Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Und zu welcher Tageszeit werden Rituale eher zelebriert als am frühen Morgen? Ein Kaffee, Brötchen mit Himbeermarmelade, ein kurzer Spaziergang mit dem Hund, vielleicht noch die Zigarette zur Verdauung, dann geht es ab auf die Arbeit.
In den Niederlanden ist das nicht überall so. Kaum ein Land in Europa hat sich so als Innovator bewiesen. Von der gleichgeschlechtlichen Ehe über liberale Drogenpolitik bis zum Fahrrad-Boom treibt das Land viele soziale Entwicklungen voran. So mancher Trend der aufgeschlossenen Niederländer könnte manchem aber doch zu weit gehen. Ein ungewöhnliches Beispiel ist der "Wake Up Club".
Neben allen gesellschaftlichen Errungenschaften gelten die Niederländer:innen auch als Feierbiester. Partygänger:innen aus aller Welt reisen jedes Jahr nach Amsterdam und Rotterdam, um sich in die weltberühmten Club-Szenen zu stürzen. Im beschaulichen Utrecht laufen die Uhren aber noch anders. Und zwar ganz anders.
Denn dort ist ein Club heimisch, der die Feier-Logik auf den Kopf stellt. Beim "Wake Up Club" wird nämlich nicht die Nacht zum Tag gemacht, sondern der Morgen zum Abend. Party-Organisator Tanno Witkamp fasst die Idee gegenüber dem "Spiegel" so zusammen: "Es ist schön, manchmal aus der eigenen Komfortzone herauszutreten."
Tatsächlich treffen sich bei den meist ausgebuchten Events Menschen zum Feiern in aller Früh. Um sechs Uhr öffnet der Club seine Tore und begrüßt Studierende vor der Uni, Arbeitskräfte vor dem Büro oder Partywillige nach der Nachtschicht.
Ohne Alkohol, ohne Drogen, dafür mit einer gehörigen Portion Koffein, nimmt die Party laut der "Spiegel"-Recherche zwar meist langsam Fahrt auf. Dafür tanzen sich die Teilnehmer:innen vor verrichteter Arbeit aus dem Morgenschlummer und starten den Tag aktiv und gesellig.
Einer der Vorzüge ist, dass Arbeitenden nach einem langen Arbeitstag nicht die Energie fürs Tanzen und Feiern ausgeht. Auch andere unschöne Nebenwirkungen des herkömmlichen Feierns scheinen bei dem Konzept "Wake Up Club" ausgeschlossen. So sind Aggressionen, Trunkenheit oder der Kater beim Aufstehen quasi ausgeschlossen.
Initiator Witkamp findet: "Man kann sich betrinken, aber warum sollte man das tun?" Statt Bier, Shots oder Long Drinks, schenkt der Club nach seiner Aussage rund 20 Liter Kaffee aus. Getanzt wird unter anderem im Silent Room. Hier spielt zwar ein DJ Musik, die genießen die Teilnehmer:innen aber sozialverträglich und so laut wie sie es selbst wollen per Kopfhörer.
Bis neun Uhr wird Kaffee oder Tee getrunken und im stillen Raum getanzt. Dann geht es für die meisten Clubgänger:innen ab ins Büro, auf die Baustelle oder in den Hörsaal.