jahrgang haben das Abitur nicht bestanden.

"Eine Freundin von mir, die auf die gleiche Schule ging, wie ich, hat sich in der Zeit versucht, das Leben zu nehmen."

Was noch dazukam: Im ersten Lockdown hatte ich nicht eine Video-Konferenz, uns wurden die Hausaufgaben per Mail geschickt und wir mussten sie ohne Hilfestellungen des Lehrers an einem Tag X abgeben. Man kann also sagen, dass wir uns selbst unterrichten mussten. Auf das Abitur fühlte ich mich dadurch überhaupt nicht vorbereitet.

Eine zusätzliche Schwierigkeit war kurz vor dem Abitur dann der unterschiedliche Wissensstand. Wir haben die 11. Klasse im Homeschooling verbracht und sind dann in der 12. Klasse wegen der "Abitur-Relevanz" in das Wechselmodell übergegangen. Es war also immer nur ein Teil der Klasse in der Schule. Deshalb haben wir es auch nicht geschafft, vor der Prüfung auf dem gleichen Stand des Lehrplans zu sein.

Nach dem Abi stand ich kurz vor einem Burn-out

Dieses ignorante Verhalten der Schule kann auch ganz konkret die psychische Gesundheit von Schülerinnen und Schülern aufs Spiel setzen. Ich selbst war gefährdet, Selbstmordgedanken zu entwickeln, aber so weit ist es zum Glück nicht gekommen. Allerdings hat eine Freundin, die auf der gleichen Schule war wie ich, in der Zeit versucht, sich das Leben zu nehmen.

Bei ihr spielte vor allem der soziale Aspekt eine große Rolle, die Kontakteinschränkungen waren ganz schlimm für sie, glaube ich. Da hätte vonseiten der Schule eine Aufklärung über die psychische Gesundheit stattfinden müssen. Wieso gibt es dafür keine Maßnahmen, aber 500 verschiedene Corona-Regeln?

"Vor der Prüfung habe ich mich wegen meiner Angst mehrfach übergeben."

Aufgrund meines psychischen Zustandes wiederhole ich das Abitur auch nicht. Die Prüfungen waren schon sehr schlimm für mich. Nach dem Abi stand ich kurz vor einem Burn-out. Ich erinnere mich, dass ich mich im Prüfungsraum wegen meiner Prüfungsangst mehrfach übergeben musste. Dabei hatte ich Hoffnung, dass ich zumindest die äußeren Umstände etwas verbessern könnte.

Fühlst du dich verzweifelt?
Telefonseelsorge: Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichst du rund um die Uhr Mitarbeiter:innen, mit denen du sprechen kannst. Auch ein Gespräch via Chat oder E-Mail ist möglich.

Kinder- und Jugendtelefon: Der Verein "Nummer gegen Kummer" kümmert sich vor allem um Kinder und Jugendliche. Erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter der Rufnummer 116 111.

Krisenchat: Bei Krisenchat kannst du dich per Whatsapp rund um die Uhr an ehrenamtliche Berater:innen wenden. Das Angebot richtet sich an Menschen bis 25 Jahre.

Meine Lehrerin, der ich mich in der Pandemie über meine Depressionen und meine Prüfungsangst anvertraut hatte, hat sich für mich eingesetzt und für mich einen Nachteilsausgleich beantragt. Das bedeutete dann, dass ich mein Abitur in einem separaten Raum mit zwei Prüfern geschrieben habe. Geholfen hat es nicht wirklich.

Dabei habe ich vor den Prüfungen nur noch gebüffelt. Vor der Oberstufe hatte ich auch noch Nachhilfe, aber während Corona habe ich schlicht keine mehr in Potsdam gefunden. Ich habe dann versucht, mir von Freunden Hilfe zu holen. Von der Schule habe ich mich total allein gelassen gefühlt: Manchmal habe ich sogar eine Woche lang nichts von meiner Schule gehört.

Zu wissen, dass man nicht alleine ist, hätte geholfen

Ich finde, in Zukunft muss das besser laufen. Der Fokus sollte, gerade in solchen Zeiten, mehr auf die Schülerinnen und Schüler und ihre Bedürfnisse, Sorgen und Ängste gerichtet sein. Ich wünsche mir bessere Technik, bessere Strukturen und vor allem mehr Hilfen. Workshops, Ansprechpartner oder zumindest die Information, dass man nicht allein da durch muss.

"Ohne Abitur kann ich nicht studieren und bei Ausbildungen werden die Bewerberinnen oder Bewerber bevorzugt, die ein Abitur vorweisen können."

Ich weiß nicht, wie oft ich mit Nervenzusammenbrüchen und Panikattacken zu Hause saß, weil ich den Stoff allein nicht verstanden oder es nicht geschafft habe, ihn mir zu erarbeiten. Trotzdem wurde erwartet, dass wir etwas dazu abgeben, was nie vorher besprochen oder erläutert wurde.

Die Auswirkungen davon spüre ich auch jetzt, fast ein Jahr später, noch. Ohne Abitur kann ich nicht studieren und bei Ausbildungen werden die Bewerberinnen oder Bewerber bevorzugt, die ein Abitur vorweisen können. Am liebsten würde ich aber eine kaufmännische Ausbildung anfangen, vielleicht als Immobilienkauffrau oder als Industriekauffrau. Ich hoffe, das klappt. Die Prüfungsergebnisse werden also in meinem privaten Leben nichts verändern, aber in meinem beruflichen schon."

Protokoll: Laura Czypull

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