Hier sprechen regelmäßig Menschen, die von Armut betroffen
sind.
09.04.2018, 09:4030.04.2018, 07:44
Kai (Name geändert), 50 Jahre, ist alleinerziehender Vater
von drei Kindern im Alter von neun, 11 und 22 Jahren. Weil er sich um die
Kinder kümmert und keinen Teilzeitjob findet, lebt er von Hartz IV. Davor war er
selbstständig in der Gastronomie. Monatlich hat er 1811 Euro netto zur
Verfügung. Sein ältester Sohn verdient selber Geld.
Der 22 Jahre alte Sohn macht eine Ausbildung, bei der er knapp 750 Euro Gehalt erhält. Er wohnt noch zu Hause, zählt aber aufgrund des eigenen Gehalts nicht in den Hartz-IV-Satz rein. Da er sehr hohe Fahrtkosten hat, kann er seinem Vater kein Geld abgeben.
Für sich und seine anderen beiden Kinder hat er also pro
Person durchschnittlich 603 Euro.
Das ist unsere Serie "Unter 1000 Euro"
Die allein erziehende Mutter, der junge Künstler und der Rentner, der sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt: Auf den ersten Blick haben sie nichts gemeinsam. Doch sie alle sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, genauso wie jeder Fünfte in Deutschland. watson trifft regelmäßig Menschen, die mit weniger als 1000 Euro netto im Monat auskommen müssen.
Der Gesamtbetrag von 1811 Euro setzt sich zusammen aus:
1173 Euro Hartz IV, abzüglich 140 Euro Sanktionen für eine zu große Wohnung, macht 1033 Euro vom Jobcenter
Rest für Schulkosten wie Hefte, Bücher,
Mittagessen
Wir haben Kai gefragt, wie er mit seinem Geld auskommt.
Würden Sie sich
selbst als arm bezeichnen?
Wenn
ich in andere Länder schaue, dann würde ich mich selbst nicht direkt als arm
bezeichnen. Denn wir leben ganz gut und wir haben eine Wohnung. Ich versuche
eine kleinere Wohnung zu bekommen, aber das ist in dem Bezirk, in dem wir
wohnen, aufgrund der steigenden Mietpreise finanziell sehr schwierig.
"Ich will die
Kinder auch nicht aus der Schule und aus ihrem gewohnten Umfeld reißen und
weiter weg ziehen."
Kai
Woran merken Sie
täglich, dass Sie arm sind?
Faktisch
lebe ich von dem Geld von meinen Kindern. Mich setzt es schon unter Druck, dass
ich immer jeden Euro umdrehen muss. Beim Einkaufen im Supermarkt rechne ich immer
mit.
"Als
ich noch selbstständig war, hatten wir alles. Zwei Autos, ein Haus."
Kai
Das ist jetzt ein krasser Unterschied. Aber ich habe mich nach
der Trennung von meiner Frau bewusst für die Kinder entschieden, ich
wollte sie bei mir haben und das würde ich auch jederzeit dem Geld vorziehen.
Wer ist arm in Deutschland?
16,1 Millionen Menschen, also jeder Fünfte Deutsche, war im Jahr 2015 von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht.
Ein Mensch gilt als von Armut bedroht, wenn mindestens eine der folgenden drei Lebenssituationen zutrifft: (Quelle: Leben in Europa EU-SILC).
1. Das Einkommen liegt unter der Armutsgefährdungsgrenze. 2015 lag dieser Schwellenwert für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 1033 Euro, für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 2170 Euro im Monat.
2. Der Haushalt ist von erheblicher materieller Entbehrung betroffen. Das bedeutet, dass jemand zum Beispiel nicht in der Lage war, Rechnungen für Miete, Hypotheken oder Versorgungsleistungen zu bezahlen, die Wohnungen angemessen zu beheizen oder eine einwöchige Urlaubsreise zu finanzieren.
3. Der Mensch lebt in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung.
eu-silc-bericht 2015
Wie lange dauert es,
bis das Geld knapp wird?
Das kommt ganz auf den Monat an. Wenn Ostern, Weihnachten
oder Geburtstage anstehen, dann bin ich die gesamte Zeit am Rechnen. In
normalen Monaten ist es meistens die letzte Woche, die kritisch ist. Aber Essen
zum Beispiel gibt es bei uns immer. Ich bin gelernter Koch und koche jeden Tag
frisch, das ist kein Problem.
Was war das
krasseste, was Sie mal gemacht haben, um an Geld zu kommen?
Ich habe sehr viele Sachen von früher verkauft, um an Geld
zu kommen und mich von meiner Zippo-Feuerzeug-Sammlung getrennt – damit habe ich 750 Euro verdient. Aber ich habe
auch das Glück, dass ich noch viele Dinge wie Möbel von damals
habe und die Kosten dadurch nicht so krass sind.
Was haben Sie sich
zuletzt gegönnt?
Ich
gebe mein Geld lieber für meine Kinder aus und kaufe ihnen schöne Kleidung oder
etwas für ihre Zimmer.
"Aber
schon Klassenfahrten sind ein Problem. Da muss ich dann zum Amt und nach dem
Geld fragen."
Kai
Unsere Autorin Anna hat als Kind von Hartz IV gelebt
Was müsste sich Ihrer
Meinung nach in Deutschland ändern, um Ihre Situation zu ändern?
Weil
ich starke Diabetes habe, habe ich inzwischen 10 Augenoperationen hinter mir
und sehe kaum noch. Deshalb kann ich nicht mehr als Koch arbeiten. Ich würde
gerne wieder arbeiten, aber das ist als alleinerziehender Vater sehr schwierig.
Es müsste mehr Teilzeitstellen geben, die es ermöglichen würden, dass ich meine
Kinder morgens und abends gut versorgen kann. Wenn ich Schicht arbeiten würde,
dann wäre ich den ganzen Abend weg und könnte mich nicht mehr um meine Kinder
kümmern.
"Ich würde sehr, sehr gerne arbeiten, mich aber auch um
meine Kinder kümmern."
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