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Hartz-4-Empfänger bei Armutsshow – jetzt rechnet er hart mit RTL 2 ab

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Bild: RTL 2 / watson Montage
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Millionen sahen Hartz-IV-Empfänger bei "Armes Deutschland" – jetzt rechnet er mit RTL 2 ab

20.06.2019, 10:15
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"Für 8,50 Euro gehe ich nicht arbeiten", sagt Hartz-IV-Empfänger Alex, 23, in die Kamera von RTL 2. Dass er dabei nicht besonders sympathisch rüberkommt, ist klar – ihn gleich als Sozialschmarotzer abzustempeln, fällt dem Zuschauer nur allzu leicht.

Es ist ein Vorwurf, der Sendungen wie "Armes Deutschland" (RTL 2), "Plötzlich arm, plötzlich reich" (Sat.1) und "Vera unterwegs" (RTL) immer wieder gemacht wird – von Medien, aber auch von Lesern in Kommentarspalten.

Auch watson berichtete in jüngster Zeit über die Darstellung der Protagonisten bei "Armes Deutschland": Schnell werde der Eindruck erweckt, die Stimme aus dem Off, die das Geschehen kommentiert, unterteile in "gute" und "böse" Arme, unter anderem weil sie sich herablassend über die Protagonisten äußert.

Hartz-IV-Show "Armes Deutschland": Wird Alex' Situation hier überzogen dargestellt?

Die Darstellung des Protagonisten Alex fiel besonders negativ aus. In der neuen Staffel "Armes Deutschland", die erst kürzlich im April und Mai ausgestrahlt wurde, zeigten Produktionsfirma und Sender ihn immer wieder als unwillig und arbeitsscheu. Der Sprecher wird nicht müde, zu betonen, wie der Hartz-IV-Empfänger es sich in der "sozialen Hängematte" bequem macht. Wie er einfach "zu faul" sei, um "auch nur eine Bewerbung zu schreiben".

Auch einzelne Bemerkungen der Redakteure hinter der Kamera klingen nach Hohn – zum Beispiel, wenn von ihnen in einer Folge angemerkt wird, dass andere Menschen schließlich auch arbeiten gingen und sein Leben dadurch mit finanzierten.

Ob man das anmaßend findet – muss jeder für sich entscheiden. Schließlich ist Alex tatsächlich langzeitarbeitslos. Dennoch habe ich als Zuschauerin an einigen Stellen den Eindruck, Alex' Situation werde überzogen, nicht neutral genug präsentiert. Und am Ende von den Machern zu sehr bewertet.

Nun hat Alex watson kontaktiert. Er sei zu dem Zeitpunkt vor drei Tagen aus dem Gefängnis entlassen worden. Weswegen er inhaftiert gewesen ist, sagt er nicht – nur, dass die Sendung ausgestrahlt wurde, während er im Gefängnis saß.

"Mein Leben ist zerstört", sagt der Hartz-IV-Empfänger

Von der Darstellung seiner Person und Situation ist er offensichtlich schockiert – er sagt: "Mein Leben ist zerstört." Seit Ausstrahlung der RTL-2-Sendung erfahre er durchweg negatives Feedback. Bis hin zu Anfeindungen. Die Menschen auf der Straße starren ihn an, erkennen ihn wieder, rufen ihm nach: "Armes Deutschland". Er bekommt Hassnachrichten, teilweise mit Drohungen. Wie diese zum Beispiel, die er watson überlässt:

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Bild: Privat

Oder auch:

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Bild: Privat

"Sie können sich auf der Straße eigentlich nicht mehr blicken lassen"

Nach diesen negativen Erfahrungen will Alex seine Sicht der Dinge erzählen. Offensichtlich nun selbst gehört werden. Ohne die "Psychospielchen", die er dem Sender RTL 2 und der Produktionsfirma Odeon Entertainment vorwirft. Wir baten beide um Stellungnahmen zu den Punkten.

Im Gespräch mit uns ist Alex höflich, wenn auch etwas aufgebracht. Seit seiner Inhaftierung Anfang April hat ihn seine Frau, die auch in der Sendung zu sehen war, verlassen und die Kinder mitgenommen. Nun versucht Alex mit den negativen Rückmeldungen nach der Show zurechtzukommen.

Selbst seine Sachbearbeiterin im Jobcenter, die er gleich nach Haftentlassung aufgesucht hatte, sagte ihm: "Sie können sich auf der Straße eigentlich nicht mehr blicken lassen".

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Alex erzählt aufgeregt, wie er sein Mitwirken bei "Armes Deutschland" empfunden hat.

"Die Zusammenarbeit mit den Redakteuren war sehr nett, wir wurden viel gelobt, wie toll wir mit unseren Kindern umgehen – trotz der schwierigen Situation", sagt der 23-Jährige. "Gezeigt wurde davon in der Sendung nichts. Es wurden lediglich die negativen Momente dargestellt."

Auch Odeon Entertainment bewertet die Dreharbeiten mit Alex positiv:

"Die Zusammenarbeit war konstruktiv und vertrauensvoll."

Als überaus negativ bewertet die Firma die Darstellung von Alex jedoch nicht – eine Sprecherin antwortet auf unsere Nachfrage dazu: "Wir haben den Alltag der Familie des Protagonisten journalistisch ausgewogen mit seinen Höhen und Tiefen dokumentiert."

RTL 2 äußert sich zu dieser Frage nicht.

Der Hartz-IV-Empfänger geht im Gespräch mit watson allerdings noch weiter. Er sagt: "Das ist ein reines Psychospielchen, da geht es nur darum, so viel herauszulocken, wie es nur geht." Er erklärt, dass die Redakteure ihm immer wieder dieselben Fragen in leicht abgewandelter Form gestellt hatten.

Als Beispiel für diese "Psychospielchen" nennt Alex die oben erwähnte Szene, in der er sich beschwert, nicht für den Mindestlohn arbeiten gehen zu wollen. Seiner Auffassung nach habe diese Szene etwas anders stattgefunden:

"Die ist zustande gekommen, als die Redakteure und wir in unserem Wohnzimmer saßen und uns unterhielten – ohne Kameras. Da fragten sie mich, unter welchen Umständen ich denn gerne arbeiten gehen würde – und ich antwortete, dass ich prinzipiell gerne arbeiten möchte, aber eben für mehr als den Mindestlohn. Der ist einfach zu niedrig. Dann hieß es auf einmal: ‘Kannst du das noch mal in die Kamera sagen? Einfach den Satz: Für 8,50 Euro gehe ich nicht arbeiten?’ Und das habe ich dann eben gemacht, ohne groß darüber nachzudenken.”

Auch wurde Alex, wie er sagt, dazu angewiesen, bei den insgesamt 20 Drehtagen öfter mal dieselbe Kleidung anzuziehen. Also die, die er auch in der letzten Aufnahme trug. Warum er das tun sollte, sei ihm erst im Nachhinein bewusst geworden: "Weil die Ereignisse dann so zusammengeschnitten werden, als würden sie an einem Tag stattfinden."

Zu diesen Arbeitsmethoden, von denen Alex berichtet, möchte sich RTL 2 gegenüber watson nicht äußern – mit der Begründung, dass sie über "produktionelle Details" keine Auskunft liefern. Odeon Entertainment wiederum schreibt uns:

"Der Protagonist hat mehrmals vor und hinter der Kamera erklärt, warum er nicht arbeiten geht. Der Gehalt seiner Aussagen ist im finalen Film korrekt wiedergegeben."

Dass es eine Anweisung gegeben hätte, dass Alex mehrfach dieselbe Kleidung tragen soll, verneint die Produktionsfirma: "Es gab keinerlei Anweisungen hinsichtlich der Kleidung des Protagonisten."

Alex wollte eigentlich nicht bei "Armes Deutschland" mitmachen

Auch war es für den Hartz-IV-Empfänger laut eigener Aussage nicht transparent genug, wie das Filmteam arbeitete. Zu Beginn der Dreharbeiten sei ihm angeblich nicht bewusst gewesen, dass das Material für die Show "Armes Deutschland" verwendet werden könnte. Alex sagt:

“Der Arbeitstitel der Sendung lautete: ‘Brennpunkt Deutschland'.”

Hätte Alex gewusst, dass das Bildmaterial für "Armes Deutschland" verwendet werden würde, hätte er beim Dreh nicht mitgewirkt. "Ich kenne die Sendung und weiß, sie hat einen schlechten Ruf."

Dass Sendungen unter einem Arbeitstitel entstehen, ist laut RTL 2 und Odeon Entertainment üblich. So teilt uns eine Sprecherin von RTL 2 mit:

"Die erste Zusammenarbeit mit dem Protagonisten erfolgte für ein geplantes neues Format zum Themenfeld Armut in Deutschland – deshalb der Arbeitstitel. Zu diesem Zeitpunkt stand noch nicht definitiv fest, ob dieses Format zustande kommt oder das produzierte Material in einem anderen Format verwendet werden wird. Es lag keinesfalls in unserer Absicht, Beteiligte im Unklaren zu lassen."

Auch Odeon Entertainment sagt, "Brennpunkt Deutschland" sei "lediglich ein Arbeitstitel für ein neues Format" und war "im Vertrag mit dem Protagonisten entsprechend gekennzeichnet".

Auch betont die Firma, dass Alex nicht speziell für "Armes Deutschland" gecastet wurde, da schließlich das endgültige Format noch nicht feststand.

Warum hat Alex überhaupt bei der Sendung mitgewirkt?

Nun, mehrere Wochen nach Ausstrahlung der Sendung, versucht Alex, wieder Fuß zu fassen. Er bewirbt sich bei Zeitarbeitsfirmen – eine Sache, die er in der Sendung noch abgelehnt hatte. Heute sagt er: "Irgendwie muss ich ja jetzt einen Schritt nach vorne machen – auch, um mich von den ganzen negativen Erlebnissen der letzten Zeit abzulenken."

Die Sendung scheint einen mehr als bitteren Nachgeschmack bei Alex zu hinterlassen – doch warum hat er überhaupt in erster Instanz mitgewirkt?

"Wir dachten, so eventuell aus den Problemen rauszukommen... Beziehungsweise irgendwie mit dem TV-Team im Hintergrund mehr Ansporn und Einfluss zu haben, etwas zu erreichen und endlich aus dem Problemsumpf zu kommen. Und das Geld für die Dreharbeiten war teilweise eine gute Hilfe."

Alex ursprüngliche Motivation, bei der Sendung mitzumachen, ist nachvollziehbar: Aus vielen Gesprächen wird deutlich, dass viele Arbeitslose an der Monotonie ihres Alltags leiden und es schwierig finden, dem Trott zu entkommen. Am Ende sich sogar zu motivieren, wieder einer regelmäßigen Tätigkeit nachzugehen.

Dass Alex und seine Familie das Geld in ihrer gegenwärtigen Situation gut gebrauchen können, lässt sich ebenfalls nicht von der Hand weisen. Sowohl RTL 2 als auch Odeon Entertainment bestätigen, dass die Protagonisten mit einer Aufwandsentschädigung entlohnt werden – selbstverständlich gemäß der Hartz-IV-Kriterien. Denn wer soziale Leistungen bezieht, darf nur bedingt eigenes Geld verdienen.

Alex' Fazit nach Abschluss der Sendung lautet:

"Ich finde, man hätte die Sendung menschlicher gestalten können. Sie hat in der Form natürlich tolle Quoten erzielt – aber leider wurde der Erfolg auf meinem Rücken ausgetragen."

RTL 2 und Odeon Entertainment bieten watson gegenüber an, Alex Unterstützung zu vermitteln. Odeon Entertainment sagt:

"Wir bedauern es sehr, dass der Protagonist in Folge seines Mitwirkens verbal attackiert wird. Sollte er Hilfe bei der Vermittlung juristischer oder psychologischer Beratung benötigen, kann er sich jederzeit an uns wenden."

RTL 2 sagt, eine "psychologische o.ä. Betreuung erwachsener Mitwirkender ist bei Dokumentationen und Reportagen nicht üblich. Auf Wunsch vermitteln wir den Protagonisten entsprechende Hilfe".

Sendungen wie "Armes Deutschland" können irreführend sein

Vieles von dem, was Alex erzählt hat und über das wir immer wieder hier berichten, ist bereits bekannt. Dass Reality-TV nicht eins zu eins die Realität abbildet, wissen vielleicht die meisten Zuschauer – und dennoch können die Darstellungen solcher Sendungen wie "Armes Deutschland" irreführend sein und ein schlechtes Licht auf Hartz-IV-Empfänger werfen. Und das, obwohl es sich bei dieser Sendung um eine Dokumentation handelt, wie RTL 2 selbst beschreibt:

"'Armes Deutschland – Stempeln oder abrackern?' ist eine Dokumentation, die sich um ein authentisches Abbild der Realität sozial schwächer gestellter Bürgerinnen und Bürger bemüht. Dabei gibt das Format denen eine Stimme, die sich am Rand der Gesellschaft sehen und von selbiger ausgegrenzt fühlen. Andererseits schaut die Dokumentation dorthin, wo andere wegsehen."

Dass die Präsentation von Alex und seiner Familie nach Ausstrahlung der Sendung Wirkung zeigt, beweisen die oben dokumentierten Beispiele von Hassnachrichten. Diese Menschen und wohl viele andere Zuschauer nehmen die Darstellung unreflektiert als wahrhaftig an. Tragen Sender und Produktionsfirma nun aber die Verantwortung für eine solche Wahrnehmung?

Sicherlich haben weder der Sender noch die Produktionsfirma beabsichtigt, dass Alex ein solches Feedback der Zuschauer erhalten würde. Ob sie ihn davor bewahrt oder ihn vorgewarnt haben, lässt sich abschließend nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen.

Armut ist kein Problem, an dem Betroffene selbst schuld sind

Alex hat in seinem Leben sicherlich Fehler gemacht. Die Tatsache, dass er zum Beispiel bereits in Haft gewesen ist, trägt zu keiner positiven Entwicklung bei. Dafür kann auch "Armes Deutschland" nichts. Alex' Geschichte zu erzählen, ohne die Ursachen seiner aktuellen Situation zu hinterfragen, ist allerdings auch nicht besonders hilfreich.

Es ist wichtig aufzuzeigen, wie solche Situationen, wie die von Alex, überhaupt erst zustande kommen. Lösungsansätze zeigen, wie Menschen in prekären Situationen geholfen werden kann.

Denn auch so können Fernsehsendungen funktionieren: Mit einem konstruktiven Ansatz, der nicht nur den Tiefpunkt der Geschichte zeigt, sondern auch den Anfang und den Weg dahin. Sonst wird Armut allzu schnell als individuelles Problem dargestellt, an dem jeder Betroffene erst einmal selbst schuld ist. Und das schürt Hass auf den Betroffenen – nicht Hass auf die Armut in Deutschland, die das eigentliche Problem ist.

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