Viele lesen begeistert deine Bücher, andere können damit nichts anfangen. Bist du Deutschlands umstrittenste Feministin?
Mirna Funk: Mir fällt immer wieder auf, dass die meisten, die sehr speziell auf mich reagieren, oft meine Bücher und Texte gar nicht gelesen haben. Ich habe in den letzten zehn Jahren etliche Shitstorms durchgemacht, vor allem feministische. Daher weiß ich, dass viele von denen, die mir misstrauisch gegenüberstehen, nur irgendwelche Storys, Tweets und Stuff über mich aufgeschnappt haben. Natürlich gibt es auch Frauen, die genau wissen, wie ich denke und es trotzdem ablehnen. Das ist völlig okay.
Ich würde dich als radikale Individualistin beschreiben. Stimmt das?
Nein. Ich sage dir auch, warum. Ich nehme aktiv Teil an der Gesellschaft und verändere sie. Dadurch bin ich keine Individualistin, sondern krass sozial engagiert. Jemand, der sich rauszieht aus der Gesellschaft, indem er Cupcakes backt und Tulpen setzt, ist für mich radikal individualistisch.
Wie sozial finden dich andere Mütter, wenn du beim Schulfest keine Lust hast, wie alle anderen Cupcakes zu backen?
Ich backe keine Cupcakes selbst, das heißt aber nicht, dass ich kein Essen zum Schulfest mitbringe. Es ist halt gekauft. Die Angst davor, als Rabenmutter wahrgenommen zu werden, hat vor allem mit den eigenen Issues zu tun. Mir hat noch nie jemand vorgeworfen, ich sei eine Rabenmutter. Und wenn das irgendjemand denkt, nur weil ich keine scheiß Cupcakes mitbringe, kann mir das doch total egal sein. Ich habe sowas noch nie gemacht und ich habe auch keine Kapas dafür. Ich verstehe überhaupt nicht, warum mich das interessieren sollte, was irgendeine Birgit in einer Eltern-Whatsapp-Gruppe über mich denkt.
Mit Individualistin meine ich: Du glaubst, dass es nichts bringt, Strukturen die Schuld an fehlender Gleichberechtigung zu geben. Vielmehr müssen wir uns selbst kümmern. Richtig?
Ja, aber das ist trotzdem interessant: Dass Leute das als individualistisch bezeichnen, obwohl es eigentlich sozial ist, wenn ich mich unabhängig mache und weder dem Staat noch anderen Menschen auf der Tasche liege. Wer soll denn für Gleichberechtigung sorgen, wenn nicht wir selbst? Wir, die Individuen, sind doch die Gesellschaft. Wenn wir nicht alle mit anpacken, dann verändert sich auch nichts. Das ist im Übrigen der Kern sozialistischen Denkens.
Wie blickst du auf Frauen, die in Teilzeit arbeiten?
Ich finde Frauen, die in Teilzeit arbeiten, nicht besonders sozial. Sie sind nicht unabhängig, sondern werden von ihrem Partner mitfinanziert. Gerade kamen neue Zahlen raus, die besagen, dass die Hälfte der arbeitenden Frauen in Deutschland ihre eigene Existenz nicht sichern können. Das hat nichts mit fehlender Gleichberechtigung oder der Gender Pay Gap zu tun, sondern damit, dass diese Frauen gar nicht oder nicht in Vollzeit arbeiten. Übrigens haben viele Frauen, die in Teilzeit arbeiten, nicht mal Kinder. Die haben also gar keinen Grund, um nicht in Vollzeit zu arbeiten. Der einzige Grund ist, dass es bequemer ist.
Was daran ist nicht okay, wenn eine Frau entscheidet, in Teilzeit zu gehen?
Meine Tochter ist inzwischen neun Jahre alt. Ich habe sie über die ganze Zeit alleine großgezogen, habe parallel dazu eine Karriere aufgebaut und lebe aktuell in zwei Städten: Mir fällt es wahnsinnig schwer, Mitgefühl und Verständnis zu entwickeln, wenn eine Frau mit Partner und einem Kind mir sagt, sie kann nicht Vollzeit arbeiten. Das ist eine Frechheit, allen alleinerziehenden Frauen gegenüber. Wenn diese Frauen in ihren ultra-privilegierten Leben, die sich um Miete und Existenzsicherung keine Gedanken machen müssen, sagen: "Das ist total hart" – dann klingt das für mich wirklich total irre.
Du bist eine Frau, die sehr viel Energie hat. Hast du kein Verständnis, dafür, wenn andere Frauen nicht so stark sind wie du?
Wie kommen die Leute immer auf die Idee, dass ich jemand bin, der viel Energie hat?
Du wirkst sehr so.
Ich habe gar keine Wahl, es anders zu machen. Ich habe niemanden, den ich anrufen könnte, wenn ich morgen meine Miete nicht mehr zahlen könnte. Daraus ergibt sich für mich ein Existenzdruck, der mich einfach nur machen lässt. Ich bin in einem ständigen Überlebensmodus, der das Leben von meiner Tochter und mir sichert. Das führt zu einem Handlungszwang, den Leute natürlich nicht haben, wenn sie in einer Eigentumswohnung sitzen, die ihnen Daddy gegeben hat.
Für junge Frauen sind heute Ikkimel, Shirin David oder Katja Krasavice feministische Vorbilder. Kannst du dem etwas abgewinnen?
Ikkimel, Shirin David und Katja Krasavice sind mir tatsächlich viel näher als eine Margarete Stokowski, die sich ihre Haare nicht färben will, obwohl sie mal müsste. Ich war in den 90ern Teenager, als die Spice Girls Feminismus bedeuteten. Ich habe kein Problem mit weiblichen Körpern. Ich verstehe auch nicht, wie man das Ausleben von Weiblichkeit antifeministisch deuten kann. Für mich ist das prüde.
Junge Menschen sind beim Thema Feminismus extrem gespalten: 53 Prozent der Gen-Z-Frauen bezeichnen sich als Feministinnen, verglichen mit nur 32 Prozent der Gen-Z-Männer. Woran liegt das?
Die Frage ist ja immer: Wie wird Feminismus definiert? Junge Frauen konnotieren Feminismus vermutlich positiver, deshalb bezeichnen sie sich als Feministinnen. Männer hingegen empfinden Feminismus als etwas, das mit ihnen nichts zu tun hat, deswegen fällt die Selbstbezeichnung hier schwerer. Aber vielleicht denken Frauen auch einfach zu viel über diese Begrifflichkeiten nach. Mir wäre lieber, wenn sie stattdessen mehr ins Handeln kommen.
Wie?
Wir müssen viel weniger über Feminismus reden und viel mehr darüber, wie wir gleichberechtigter leben können. Denn das wollen doch eigentlich alle. Aber wie wir dahinkommen, das sehe ich, sehen Männer und sehen manche feministischen Frauen sehr unterschiedlich.
Erklär mal bitte.
Wenn du Männer fragen würdest, wie wir die Welt gleichberechtigter gestalten können, würden die vermutlich sagen: Frauen sollen einfach mitmachen. Und viele Frauen würden Dinge sagen, wie: Wir brauchen erstmal eine Quote.
Die Quote kann helfen, Aufmerksamkeit auf qualifizierte Frauen zu lenken, die normalerweise übersehen werden.
Was bringt die Quote denn, wenn 30 Prozent nicht arbeiten wollen und 40 Prozent nur in Teilzeit? Führung gibt es nicht in Teilzeit. Du wirst als Frau mit Biss und Qualifikation nicht übersehen. Aber dir wird eben auch nichts hinterhergetragen. Frauen erklären gerne, was alles passieren muss, damit sie gleichberechtigter leben können. Wie soll sich denn etwas ändern, wenn 70 Prozent der Frauen in der Arbeitswelt gar nicht voll anwesend sind?
In Deutschland wird über die Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert. Könnte Israel, wo du lebst und wo Frauen wie Männer zur Armee gehen, ein Role Model sein?
Absolut. Wenn Wehrpflicht, dann selbstverständlich für Männer und für Frauen. Frauen sind in Israel Kampfsoldatinnen, fahren Panzer und sind in allen Bereichen der Armee vertreten, in denen auch Männer sind. Das verändert tiefgründig die Gesellschaft und das Verhältnis zwischen Männern und Frauen auf so positive Weise, dass ich mir das für Deutschland und vor allem für deutsche Männer wünschen würde.
Inwiefern?
Israelische Frauen sind ja sehr bossy. Es gibt keinen israelischen Mann, der nicht schon mal eine Offizierin über sich hatte. Das heißt, Männer werden von Frauen dazu verdonnert zum Beispiel hundert Liegestütze zu machen und sowas kann für ein Männer-Ego eigentlich nur gut sein.