Kraken-Fortpflanzung: Oktopus-Tentakel spüren Eileiter per Hormon auf
In Literatur, Comics, Filmen und Serien finden Oktopoden statt. In Homers Odyssee zum Beispiel taucht einer als gewaltiges Seeungeheuer auf, das mit seinen Armen Schiffe in die Tiefe reißt. Auch H. P. Lovecrafts berühmte Figur Cthulhu ähnelt einer Mischung aus grünem Oktopus, einem Drachen und einer menschlichen Karikatur. Weil die Tiere so mysteriös sind, üben sie auf uns eine düstere Faszination aus.
Um Oktopoden das Furchterregende zu nehmen, hilft es, sie besser zu verstehen. Forscher:innen beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit ihnen und kommen immer wieder zu neuen Schlüssen. Online finden sich entsprechend haufenweise Faktensammlungen. Diese dürften nun um eine weitere Feststellung wachsen.
Kraken-Sex mit Paarungsarm
Thema ist das Liebesspiel der Kraken. Bekannt ist, dass die Tiere dem Akt auf unterschiedlichste Art nachgehen. Treffen sich Männchen und Weibchen, ist es mal unpersönlich und fix, das tierische Pendant zum Tinder-Date; mal kann es aber auch zu einem intensiven Vorspiel kommen. Stundenlang umkreisen sich die Tiere, verschmelzen aufgrund ihrer flexiblen Körper nahezu ineinander, während über ihre Körper Farbmuster rauschen.
Zudem kann es sein, dass sie ihre Spermien an Männchen und Weibchen verteilen. Und, wenn das Männchen zu viel wird, ist es auch möglich, dass ein Weibchen es nach der Paarung erstickt und auffrisst. Hach, die Tierwelt.
Nun haben Oktopoden keinen Penis, dafür einen zum Fortpflanzungsorgan umgebildeten Arm, den Hectocotylus. Dieser besitzt an der Spitze keine Saugnäpfe, sondern eine Spermatopheren-Rille. Vor der Paarung schwillt dieser Arm gleich einer Erektion an und entlang dieser Rille werden anschließend Spermien transportiert, um beim Weibchen zu landen. Dabei zielen sie auf die Stelle, durch die Oktopusse Wasser inhalieren, um ihre Kiemen mit Sauerstoff zu versorgen.
Dafür muss sich das Männchen aber bis zu den Eileitern vortasten. Das Tier ist dabei quasi blind. Pablo Villar, Neurobiologe an der Harvard University, wollte herausfinden, wie genau das funktioniert. Er brachte zwei kalifornische Zwei-Fleck-Kraken zusammen, trennte sie aber durch eine Trennwand mit kleinen Löchern. Durch die konnten die Tiere ihre Arme stecken und sich kennenlernen.
Das Männchen langte jedoch direkt durch eines der Löcher und paarte sich mit dem Weibchen, ohne dass sich die beiden durch die Wand sehen konnten. Das blinde Paarungsverhalten beobachtete Villar bei vier weiteren Paaren. Mit dem Harvard-Psychologen Nick Bellono wollte Villar anschließend herausfinden, ob chemische Stoffe dabei helfen, den Eileiter zu finden.
Ein Hormon-Signal reicht?
Sie hingen verschiedene Gefäße an die Trennwand, die unterschiedliche Substanzen enthielten. Es stellte sich heraus: Das Männchen schob seinen Hectocotylus am häufigsten in das Gefäß mit dem weiblichen Sexualhormon Progesteron. In anschließenden Untersuchungen fanden die Forscher:innen zudem heraus, dass der Fortpflanzungsarm bis zu dreimal mehr chemotaktische Rezeptoren und Neuronen aufweist als ein normaler Arm.
"Es ist eine Art Superarm", sagt Villar in seiner auf "bioRxiv" veröffentlichten Studie. Wie genau das Nervensystem den Arm zum Eileiter navigiert, ist noch unklar. Eine Vermutung: die Neuronen erkennen das Progesteronsignal und steuern den Arm entsprechend. Das ist insofern interessant, als es zeigt, dass Weibchen theoretisch auch steuern könnten, wie stark ihr Progesteronsignal ausfällt.
Zum Abschluss noch etwas Tragisches: Männchen und Weibchen sterben in aller Regel rasch nach der Paarung. Während das Weibchen während der Brutzeit aufhört zu fressen und letztlich stirbt, verenden die Männchen aufgrund der energiezehrenden Aufgabe, ihre Spermien ins Weibchen zu leiten.
