Wenn wir an Weihnachten zu den Eltern meiner Freundin fahren, wird es, wie jedes Jahr, um ein kontroverses Thema gehen: Die Eltern meiner Freundin sind Donald-Trump-Supporter. Meine Freundin und ich allerdings nicht. Sobald es am Esstisch um Politik geht, führt das unweigerlich zum Clinch, gerne mit zugeschlagenen Türen und ausgesprochenen Flüchen. Denn die Ansichten ihres Vaters, der Amerikaner ist, sind – gelinde gesagt – zweifelhaft. Und auch ihre Mutter hat dieses Funkeln in den Augen, wenn es um Trump, seine Ansichten zum Islam und Einwanderung geht.
Das Irritierendste ist, dass sie, obwohl sie weltgewandte Leute sind und vormals konträre linksliberale Ansichten vertraten, sich von Trumps Haltung haben anstecken lassen. Scheinbar liegen die rigorosen und populistischen Ansichten näher aneinander, als man denken würde.
Streit in der Familie – das kennen die meisten. Egal ob der Ausgangspunkt dafür in der Politik, bei Donald Trump, der AfD oder Greta Thunberg, etwas Persönlichem oder ganz Banalem liegt.
Wir von watson haben uns gefragt, wie die Weihnachtszeit trotz weltanschaulicher Diskrepanzen möglichst streitfrei und besinnlich über die Bühne geht. Wie gehst du damit um, wenn Ansichten innerhalb der Familie unvereinbar scheinen – und ausgerechnet an Heiligabend hochkochen? Antworten hat uns die Psychologin und Therapeutin Elisabeth Schreiber geliefert.
Dass es gerade an Weihnachten zu den nächsten Episoden schwelender Familienfehden kommt, hat nicht bloß damit zu tun, dass deine Familie mal wieder zusammenkommt. Laut Schreiber ist unsere Vorstellung von Weihnachten von Harmonie bestimmt. Wegen der Sehnsucht, dem weihnachtlich-zarten Zauber erliegen zu dürfen, ist die Erwartungshaltung leicht zu enttäuschen.
Hinzu kommt die kulturelle Überhöhung, mit den Weihnachtsmärkten und den Schaufenstern und den Fernsehsendungen und Dekorationen in Wohnzimmern. "Überall wird Friede und Freude proklamiert. Der Pseudo-Frohsinn führt dazu, dass Unstimmigkeiten umso einschlagender wirken, weil sie nicht ins Bild passen", sagt Schreiber gegenüber watson. Kältebedingt auf engstem Raum zusammengepfercht, krachen möglicherweise die Weltanschauungen aufeinander.
Das Zusammentreffen mit der Familie, so Schreiber, berge Provokations- und Enttäuschungspotenzial: durch doofe Späße, bestimmte Erwartungen, Neid oder latent provokante Sprüche, die eine Kränkung hervorrufen.
Das kann der Onkel sein, der in unserem Alter schon längst was auch immer vollbracht hatte, oder die Enttäuschung über eigentümliche Weihnachtsgeschenke, die suggerieren: "Der hat mich noch nie verstanden, weiß der nichts von mir?" Insbesondere, wenn noch andere Gäste da sind, spalten sich alle Beteiligten möglicherweise in zwei Lager auf. Und dann ist das Fest für alle ruiniert.
Deshalb solltest du dir vorher überlegen, ob du das Fest retten möchtest und welche Angriffe du aushalten kannst, meint die Expertin. Machst du dir die eigene Achillesferse vorab bewusst, sind mögliche Kränkungen zwar nicht aus der Welt geschafft. Doch sie treffen dich abgefederter, oder du kannst vorab überlegen, wie sich bestimmte Situationen entkräften lassen.
Hinzu kommt dann noch, dass es "im Elternhaus generell eher zum Streit als anderswo kommt – hier wirkt wenig entschärfend. Sowohl Eltern als auch Kinder fallen schnell in ihre üblichen Rollen zurück." Die Feier ins Restaurant auszulagern oder mal zu sich einladen, und dadurch für Tapetenwechsel sorgen, kann dem zivilen Ablauf des Streits zuträglich sein. Schreiber sagt dazu: "Die Reißleine zu ziehen; zu sagen, das ist kein Thema für Weihnachten, ist kein Klein-Beigeben und keine Unterwerfung."
Weil die Unstimmigkeit bei unserer Familie nicht zu umgehen ist, gilt die Regel, dass am Esstisch nicht über Politik und vor allem nicht über Trump diskutiert wird. Hin und wieder versuchen die Eltern meiner Freundin dennoch, das Thema anzureißen. Zu groß ist ihr Drang, über die Errungenschaften des 45. Präsidenten der USA zu berichten, der es allen zeigt. Dabei schreiben sie sämtliche Erfolge, egal ob von ihm erzielt oder nicht, dem Filzstift-schwingenden Trump zu.
Klar, es ist wichtig, für dich problematische Ansichten anzusprechen, sie nicht einfach abzutun. Doch wirst du mit einem Gegenhalten wohl vermutlich keine verhärteten Standpunkte aufbrechen – denn in so einer Situation hört keiner mehr richtig zu.
Wenn jemand stur an seiner Meinung festhält, könntest du der Person sagen, dass du ihrem Denken nicht mehr folgen kannst. Aber das Weihnachtsfest selbst wird keine Klärung hervorbringen, das ist nicht der richtige Zeitpunkt für einen Sinneswandel. Möglicherweise hilft externe Unterstützung außerhalb der Feiertage, zum Beispiel durch Coaching, Mediation oder systemische Therapie.
Die Therapeutin führt aus: "Es ist ein Kraftakt, sich bewusst zu machen, dass man mit einer Meinung ganz und gar nicht einverstanden sein kann, aber dafürhalten muss, dass diese geäußert werden darf." Das gilt auch, wenn die Überzeugung, der du gegenüberstehst, freiheitlichem Denken entgegenläuft. Gewisse Regeln des Anstandes zu befolgen, und weder in Drohgebärden oder Zwangsharmonie unter allen Umständen zu verfallen, sollte gewährleistet bleiben.
Bevor es zum Eklat kommt und du merkst, dass du wütend wirst, kannst du dich auch eine Weile zurückziehen. Das fällt zwar wahrscheinlich auf, ist aber allemal besser als der offene Schlagabtausch.
Schön ist in unserem Fall, dass sich die Frage, ob wir Weihnachten zusammen verbringen wollen, trotz allem gar nicht stellt: Wir feiern dennoch jedes Jahr zusammen, auch auf die Gefahr eines Familienstreits hin. Eine positive Grundhaltung hilft. Wer vom Worst Case ausgeht, bekommt es möglicherweise damit zu tun.
Den gemeinsamen Nenner suchen, Dinge besprechen, die man mag. Geschenke, Beisammensein, sich gegenseitig eine Freude bereiten. Bücher, Serien, Sport, Musik oder Kunst geben zumeist genug Gesprächsstoff her, der für harmonische Feiertage sorgt. Hinterher kannst du immer noch Statements, die du nicht akzeptieren kannst, nicht akzeptieren.