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Sorben: Alte Kultur mit modernen Menschen – zwischen Tradition und High-Fashion

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Eine alte Kultur mit modernen Menschen: Über Traditionen und High-Fashion-Tracht

Die Lausitz ist eine eher stille Gegend – voller Wälder, weiter Ebenen, kleiner Städte und verstreuter Dörfer. Doch an manchen Tagen wird es laut: Dank der zahlreichen bunten und wilden Traditionen wird gerade hier oft und gerne gefeiert. Dabei ist die sorbische Kultur keineswegs verstaubt, wie die Menschen in dieser Reihe zeigen.
20.05.2022, 09:3720.05.2022, 14:22
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So bunt und vielfältig die sorbische Kultur mit ihren aufwendigen Trachten und Traditionen wie Maibaumstellen, Hexenbrennen, Vogelhochzeit oder Zampern ist, so altmodisch mag sie von manch einem oder einer gesehen werden. Doch gerade von der Jugend werden die sorbischen Bräuche vor allem in der ländlichen Region mit Begeisterung gefeiert. Denn viele Sorben und Sorbinnen sind sehr stolz auf ihre Kultur, ihre Bräuche und Legenden.

Wer kennt die Sorben?
Die Sorben siedelten schon ab dem sechsten Jahrhundert im Osten Deutschlands, lange bevor die Deutschen sich überhaupt als Nation definierten.

Doch die Lausitz, die strukturschwache Heimat der Sorben, blutet aus: Die Bevölkerung schwindet und damit ist auch ihre Kultur in Gefahr.

In dieser Serie geht es um Menschen, die sich für den Erhalt der sorbischen Kultur engagieren.

Serienteil 1:
Die Sorben: Kampf um den Erhalt einer Minderheit

Serienteil 2:
Eine alte Kultur mit modernen Menschen: Über Traditionen und High-Fashion-Tracht

Serienteil 3:
Die Sorben und ihre Sprache: Wie "Sprachbäder" und Rap das Sorbische vor dem Aussterben retten sollen
Die sorbische Vogelhochzeit wird vor allem von den Kindern gefeiert.
Die sorbische Vogelhochzeit wird vor allem von den Kindern gefeiert.Bild: iStockphoto / Mark Poltermann
Einige Bräuche der Sorben
Das Zampern findet jährlich vor der Fastnachtszeit statt, um böse Geister zu vertreiben. Kostümierte junge Männer im Dorf ziehen von Haus zu Haus, um Geld für das abendliche Zampernessen einzutreiben. Seit diesem Jahr machen in einigen Orten wie Seidewinkel auch die Frauen mit.

Bei der Vogelhochzeit geht es um die Vermählung einer männlichen Drossel mit einer weiblichen Amsel. Am Vorabend des 25. Januar stellen sorbische Kinder einen Teller nach draußen. Am nächsten Morgen finden sich darauf Süßigkeiten in Form von Vögeln oder Nestern. Gefeiert wird der Tag in Schulen und Kindergärten in traditioneller Hochzeitstracht mit Gesang, Vorführungen oder Festumzügen.

Osterbräuche wie Maibaumstellen, gefolgt vom Maibaumwerfen, sind besonders bei der Jugend in der Lausitz beliebt. Wenn der Maibaum am Boden liegt, rennen die Burschen zur Krone, der Schnellste ergreift die sorbische Fahne und wird Maikönig und wählt seine Maikönigin. Osterwasserholen, Osterreiten, Osterfeuer sowie das Verzieren von Ostereiern sind weitere Bräuche zur Osterzeit.

Beim jährlichen Hahnrupfen reiten junge Männer unter einem verzierten Tor, an dessen Spitze ein toter Hahn hängt, hindurch und versuchen, ein Stückchen von dem Hahn zu rupfen. Wer es schafft, dem Hahn den Kopf abzureißen, ist Sieger und damit auch Erntekönig.

Grit Lemke findet den starken Fokus der sorbischen Kultur allerdings auch problematisch. Die sorbische Filmregisseurin und Gewinnerin des Grimme-Preises ("Gundermann Revier") sagt im Gespräch mit watson:

"Folklore, also eine Art Musealisierung als Teil einer Geschichte, sehe ich sehr kritisch. Folklore ist zweischneidig, weil man den Spaß daran sieht und weil es eine Gemeinschaft auch zusammenhält. Aber es ist schwierig, wenn es der einzige Weg ist, worüber sich Identität bildet."
Die Regisseurin Grit Lemke ist in Spremberg geboren.
Die Regisseurin Grit Lemke ist in Spremberg geboren.Bild: EPA / Wenhao Yu

Lemke arbeitet derzeit an einer Dokumentation über die Lausitz mit dem Namen "Das vergessene Volk". Darin begleitet sie verschiedene Protagonisten aus allen Teilen der Lausitz in verschiedenen Altersgruppen und sozialen Milieus über ein Jahr lang. "Ich versuche, das Sorbische auf ganz verschiedenen Ebenen abzubilden", sagt sie.

"Da geht es auch um Traumatisierung durch den Verlust der Muttersprache oder der Heimat, zum Beispiel, wenn ein ganzes Dorf abgebaggert wurde."
Regisseurin Grit Lemkewatson

Die Umsetzung ihres Filmprojekts, an dem sie gerade noch arbeitet, ist allerdings nicht leicht: "Wir haben vom Bund kein Geld bekommen, weil im Titel das Wort Volk auftaucht." Trotzdem will Lemke ihren Film realisieren, weil das Thema wichtige Fragen aufgreife: "Es geht um die Frage nach Volk, Identität, Sprache und Zugehörigkeit. Das sind super aktuelle Themen, gerade auch im europäischen Kontext und da passt die sorbische Frage genau rein."

Das Osterreiten zieht jedes Jahr zahlreiche Schaulustige an.
Das Osterreiten zieht jedes Jahr zahlreiche Schaulustige an.Bild: iStockphoto / Mark Poltermann

Die Suche nach der eigenen – sorbischen – Identität

Beim Film "Das vergessene Volk" will Lemke herausfinden, was ihre Protagonisten und Protagonistinnen bewegt. "Alle Protagonisten vereint, dass die Frage der Identität sehr zentral für sie ist."

Denn viele der Sorben und Sorbinnen hätten zentrale Verlusterfahrungen in ihrem Leben gemacht: "Da geht es auch um Traumatisierung durch den Verlust der Muttersprache oder der Heimat, zum Beispiel wenn ein ganzes Dorf abgebaggert wurde." Denn für die Braunkohlegewinnung wurden bereits 137 Dörfer in der Region Lausitz zerstört.

"Wenn von den Sorben die Rede ist, redet man immer von einer kleinen Minderheit, von 60.000 Menschen. Ich denke, dass es eigentlich keine Minderheit ist, sondern eine verdrängte Identität, die noch irgendwo ist. Die Lausitz ist mehr oder weniger sorbisch, das ist einfach nur vergessen oder verdrängt worden. Denn sie ist sehr brutal germanisiert und kolonialisiert worden."
"Alle Protagonisten vereint, dass die Frage der Identität sehr zentral für sie ist."
Grit Lemke über ihre Dokumentation über Sorben

Doch "die Sorben", das gebe es ebenso wenig wie "die Deutschen". So handelt Grit Lemkes Film von jenen, die als Muttersprache Sorbisch reden und anderen, die wegen ihres Sorbisch-Seins unter Stigmatisierung zu leiden hatten. "Das sind alles Menschen, die eine Leerstelle in ihrem Leben gefunden haben und die irgendwie versuchen, sich das wieder anzueignen."

Aber es geht auch um Personen, die sich aktiv dafür einsetzten, das Sorbische in andere Zusammenhänge zu bringen und in einer urbanen Kultur zu verankern.

"Es wird immer gesagt, das Sorbische ist so ländlich und traditionell. Das ist Blödsinn. Wie jede andere Kultur, Sprache, Identität und Nation kann auch das Sorbische natürlich in subkulturellen Zusammenhängen in der Stadt existieren. Zum Beispiel gibt es sorbischen Punk und Kunst in allen möglichen Variationen."

Sorbische High-Fashion

Wer seine sorbische Identität auf richtig modische Art zeigen will, ist bei Sarah Gwiszcz genau richtig. In ihrem Laden im idyllischen Spreewald verkauft die gelernte Modedesignerin moderne Kleidung mit sorbischem Touch. "Wurlawy" heißt der Shop, was so viel wie "wilde Spreewaldfrauen" bedeutet und aus einer sorbischen Sage stammt. Darin kommen die weiblichen Waldgeister abends aus ihrem Wald und treiben auf den Straßen des Dorfs ihr Unwesen.

Die Wurlawy-Mode wird auch auf dem Laufsteg präsentiert.
Die Wurlawy-Mode wird auch auf dem Laufsteg präsentiert.Bild: imago stock&people / Rainer Weisflog

Sarah Gwiszcz bleibt dafür lieber in ihrem Atelier und entwirft sorbische Mode: Schon während ihres Studiums in Berlin arbeitete sie mit ihrer Klasse an einem geförderten Projekt für sorbische Kultur. Die Aufgabenstellung: "Moderne Mode für junge Sorben zu entwerfen, mit einem Touch Tracht", berichtet sie watson.

Nicht allzu schwer für die junge Frau aus der Lausitz: "Damit bin ich aufgewachsen, das kennt man ja einfach im Spreewald. Die Trachtenkultur ist hier sehr groß und es ist ganz normal, sorbische Trachten zu tragen", sagt sie.

Die klassische Spreewaldtracht trägt diese Frau beim Kahnstechen.
Die klassische Spreewaldtracht trägt diese Frau beim Kahnstechen.Bild: Photodisc / Jupiterimages

Die Idee aus dem Studium gefiel Gwiszcz so gut, dass sie bei dem Thema blieb und eine Abschluss-Kollektion zu moderner sorbischer Kleidung entwarf. Mit Erfolg: Da die Nachfrage nach ihrem Design nach der Präsentation auf dem Laufsteg so groß war, eröffnete sie schließlich 2014 einen Laden in Lübbenau im Spreewald. "Das war ideal für mich. Nach dem Studium konnte ich hier zu Hause arbeiten und musste nicht wegziehen."

"Moderne Mode für junge Sorben zu entwerfen, mit einem Touch Tracht"
Modedesignerin Sarah Gwiszcz

Seitdem entwirft Gwiszcz Hoodies, Kleider, Trachten und sogar Hochzeitskleider mit traditionell sorbischen Elementen. Das gefällt nicht nur den Einheimischen, die hier gerne für besondere Anlässe wie Einschulungen oder Feste einkaufen, sondern auch der Laufkundschaft.

Viele Kundinnen seien auch Menschen aus dem sorbischen Kulturbereich: "Die Sorben-Sonderbeauftragte aus der Stadt lässt sich öfter mal etwas für Veranstaltungen anfertigen, wenn sie keine komplette Tracht anziehen will. Denn das ist ja schon ein größerer Aufwand, bis man das alles an hat."

Als Punk-Liebhaberin hätte Gwiszcz früher auch nie freiwillig eine sorbische Tracht getragen. Doch heute präsentiert sie sogar gerne selbst ihre modernen sorbischen Designs. Eine "wilde Spreewaldfrau" zu sein, damit kann sie leben.

Die Krabat-Sage

Einige Legenden der Sorben
Murawa ist die wendische Bezeichnung für einen Nachtalb in Form einer Hexe, die nachts Menschen heimsucht und erschreckt. Den Kindern wird erzählt, dass sie nachts mit ihrer haarigen Zunge ihre Füße abschleckt, wenn sie diese nicht gewaschen haben.

Lutken, auch Lutki, sind in der Erde wohnende freundliche, aber freche Zwerge. Sie fassen jede Aussage in negative Form. Zum Beispiel: "Ich bin nicht zum Bauern gegangen, um kein Nichtkorn zu holen." Die kleinen Brote, welche die Lutki backten, sollen viele arme Menschen vor dem Verhungern bewahrt haben.

Die Mittagsfrau erscheint an den sommerlichen Erntetagen den Menschen, die zur Mittagszeit arbeiten. Sie bringt diese um den Verstand und schneidet ihnen mit einer Sichel den Kopf ab.

Der Wassermann sitzt am Ufer unter dem Wasser, um Kinder zu verscheuchen, damit sie dem Wasser nicht zu nahe kommen. Neugierige Menschen, die nach seinen Seerosen greifen, versucht er hinunter in sein Reich zu ziehen.

Weiter südlich im obersorbischen Ort Schwarzkollm wird die Kultur auf etwas andere Weise am Leben gehalten: Dort wird jedes Jahr die alte Sage "Krabat" nach dem Buch von Ottfried Preußler als Theaterstück unter freiem Himmel vorgetragen. An Karten für die Krabatmühle kommen jedoch nur besonders große Fans, denn man muss schnell sein, die Nachfrage ist hoch. Wer das gesamte Märchen sehen will, kann sich dabei mehrere Jahre lang vergnügen – das Theaterstück hat stets mehrere Teile und zieht sich so über einige Jahre.

Die Krabatmühle im obersorbischen Schwarzkollm ist eine dauerhafte Theaterkulisse und Restaurant.
Die Krabatmühle im obersorbischen Schwarzkollm ist eine dauerhafte Theaterkulisse und Restaurant.Bild: iStockphoto / Mark Poltermann

Ein Waisenjunge namens Krabat, sorbisch für Kroate, wird der Sage nach Zauberlehrling bei einem bösen Hexer. Doch nach einiger Zeit verliebt er sich in ein schönes Mädchen im Dorf und will sich von seinem Meister lossagen. Das alte Thema der Verführung des Bösen und der Kampf dagegen fasziniert die Menschen dabei immer wieder.

Die Krabat-Sage stammt zwar aus dem 17. Jahrhundert, wird aber jedes Jahr anders interpretiert und geht so mit der Zeit. Denn in der Mühle herrscht ein totalitäres System und es wird mit Gewalt geherrscht. So bleibt das Krabat-Thema vorerst auch weiterhin aktuell – leider.

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