So bunt und vielfältig die sorbische Kultur mit ihren aufwendigen Trachten und Traditionen wie Maibaumstellen, Hexenbrennen, Vogelhochzeit oder Zampern ist, so altmodisch mag sie von manch einem oder einer gesehen werden. Doch gerade von der Jugend werden die sorbischen Bräuche vor allem in der ländlichen Region mit Begeisterung gefeiert. Denn viele Sorben und Sorbinnen sind sehr stolz auf ihre Kultur, ihre Bräuche und Legenden.
Grit Lemke findet den starken Fokus der sorbischen Kultur allerdings auch problematisch. Die sorbische Filmregisseurin und Gewinnerin des Grimme-Preises ("Gundermann Revier") sagt im Gespräch mit watson:
Lemke arbeitet derzeit an einer Dokumentation über die Lausitz mit dem Namen "Das vergessene Volk". Darin begleitet sie verschiedene Protagonisten aus allen Teilen der Lausitz in verschiedenen Altersgruppen und sozialen Milieus über ein Jahr lang. "Ich versuche, das Sorbische auf ganz verschiedenen Ebenen abzubilden", sagt sie.
Die Umsetzung ihres Filmprojekts, an dem sie gerade noch arbeitet, ist allerdings nicht leicht: "Wir haben vom Bund kein Geld bekommen, weil im Titel das Wort Volk auftaucht." Trotzdem will Lemke ihren Film realisieren, weil das Thema wichtige Fragen aufgreife: "Es geht um die Frage nach Volk, Identität, Sprache und Zugehörigkeit. Das sind super aktuelle Themen, gerade auch im europäischen Kontext und da passt die sorbische Frage genau rein."
Beim Film "Das vergessene Volk" will Lemke herausfinden, was ihre Protagonisten und Protagonistinnen bewegt. "Alle Protagonisten vereint, dass die Frage der Identität sehr zentral für sie ist."
Denn viele der Sorben und Sorbinnen hätten zentrale Verlusterfahrungen in ihrem Leben gemacht: "Da geht es auch um Traumatisierung durch den Verlust der Muttersprache oder der Heimat, zum Beispiel wenn ein ganzes Dorf abgebaggert wurde." Denn für die Braunkohlegewinnung wurden bereits 137 Dörfer in der Region Lausitz zerstört.
Doch "die Sorben", das gebe es ebenso wenig wie "die Deutschen". So handelt Grit Lemkes Film von jenen, die als Muttersprache Sorbisch reden und anderen, die wegen ihres Sorbisch-Seins unter Stigmatisierung zu leiden hatten. "Das sind alles Menschen, die eine Leerstelle in ihrem Leben gefunden haben und die irgendwie versuchen, sich das wieder anzueignen."
Aber es geht auch um Personen, die sich aktiv dafür einsetzten, das Sorbische in andere Zusammenhänge zu bringen und in einer urbanen Kultur zu verankern.
Wer seine sorbische Identität auf richtig modische Art zeigen will, ist bei Sarah Gwiszcz genau richtig. In ihrem Laden im idyllischen Spreewald verkauft die gelernte Modedesignerin moderne Kleidung mit sorbischem Touch. "Wurlawy" heißt der Shop, was so viel wie "wilde Spreewaldfrauen" bedeutet und aus einer sorbischen Sage stammt. Darin kommen die weiblichen Waldgeister abends aus ihrem Wald und treiben auf den Straßen des Dorfs ihr Unwesen.
Sarah Gwiszcz bleibt dafür lieber in ihrem Atelier und entwirft sorbische Mode: Schon während ihres Studiums in Berlin arbeitete sie mit ihrer Klasse an einem geförderten Projekt für sorbische Kultur. Die Aufgabenstellung: "Moderne Mode für junge Sorben zu entwerfen, mit einem Touch Tracht", berichtet sie watson.
Nicht allzu schwer für die junge Frau aus der Lausitz: "Damit bin ich aufgewachsen, das kennt man ja einfach im Spreewald. Die Trachtenkultur ist hier sehr groß und es ist ganz normal, sorbische Trachten zu tragen", sagt sie.
Die Idee aus dem Studium gefiel Gwiszcz so gut, dass sie bei dem Thema blieb und eine Abschluss-Kollektion zu moderner sorbischer Kleidung entwarf. Mit Erfolg: Da die Nachfrage nach ihrem Design nach der Präsentation auf dem Laufsteg so groß war, eröffnete sie schließlich 2014 einen Laden in Lübbenau im Spreewald. "Das war ideal für mich. Nach dem Studium konnte ich hier zu Hause arbeiten und musste nicht wegziehen."
Seitdem entwirft Gwiszcz Hoodies, Kleider, Trachten und sogar Hochzeitskleider mit traditionell sorbischen Elementen. Das gefällt nicht nur den Einheimischen, die hier gerne für besondere Anlässe wie Einschulungen oder Feste einkaufen, sondern auch der Laufkundschaft.
Viele Kundinnen seien auch Menschen aus dem sorbischen Kulturbereich: "Die Sorben-Sonderbeauftragte aus der Stadt lässt sich öfter mal etwas für Veranstaltungen anfertigen, wenn sie keine komplette Tracht anziehen will. Denn das ist ja schon ein größerer Aufwand, bis man das alles an hat."
Als Punk-Liebhaberin hätte Gwiszcz früher auch nie freiwillig eine sorbische Tracht getragen. Doch heute präsentiert sie sogar gerne selbst ihre modernen sorbischen Designs. Eine "wilde Spreewaldfrau" zu sein, damit kann sie leben.
Weiter südlich im obersorbischen Ort Schwarzkollm wird die Kultur auf etwas andere Weise am Leben gehalten: Dort wird jedes Jahr die alte Sage "Krabat" nach dem Buch von Ottfried Preußler als Theaterstück unter freiem Himmel vorgetragen. An Karten für die Krabatmühle kommen jedoch nur besonders große Fans, denn man muss schnell sein, die Nachfrage ist hoch. Wer das gesamte Märchen sehen will, kann sich dabei mehrere Jahre lang vergnügen – das Theaterstück hat stets mehrere Teile und zieht sich so über einige Jahre.
Ein Waisenjunge namens Krabat, sorbisch für Kroate, wird der Sage nach Zauberlehrling bei einem bösen Hexer. Doch nach einiger Zeit verliebt er sich in ein schönes Mädchen im Dorf und will sich von seinem Meister lossagen. Das alte Thema der Verführung des Bösen und der Kampf dagegen fasziniert die Menschen dabei immer wieder.
Die Krabat-Sage stammt zwar aus dem 17. Jahrhundert, wird aber jedes Jahr anders interpretiert und geht so mit der Zeit. Denn in der Mühle herrscht ein totalitäres System und es wird mit Gewalt geherrscht. So bleibt das Krabat-Thema vorerst auch weiterhin aktuell – leider.