Am Geschenk für Papa verzweifeln, mit den Geschwistern "Kevin – Allein zu Haus" gucken und dem betrunkenen Onkel Rolf erklären, dass seine Whatsapp-Kettenbriefe über Greta Thunberg gar nicht so lustig sind. Weihnachten ist Familienzeit – ob man will oder nicht. So geht es aber nicht allen Menschen in Deutschland, denn Millionen feiern das vielbeschworene "Fest der Liebe" ganz alleine. Das versucht Christian Fein seit Jahren zu ändern.
Der 34-Jährige kam 2016 selbst in die Situation: Er hatte sich von seiner Frau getrennt und saß kurz vor Heiligabend allein zu Hause. Also brachte er Menschen in ähnlichen Situationen über das Hashtag #KeinerTwittertAllein auf Twitter zusammen, damit sie sich an Heiligabend austauschen konnten. Der Hashtag ließ in den Twitter-Trends sogar Helene Fischer und ihre Weihnachtsshow hinter sich.
"Ich war überwältigt, wie viele Menschen sich gemeldet haben und ebenfalls allein waren", erinnert er sich im Gespräch mit watson und erklärt: "Ich wollte das ändern und einsame Menschen an Weihnachten zusammenbringen." In den Jahren darauf organisierte der SAP-Berater aus Rheinland-Pfalz ehrenamtlich echte Treffen zum Weihnachtsfest unter dem Namen "Keiner bleibt allein". So können sich Gastgeber und Suchende bei ihm für ein gemeinsames Weihnachtsfest melden. Im Jahr 2018 meldeten sich 26.000 Personen bei seiner Initiative, die er mittlerweile mit drei anderen Organisatoren führt.
Es geht in Deutschland vielen Menschen wie Christian. Bei einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens GfK aus dem Jahr 2012 gaben drei Prozent der Menschen an, Weihnachten alleine zu verbringen. Einsamkeit gibt es aber auch in der Zeit außerhalb der Feiertage.
Eine Antwort der Bundesregierung im Mai dieses Jahres auf eine Anfrage der FDP offenbarte, dass fast jeder zehnte Mensch in Deutschland in Einsamkeit lebt: Die zitierte Studie des Marktforschungsinstituts Splendid Research aus dem Jahr 2017 ergab demnach, dass sich 12 Prozent der Deutschen häufig oder ständig einsam fühlen. Das Gefühl ist in allen Altersgruppen verbreitet. Besonders häufig fühlen sich Menschen in den Mittdreißigern einsam. Unter ihnen sind 18 Prozent betroffen.
Das Gefühl von Einsamkeit hat Folgen für die Gesundheit: Soziale Isolation und Einsamkeit erhöhen die Wahrscheinlichkeit, an chronischem Stress sowie an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einer Depressionen oder Demenz zu erkranken, wie eine 2010 veröffentlichte Studie der Cambridge-Universität ermittelte.
"Einsamkeit kann man den Menschen nicht ansehen und es wird kaum darüber gesprochen, deswegen findet es jederzeit statt", erklärt Christian, der auch in diesem Jahr wieder Tausende Menschen zumindest am Weihnachtsabend zusammen bringen möchte. "Das Weihnachtsfest beinhaltet einen großen Druck, weil sich jeder wünscht mit seinen Liebsten an einem gemeinsamen Tisch zu sitzen und man das Gefühl hat, dass alle anderen Menschen nicht allein sind, sondern man nur selbst. Das stimmt natürlich nicht. "
Im vergangenen Jahr unterstützte die evangelische Kirche das ehrenamtliche Projekt von Christian, für das Weihnachtsfest 2019 kontaktierten ihn aber nochmal mehr Menschen als 2018: Über 34.000 Menschen meldeten sich in diesem Jahr bis kurz vor Heiligabend bei seiner Initiative. "Von Deutschland, Österreich, Schweiz oder Luxemburg ist der deutschsprachige Raum komplett abgedeckt", erzählt Christian.
Die Zahlen von "Keiner bleibt allein" zeigen, dass es genug Menschen gibt, die gesellschaftliche Einsamkeit in der Weihnachtszeit bekämpfen wollen: "Es haben sich in diesem Jahr wieder mehr Menschen gemeldet, die andere zu sich einladen wollen, als Menschen, die allein und auf der Suche sind", erklärt Christian und sagt: "Wir haben 7000 Suchende und 27.000 Gastgeber."
Die Interessenten kommen schon lange nicht mehr aus der Twitter-Blase: "Es melden sich Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft bei uns, aber natürlich bieten vor allem sehr viele klassische Familien mit Kindern einen Platz bei sich zu Hause an, weil sie der Gesellschaft etwas zurückgeben wollen."
Einschränkungen für die Teilnehmer gibt es keine: "Uns ist es wichtig, dass bei unserem Projekt jeder so aufgenommen wird, wie er ist", sagt Christian und erklärt: "Eine feste Zielgruppe haben wir nicht, aber die meisten Teilnehmer sind zwischen 30 und 50 Jahre alt." Er betont, dass bei der Aktion Menschen jeden Alters mitmachen: "Wir haben 18-Jährige, die sich melden, und unsere älteste Teilnehmerin war, glaube ich, 96 Jahre alt".
Nach Weihnachten erwärmen zahlreiche Geschichten von erfolgreichen Zusammenführungen sein Herz, erzählt Christian: "Einmal hatten wir eine 25-jährige Frau mit einer 87-Jährigen in Marburg an Heiligabend zusammengeführt. Sie waren zusammen in der Messe und haben bis heute noch Kontakt", sagt Christian. "Vergangenes Jahr hatten wir eine Muslimin aus Hamburg, die wir einer konservativen christlichen Familie vermittelt haben. Die hatten zusammen eine wunderschöne Zeit", berichtet Christian und schwärmt: "Ein Mann aus Karlsruhe hat mal über ein Dutzend Menschen zu sich eingeladen."
Genau deswegen tut sich auch der 34-Jährige den ganzen Weihnachtsstress für andere Menschen an: "Ich wünsche mir, dass wir mit unserem Projekt dazu beitragen, dass die Gesellschaft wieder ein bisschen näher zusammenrückt."