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Die Sorben und ihre Sprache: In der Lausitz ist Deutschland zweisprachig

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Die Sorben und ihre Sprache: Wie "Sprachbäder" und Rap das Sorbische vor dem Aussterben retten sollen

"Židžino", "Chóśebuz" oder "Lubnjow/Błota". Wer entlang der deutsch-polnischen Grenze plötzlich solche Ortsschilder liest, hat sich nicht etwa ins Nachbarland verfahren, sondern ist in der zweisprachigen Lausitz gelandet – genauer in Seidewinkel, Cottbus oder in Lübbenau/Spreewald. Denn die nationale Minderheit der Sorben hat eine eigene Sprache. Diese ist zwar vom Aussterben bedroht, aber noch zu retten.
31.05.2022, 15:18
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Obwohl die gesamte Region der Lausitz zweisprachig ist, was man unter anderem auf Orts- und Namensschildern erkennen kann, sprechen nur noch wenige Bewohner die sorbische Sprache. Nur noch die Hälfte der heute schätzungsweise 60.000 Sorben und Sorbinnen spreche, "optimistisch gerechnet" Sorbisch, so Marcel Brauman, Sprecher der Domowina – Bund Lausitzer Sorben e.V., im Gespräch mit watson.

Doch das soll sich in den nächsten Jahrzehnten ändern, die Domowina hat ehrgeizige Ziele: "Wir möchten die Zahl der sorbisch sprechenden Menschen bis 2100 wieder auf 100.000 steigern und bis 2050 erreichen, dass diejenigen, die ab 2038/40 zur Schule gehen, zumindest so viel Sorbisch lernen, dass sie es verstehen."

Die sorbische Sprache
Die sorbische oder auch wendische Sprache gehört zur Gruppe der westslawischen Sprachen und wird heute vor allem in der Lausitz gesprochen. Es werden zwei Schriftsprachen unterschieden, Obersorbisch und Niedersorbisch.

Beide Sprachen sind vom Aussterben bedroht. Das Obersorbische weist mehr Ähnlichkeiten mit dem Tschechischen auf und das Niedersorbische mit dem Polnischen. Diese Ähnlichkeiten dürften auf historischen Sprachkontakt zurückgehen.
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"Durch die Sprachassimilierung der vergangenen 100 Jahre haben wir einen Mangel an sprachlich qualifiziertem Personal."
Marcel Brauman, Sprecher der Domowina

"Wir leiden nicht an einem Mangel an Rechten. Im Gegenteil, wir haben sehr zu tun, unsere Rechte auszuschöpfen", sagt Braumann. Schließlich besäßen Sorben seit einiger Zeit auch das Recht, gegenüber einer staatlichen Institution die sorbische Sprache anzuwenden.

Das Problem: "Durch die Sprachassimilierung der vergangenen 100 Jahre [haben wir] einen Mangel an sprachlich qualifiziertem Personal", erklärt er. Heißt: In den Behörden versteht kaum jemand Sorbisch, weshalb man dort auch nicht Sorbisch sprechen kann – auch wenn man es theoretisch darf.

Hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Damit mehr Leute Sorbisch sprechen, braucht es mehr Leute, die Sorbisch sprechen. "Natürlich hilft uns dabei, dass die automatisierte sorbische Übersetzungstechnik im Moment revolutionär voranschreitet", sagt Brauman. Ein Beispiel dafür ist die Sotra-App, auf Sorbisch "Schwester", die Deutsch nach Obersorbisch und zurück übersetzt. Eine niedersorbische Variante ist derzeit in Arbeit.

Diese neuronale Übersetzung hat laut Braumann "im Schriftlichen schon eine erquickliche Qualität" und könne inzwischen jeden sorbischen Text so weit übersetzen, "dass man weiß, worum es geht". Neuronal heißt, das Programm erkennt Sprachsituationen und Satzbestandteile wieder, statt nur Wort für Wort zu übersetzen.

Das Sandmännchen gibt es auch in Sorbisch.Video: YouTube/Brotcast

Witaj – ein sorbisches Sprachbad

Beim Witaj-Projekt des Witaj-Sprachzentrums lernt man Sorbisch dagegen nicht mit einer App sondern mittels sogenannter Immersion, auch Sprachbad genannt: die Kinder "tauchen" also in ein fremdsprachiges Umfeld ein, in dem sie – beiläufig oder absichtlich – die Sprache erwerben. Dies ähnelt den Prinzipien des Mutterspracherwerbs und wird mithilfe Sorbisch sprechender Erzieher, sorbischem Unterrichtsmaterial und Zeitschriften erreicht.

"Wir brauchen Menschen, die diese Sprache im Alltag sprechen – die zu Hause sprechen, auf der Straße sprechen."
Marcel Brauman, Sprecher der Domowina

Obwohl in den letzten Jahren der Fokus vermehrt auf die Immersion gelegt wurde, ist Brauman nicht von dessen Effizienz überzeugt: "Bei aller Wertschätzung, unterm Strich kommt nicht genug heraus, was damit zusammenhängt, dass der Spracherwerb in der Schule meistens nicht angemessen fortgesetzt wird. Was auch daran liegt, dass man natürlich Lehrkräfte braucht, die das auch entsprechend durchziehen."

Darum gebe es nun einen neuen Pfeiler des Spracherwerbs, der es auch (jungen) Erwachsenen ermöglichen soll, in die Sprache einzutauchen und sich so anzueignen, dass sie auch in der Familie weitergeben werden könne.

Brauman sagt:

"Bei allem Verständnis für sorbischen Fremdsprachenunterricht sind wir hauptsächlich daran interessiert, neue Sprecher und Sprecherinnen zu generieren. Wir brauchen Menschen, die diese Sprache im Alltag sprechen – die zu Hause sprechen, auf der Straße sprechen und die bereit sind, sie dort wo sie arbeiten anzuwenden, also im gesellschaftlichen Leben."

Grundeinkommen zum Sorbischlernen

Zu diesem Zweck gibt es Zorja, übersetzt Morgendämmerung. Dieses Sprachlernprogramm ermöglicht jungen Erwachsenen "eine Art garantiertes Grundeinkommen für Sorbisch-Lernen", wie Brauman das nennt.

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Die Teilnehmer bekommen ein Jahr lang ihren Lebensunterhalt im rahmen eines Stipendiums gezahlt, um mit einem Team samt Sprachtrainer Sorbisch zu lernen. Das Projekt ist ehrgeizig: sechs Stunden am Tag, vier Tage die Woche wird gebüffelt, und auch Exkursionen und Projektarbeit gehören dazu.

Indianer und Astronauten retten die Sprache

Brauman zeigt sich begeistert von Zorja, das 2023 starten soll:

"In diesem Rahmen hat ein Workshop stattgefunden mit einem Arapaho-Indianer aus den USA, der seine Methode vorstellte, wie er seine eigene Muttersprache gerettet hat, die nur noch von 50 Menschen gesprochen wurde und nun wieder en vogue ist. Also wir lassen uns da auch international inspirieren."

Auch die Nachfrage nach der sorbischen Sprache in Deutschland scheint jedoch wieder zu steigen, wie Brauman berichtet. Seit letztem Jahr könne sich der hauptamtlichen Dezernent des sorbischen Sprachzentrum für obersorbische Sprache "vor Nachfrage nicht retten, was die Kurse angeht".

Wer kennt die Sorben?
Die Sorben siedelten schon ab dem sechsten Jahrhundert im Osten Deutschlands, lange bevor die Deutschen sich überhaupt als Nation definierten.

Doch die Lausitz, die strukturschwache Heimat der Sorben, blutet aus: Die Bevölkerung schwindet und damit ist auch ihre Kultur in Gefahr.

In dieser Serie geht es um Menschen, die sich für den Erhalt der sorbischen Kultur engagieren.

Serienteil 1:
Die Sorben: Kampf um den Erhalt einer Minderheit

Serienteil 2:
Eine alte Kultur mit modernen Menschen: Über Traditionen und High-Fashion-Tracht

Serienteil 3:
Die Sorben und ihre Sprache: Wie "Sprachbäder" und Rap das Sorbische vor dem Aussterben retten sollen

Sorben-Rap für die Zukunft

Die sorbische Sprache hierzulande wieder populär machen Astronauten: Skupina Astronawt heißt eine dreiköpfige Band, die sorbische Musik macht. Ein sorbischer Rap-Song von ihnen heißt zufälligerweise "Straight Outta Łužica" und scheint sogar den MDR inspiriert zu haben:

Denn in der aktuellen Mini-Serie "Straight Outta Crostwitz" des Senders tauchen die Sorben plötzlich abseits von Spreewald-Dokumentationen auf. Hier geht es um eine junge Volkssängerin aus dem obersorbischen Ort Crostwitz, die sich als Mann verkleidet, um bei einem Rap-Battle anzutreten und sich so von den Zwängen ihres konservativen Elternhauses zu befreien.

Die Band Skupina Astronawt.
Die Band Skupina Astronawt.privat

Dass Sorben "cool" sein können, beweist auch die Band von Matej Zieschwauck, die vor zwei Jahren gegründet wurde. "Da steckt kein durchdachtes Grundkonzept dahinter, ich wollte einfach sorbische Sachen machen und die mache ich" sagt Matej im Gespräch mit watson. Er ist Sorbe durch und durch: Neben seiner Musik arbeitet er als freier Journalist beim MDR für den sorbischen Rundfunk und Fernsehen und studierte sogar Sorabistik.

Was ist Sorabistik?
In der Universität Leipzig kann man seit 70 Jahren Sorabistik studieren, also die Wissenschaft der sorbischen Sprache, ihrer Literatur und Kultur. Das Institut für Sorabistik ist der weltweit einzige Standort für die Ausbildung von Sorbisch-Lehrkräften. Seit kurzem können dort sogar Menschen ganz ohne Sorbisch-Kenntnisse den Studiengang Lehramt Sorbisch belegen.

Musikalische Astronauten mit einer Mission

"Es gibt deutsche, englische, französische, spanische Musik. Aber die sorbische Musik hat mir ein bisschen gefehlt." Denn Menschen, die Sorbisch sprechen, gäbe es überall auf der Welt, auch in Kanada, Frankreich – und sogar in Japan. Und die will er mit seiner Musik verbinden. Sein Ziel ist, "dass man auf sorbische Musikvideos, egal wo man auf der Welt ist und wann man drauf Bock hat, einfach zugreifen kann."

"Ich will, dass man auf sorbische Musikvideos zugreifen kann, egal wo man auf der Welt ist."
Matej Zieschwauck

Deshalb heißt die Band auch Skupina Astronawt. Skupina, im Sorbischen und Slawischen das Wort für Gruppe, und "Astronawt", also Astronaut. Eine Gruppe Astronauten mit der Mission, das Sorbische in die Welt zu tragen:

"Ein Astronaut im All vernetzt die Welt miteinander, indem er Satelliten anbringt. Das war ein schöner Vergleich für mich: Wir versuchen auch, die ganze Welt zu vernetzen. So wie die Astronauten ihre Signale raus ins Weltall und auf die Erde senden, versuchen wir als Sorben unsere Signale übers Internet bei Spotify und YouTube zu streuen."
Matej Zieschwauck von der Band Skupina Astronawt

Diese "Signale" sind Songs über ganz alltägliche, aber auch mal politische Dinge. Das neueste Lied heißt Swoboda und bedeutet Freiheit.

Matej ist nicht nur der Gründer der Band, er komponiert auch die sorbischen Songs. Geboren ist er in Bautzen und bezeichnet sich selbst als Sorbe mit deutschem Pass. Er spricht auch im Alltag ganz selbstverständlich sorbisch, für ihn ist das ganz normal, "weil es ja meine Muttersprache ist, das ist jetzt keine Fremdsprache oder so was."

Immer mehr sorbische Bands wollen in ihrer Muttersprache singen

Die Regel ist das nicht. Viele Bewohner und Bewohnerinnen der Lausitz feiern zwar die sorbischen Traditionen, können aber ihre Sprache nicht mehr. Matej sagt, mit seinen Songs hoffe er auch, "dass man das Sorbische ein bisschen attraktiver macht und zeigt, dass nicht bloß Michael Jackson oder Abba bei YouTube vertreten sind, sondern auch sorbische Interpreten mit Musikvideos."

"Es ist schon eine Welle, die wir da ausgelöst haben, weil jetzt immer mehr sorbische Musik produziert wird."
Matej Zieschwauck

Es scheint zu funktionieren: Auch andere Künstler eiferten ihnen nach. "Es ist schon eine Welle, die wir da ausgelöst haben, weil jetzt immer mehr sorbische Musik produziert wird." Sogar in der brandenburgischen Niederlausitz, von der sich die sächsischen Oberlausitzer sonst gerne abgrenzen und anders herum. Matej findet es toll, als "Multiplikator für das Sorbische" zu fungieren. Schließlich ist das sein Antrieb.

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