
Ohne Lippenstift aus dem Haus? Geht natürlich gar nicht. Bild: chatgpt / ki
Sexistische Scheiße
Schminken, Rasieren, Nägel lackieren kostet Zeit, Geld und Lebensenergie: Und trotzdem mache ich das mit. Aber warum eigentlich? Und geht es nicht anders? Vielleicht schon.
14.04.2025, 08:0214.04.2025, 08:02
In meinem Bad sieht es aus wie in einem verdammten Drogeriemarkt.
Eine Aufzählung der Produkte, die ich täglich oder mindestens wöchentlich benutze für meinen Körper, von der Haarspitze bis zum kleinen Zeh, würde die maximale Zeichenanzahl dieses Artikels locker sprengen. Keine Ahnung, wie viel Geld ich pro Monat ausgebe für Wimperntusche, Nagellack, Conditioner, Foundation und andere Dinge, die Männer (eher) nicht nutzen. Und ich vermute, dass nicht alle Männer, die diesen Text lesen, auch wissen, wofür man Foundation überhaupt braucht.
Die gute Nachricht ist: Nicht nur mir geht es so, wenn es um Kosmetik geht, sondern vielen Frauen.
Die schlechte Nachricht ist: Das ist keine gute Nachricht.
Über "Sexistische Scheiße"
Ronja Brier schreibt in dieser Kolumne über Alltags-Sexismus, den wir alle kennen, selbst erfahren oder in der Öffentlichkeit wahrnehmen. Der trotzdem oft genug kleingeredet wird oder über den hinweggesehen wird. Unsere stellvertretende Chefredakteurin hat genug davon! In ihren Texten will sie informieren, widersprechen oder sich einfach mal über sexistische Scheiße auslassen.
Viele Frauen haben das Gefühl, nicht schön genug zu sein
Alle Menschen wollen irgendwie schön sein. Es gibt immer mehr Männer, die diesen Druck ebenfalls verspüren. Nicht trainiert zu sein, ist für sie beispielsweise keine Option. Dennoch zeigen Studien: 30 Prozent der Frauen sind unzufrieden oder eher unzufrieden mit dem eigenen Körper. Bei Männern sind das nur 20 Prozent. Statistisch gesehen wäre in Deutschland eine von fünf Frauen bereit, sogar fünf Jahre ihres Lebens zu opfern, um ihrem Idealbild zu entsprechen.
So erschreckend ich diese Zahlen finde, weil sie zeigen, wie viele Frauen das Gefühl haben, nicht gut, nicht schön genug zu sein, so wenig kann ich von mir behaupten, dass ich bei diesem Tausch nicht auch dabei wäre. Viel zu oft behandle auch ich meinen Körper wie einen Gegner, der in Schach gehalten werden muss. Dessen Tücken und Eigenheiten abseits der Norm ich als Defizite wahrnehme, die ich trimmen, formen, überschminken muss, um meinem Idealbild zumindest ein bisschen näher zu kommen.
Bei mir geht es so weit, dass ich mir beim Blick in den Spiegel fremd vorkomme, wenn ich keinen Lippenstift trage. Bin das wirklich ich? Meine Wimpern sind mir nicht dicht, nicht lang genug, weshalb ich auch im Homeoffice Wimperntusche auftrage. Und sollte ich Push-up-BHs kaufen? Ob meine Brüste groß genug sind, frage ich mich regelmäßig: Wie vermutlich jede andere Frau (abgesehen von denen, die sich nicht sicher sind, ob sie vielleicht schon zu große Brüste haben).
- Schönheitseingriffe sind dann nicht mehr weit. Zum Thema Beauty-OP habe ich hier geschrieben.
Wir lernen schon als Mädchen, wie wichtig Schönsein ist
Das hört sich nicht nach einem gesunden Verhältnis zum eigenen Körper an. Sondern eher wie Krieg, den wir führen gegen unsere vermeintlichen Defizite. Aber wer hat ihn angezettelt?
- Wenn es um Schönheitsideale geht, ist Körpergewicht ein ganz eigenes Thema. Darüber habe ich hier geschrieben.
Das eine ist: Schönsein wird uns schon ganz früh eingetrichtert. Als Mädchen hatte ich unendlich viele Barbies, aber an eine, die Haare an den Beinen hatte oder ungeschminkt war, erinnere ich mich nicht. Auch Margarete Stokowski schreibt in "Untenrum frei" darüber, wie Mädchen von klein auf lernen, dass ihr Körper nicht in Ordnung ist: "Spätestens bei der Enthaarungsfrage beginnt das gelegentliche Hübschmachen, das in der Kindheit noch spielerisch war, zu Arbeit zu werden. Mein Körper wird zu einer wandelnden To-do-Liste."
Aber das ist erst der Anfang.
In Werbung und auf Social Media sind perfekte Körper überrepräsentiert
Auf Plakatwänden sehe ich glatte Haut, glänzende Haare, pralle Lippen. Und ich will das auch. Wer würde jetzt sagen: Ich will das nicht? Auch auf Social Media finden wir eine Überrepräsentation von vermeintlich perfekten Körpern vor. Es gibt unzählige Filter, immer einen neuen Trend. Wir werden überschwemmt mit Schönheit. Nur für die eigene haben wir dadurch keinen Blick mehr. Was ist das für ein absurder Effekt?
Natürlich checke ich, dass das eine Masche ist. Wie sehr Schönheit ein Geschäftsmodell ist: Es ist immer irgendetwas anderes, was eine Frau noch attraktiver werden lässt. (Nur glücklich sollen wir nicht werden. Denn dann ließe sich mit uns kein Geld verdienen.)
Bodypositivity oder einfach lassen: Ist das die Lösung?
Glücklicherweise geht es auch anders. Social Media allein ist nicht das Problem (auch wenn das gerne behauptet wird). Es gibt inzwischen viele Influencer:innen, die genau dagegen anarbeiten. Die Bodypositivity pushen und nicht lockerlassen. Louisa Dellert und Tara-Louise Wittwer beispielsweise.
Aber reicht das, damit sich wirklich etwas ändert?
Ich muss an die denken, die fordern: Lass es halt! Die aufhören, sich die Beine zu rasieren und hoffen, dass das die Lösung sein könnte. Doch ich glaube: So leicht ist es nicht. Denn Schönheit ist immer auch ein politisches Thema. Es gibt unendlich viele Studien, die zeigen, dass schöne Menschen Vorteile haben.
Auch Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Lechner betont, dass unsere Schönheitsideale untrennbar mit Machtstrukturen verbunden sind: "Wir leben in einer zutiefst 'lookistischen' Gesellschaft, die Menschen nach dem Äußeren bewertet und je nach Befund auf- oder abwertet. Das fängt bei Noten, Partnerinnen- oder Partnerwahl und Jobvergabe an, führt aber so weit, dass Menschen, die als unattraktiv oder eklig bewertet werden, körperliche Gewalt erfahren und eine schlechtere Gesundheitsversorgung bekommen."
Es gibt eine Erwartungshaltung der Gesellschaft an den Körper einer Frau
Natürlich zwingt mich niemand dazu, mir die Fingernägel zu lackieren. Ich habe gerne rote Fingernägel. Aber der Vorgang des Entfernens, Unterlack-, Lack- und Überlack-Auftragens macht ja keinen Spaß. Schminken, Rasieren, Nägel lackieren kostet Zeit, Geld und Lebensenergie. Mir würden unendlich viele Dinge einfallen, die ich stattdessen lieber tun würde.
Und dennoch mache ich mit: Es gibt eben eine Erwartungshaltung der Gesellschaft an den Körper einer Frau. Die wird oftmals nicht mal ausgesprochen. Sie ist antrainiert, internalisiert. Und das macht es umso komplizierter: weil es fast unmöglich ist, sich davon zu lösen.
Die Schauspielerin und Autorin Saralisa Volm hat darüber ein ganzes Buch geschrieben. Der vielsagende Titel: "Das ewige Ungenügend". Darin heißt es: "Überall ist Körper. Überall ist Bewertung. Kein Entkommen. Was macht das mit uns?"

Ikkimel macht nur, worauf sie Lust hat. Und damit provoziert sie. Bild: imago images / PIC ONE
Den Kampf, den ich führe, scheint Ikkimel überhaupt nicht zu kennen
Eine, die sich diese Frage offenbar so gar nicht stellt, ist Rapperin Ikkimel. Wie egal ihr eine mögliche Abwertung durch andere ist, erklärt sie in ihrem Song "Bikini Grell". Sie nimmt sie zur Kenntnis, mehr aber auch nicht: "Sie sagen: 'Mel, du bist mir ein bisschen zu krass' / Ich sag': 'Okay', lade nach und schieße mich ab." Auch im Interview mit dem Hessischen Rundfunk sagt sie: "Ich bin einfach gerne sexy. Ich mach' das nicht für Männer, sondern weil ich mich gerne geil fühle in meinen Musikvideos und meinen Tracks."
Damit steht sie für eine Generation junger Frauen, die sich nicht fragen, wie sie aussehen, geschminkt sein, frisiert sein sollten. Die sich nicht dafür interessieren, was sie dürfen und was angeblich nicht. Ikkimel scheißt auf normschön und gesellschaftliche Erwartungen. Sie fragt sich vor allem, was sie will.
Und alleine das kann was Empowerndes haben.
Auf den Kampf, über den ich noch lamentiere, scheint sie sich überhaupt nicht einzulassen. Dadurch werden patriarchale Strukturen zwar nicht abgeschafft. Und eine Feministin ist sie auch noch nicht, nur weil sie macht, was sie will. Aber Kosmetik – das muss man ihr lassen – ist schon mal nicht das Problem von Ikkimel.
Du hast ein ungutes Gefühl, weil der Partner irgendwie abweisend ist? Das kann passieren. Wir schauen uns die Alarmzeichen genauer an.
Wer kennt’s nicht? Man sitzt gemütlich nebeneinander, die Stimmung ist eigentlich entspannt – und plötzlich wirkt er irgendwie anders. Kürzere Antworten, ein genervter Blick, vielleicht ein betontes Schweigen. Und obwohl du ganz sicher weißt, dass da was ist, kommt auf die Frage "Alles okay bei dir?" nur ein betont gleichgültiges "Ja, alles gut". Aha. Klar.