Wer an Paris denkt, hat meist knutschende Pärchen an der Seine vor Augen. Doch es geht auch anders: Das habe ich gerade selbst erlebt. In einem Kurs, in dem frau (unter anderem) das Masturbieren lernt.
Kein Scherz! Dieses Angebot stammt von dem Reiseanbieter GetYourGuide, der dieses Frühjahr einige Erlebnisse speziell für weibliche Solo-Traveller im Programm hat, darunter einen kostenlosen Selfpleasure-Workshop mit Sexcoach Marie Morice.
Im vierstündigen "The Pleasure Atelier: Ein Pariser Guide" will Marie Frauen "helfen, ihre Verbindung zum eigenen Körper und ihrer weiblichen Energie neu zu entdecken."
Als watson-Redakteurin testete ich, ob die Masterclass weibliche Lust tatsächlich entfacht – und was wir von Marie Morice lernen können.
Ein sonniger Mittwoch, 12 Uhr. In einem Restaurant, nur 30 Meter von der fiktiven Agentur "Savoir" aus "Emily in Paris" entfernt, sitze ich mit anderen Journalistinnen vor einem Stapel pinker Fragebögen über unser Sexleben, als Marie Morice uns begrüßt.
Die französische Sexologin hat "female pleasure" zu ihrer Mission gemacht.
Das Ziel: Die Orgasmus Gap in Hetero-Beziehungen zu schließen, denn 95 Prozent der Männer erleben (laut BKK) regelmäßig beim Sex einen Höhepunkt, aber nur 65 Prozent der Frauen.
Nun gehöre ich zu denen, die recht verlässlich "kommen". Manchmal ist das sogar in Verbindung mit einem Mann passiert. Allerdings nicht so oft, wie ich es gerne hätte. Und nicht so oft, wie ich sie das habe glauben lassen.
Typisch, erklärt Marie weiter. Das Faken von Orgasmen sei weit verbreitet (75 Prozent der Frauen täuschten vor, ergab eine UK-Umfrage). In unseren Arbeitsbögen wird auch danach gefragt:
Ich denke nach: Wenn ich vorspielte, dann, um kein Ego zu kränken. Und weil ich locker wirken wollte, nicht frigide, bloß nicht anstrengend.
Marie rät, lieber ehrlich zu sein. "Keine Schuldgefühle mehr wegen eurer völlig normalen Bedürfnisse", fordert sie mit Nachdruck. Wer nur so tut, schadet dem eigenen Sexleben. Besser? "Reden, reden, reden."
Wir nicken bestätigend. Dass hinter meinen Fakes Gefallsucht steckte, ist mir schon vor Jahren aufgegangen. Es war ein Gamechanger, einfach aufzuhören. Der Schock saß zwar tief (beim Gegenüber), doch es hat sich dreitausendprozentig gelohnt!
Wir lernen: Wer Orgasmen faked, schadet sich selbst und nimmt dem Gegenüber die Chance, zu lernen.
Wir gehen über zum Solosex. Der wurde bei mir zum Stress-Abbau degradiert, dauert keine zwei Minuten, ist völlig monoton. Wäre ich mein eigener Partner, hätte ich schon längst Schluss gemacht – wegen lieblos.
"Geht das anderen auch so?", frage ich mich, während Marie ausführt, wie wichtig "Masturbation als Teil des größeren Wohlbefindens" sei. Allein der Dopamin-Ausstoß! Ich gelobe Besserung und blättere in den Fragebögen:
Sich diese Fragen zu stellen, hilft, eigene Ängste und Vorurteile zu erkennen und zeigt, was vielen Frauen auf dem Weg zur Lust im Weg steht: ihre Sozialisation.
Daher macht Marie einen Ausflug in die Geschichte, in der Forscher lange Zeit behaupteten, Frauen wären gar nicht in der Lage, einen Orgasmus zu haben (aka "Sag mir, dass du ein mieser Liebhaber bist, ohne zu sagen, dass du ein mieser Liebhaber bist").
Frauen, die ihre Lust auslebten, wurden als Hexen verbrannt, wegen Hysterie in die Psychiatrie gesperrt oder als Huren geächtet, fasst Marie zusammen. Es war über Jahrhunderte für Frauen lebensgefährlich, Begierde zu zeigen. In vielen Ländern ist es das noch.
Auch bei uns trennt ein hoher Body Count für einige Menschen die "Schlampe" vom "wife material". "Diese Erzählungen prägen uns bis heute", ist Marie sicher.
Wir lernen: Frauen wurde über Generationen eingetrichtert, sie sollten sich schämen, wenn sie Lust auf Sex hatten. Mach' dir das bewusst und sag diesem Unsinn "Adieu".
Zu allem Überfluss verkündete im 20. Jahrhundert dann Sigmund Freud, dass nur der "vaginale" Orgasmus ein "echter" Orgasmus sei. Seine arme Frau hätte ihm sicher gerne mal das Modell gezeigt, das nun von Hand zu Hand gereicht wird.
Der Querschnitt der Vulva zeigt: Alle Orgasmen sind klitorale Orgasmen. Bei der Penetration werden nur ihre inneren Schwellkörper gerubbelt. Das reicht meist nicht. "95 Prozent der Frauen brauchen die Stimulation der Klitoriseichel, um zu kommen", referiert Marie.
Dann führt sie aus, wie Frauen masturbieren – mit Vibratoren, den Fingern, laufend Wasser. Alles sehr verbreitet, doch "gerade einmal 1,5 Prozent schieben sich nur etwas in die Vagina."
Das zu begreifen, kann Männern viel Druck nehmen, betont Marie: "Wir brauchen keinen standfesten, riesigen Penis, um befriedigt zu werden." Wichtiger sei es, den Aufbau der Klitoris zu kennen, in Sachen Tempo und Druck nachzufragen.
Wir lernen: Frauen kommen bei der reinen Penetration extrem selten zum Orgasmus. Die meisten benötigen Stimulation an der Eichel der Klitoris.
"Und jetzt: Viel Spaß beim Masturbieren!", verabschiedet uns Marie zum Schluss auf die Straßen von Paris.
Ich habe zwei Gläser Wein getrunken, vier Stunden Selbstreflexion hinter mir und die Sonne im Gesicht. Vielleicht habe ich noch nicht die Hand in der Hose – aber das fühlt sich schon ziemlich gut an.
Eines hat Marie bereits erreicht: Ich verschwende keinen Gedanken mehr daran, ob es peinlich wäre, zu onanieren. Im Hotel beschließe ich, die üblichen Pornos oder Toys wegzulassen. Mich nicht zu hetzen. Ich will keine Ablenkung von der Person, mit der ich gleich Sex habe: mir.
Kein Lippengebeiße oder Wuscheln im Haar – ohnehin nur Porno-Fantasien (oder streicheln sich Männer die Nippel, während sie onanieren?).
Von außen sehe ich eher aus wie ein Hamster in einem weißen Queensize-Bed. Mit geschlossenen Augen, Decke bis zur Nase gezogen, ganz leise.
In meinem Kopf fühlt es sich jedoch spektakulär an! Es dauert länger als sonst, bis ich komme. Dafür ist der Weg dahin besser, viel intensiver als sonst.
Die Franzosen bezeichnen die Erschöpfung danach als "La petite mort" – den kleinen Tod. Zu Recht. Ich schlafe in dieser Nacht extrem tief.
Self-Pleasure nennt Marie das. Ich nenne das ab heute "Savoir-Masturber".