Über Jahrtausende galt Japan als eines der am meisten abgeriegelten Länder der Welt. Selbst nach der Öffnung als Folge des Zweiten Weltkriegs blieb das Land der aufgehenden Sonne über Dekaden eine Blackbox für Touristen. Angesichts der wirtschaftlichen Stagnation, die Japan seit den 1990er-Jahren lähmte, setzte die Politik vor rund zehn Jahren auf einen harten Paradigmenwechsel.
Seitdem wird viel für den Tourismus getan. Und der Ausbau von Hotelkapazitäten, touristischer Infrastruktur sowie die Öffnung von Kultur und Natur haben sich als gewaltiger finanzieller Erfolg erwiesen. Für Freudensprünge sorgt das allerdings nicht unbedingt. Denn immer öfter werden die Besucher:innen als respektlose Eindringlinge wahrgenommen.
Kaum ein Land auf der Welt kann nämlich auf eine so stark ausgeprägte Etikette aus Anstand und Höflichkeit verweisen, wie Japan. Dasselbe kann von vielen westlichen und anderen wohlhabenden Nationen nicht behauptet werden.
Vor allem im Urlaub fühlen sich viele Deutsche, Engländer, Russen, US-Amerikaner oder Chinesen nicht mehr an dem Gebot von Freundlichkeit und Rücksicht verpflichtet. Angesichts neuer Rekordbesucherzahlen von knapp 27 Millionen in den ersten drei Quartalen 2024, ist der Geduldsfaden daher stark gespannt.
Offenkundig wurde das zuletzt durch eine Reihe Besucher:innen aus China. Im dortigen Social-Media-Universum ist es nämlich zum Trend geworden, nach Japan zu reisen, um Denkmäler zu entweihen. Die beiden Länder pflegen seit Jahrhunderten eine Beziehung des gegenseitigen Hasses, der sich eigentlich zuletzt abgemildert hatte.
Ein Dorn im Auge vieler Japaner:innen sind aber auch Reisende aus dem Westen. Den Anlass zu einem Skandal lieferten zuletzt Influencer aus den USA. Eine Tanzgruppe aus New York sorgte dabei mit Videos aus einem fahrenden Zug für einen Aufschrei. Dabei treten die US-Tänzer mit einer Reihe von Auftritten im laufenden Betrieb auf.
Obwohl sie durchaus beeindruckende Tanz-Moves auf den Parkettboden der gepflegten U-Bahn bringen, sorgen die Clips für Zorn und Unverständnis in Japan – und Fremdscham bei Beobachter:innen im Westen. Denn der Versuch, einheimische Jugendliche in die Performance einzubinden, scheitert krachend an deren offensichtlichem Befremden.
Mitte Oktober hatte die Tanz-Gruppe das Video hochgeladen. Seitdem herrscht Fassungslosigkeit in Japan. Die Betreiberfirma der Zuglinie in der Präfektur Yamanashi auf der Nordinsel Hokkaido wurde zur Stellungnahme gezwungen und erinnerte an die Benimmregeln im Zug: "Gefährliches oder lästiges Verhalten werden wir in unseren Zügen nicht dulden und ebenso kein Verhalten, das den sicheren Betrieb unserer Züge stört."
Die eigentlich außergewöhnliche Gastfreundschaft scheint auf den westlichen Laissez-faire nicht besonders gut vorbereitet zu sein. Oft dreht sich die Respektlosigkeit dabei um die Heiligtümer der japanischen Staatsreligion, dem Shintoismus.
Erst im August musste die Polizei einen Österreicher festnehmen. Sein Vergehen sorgte für einen Aufschrei der Entrüstung. Denn der Mann hatte in einem Tempel Sex gehabt.
Einige Wochen später dann die nächste Entweihung: Zwei Tourist:innen aus Chile und Italien hatten das zeremonielle Eingangsportal laut "Berliner Morgenpost" als Fitnessstudio zweckentfremdet und um die Wette Klimmzüge gemacht.