Der Krieg in der Ukraine verursacht Tod, Leid, Zerstörung. Bilder von erschossenen Zivilisten, weinenden Kindern, zerbombten Schulen und Krankenhäusern wühlen uns auf, während uns die Corona-Krise noch in den Knochen steckt.
Auch auf der politischen Agenda stehen die Entwicklung des Krieges und die Corona-Pandemie an oberster Stelle. Darunter leidet der Klimaschutz – denn die Klimakrise erscheint oftmals als die weniger akute Krise. Das Resultat: Geld fehlt, Klimaschutzmaßnahmen werden aufgehoben, um die drängenden Probleme durch den Krieg und die Pandemie zu beheben. Sogar die Laufzeit von Kohlekraftwerken will die Ampel verlängern. Experten verfolgen diese Entwicklungen mit Sorge.
Klimaschutz aus Kostengründen abzulehnen oder aufzuschieben, sei zu kurzfristig gedacht, sagt Malte Welling, Umweltökonom am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) gegenüber watson:
Schätzungen gehen davon aus, dass jede ausgestoßene Tonne CO2 Folgeschäden in Höhe von 200 Euro verursachen wird. Zwar lasse sich das nicht für jede Klimaschutzmaßnahme einzeln errechnen, aber jede einzelne Klimaschutzmaßnahme hilft dabei, CO2 zu sparen. Und die meisten zur Diskussion stehenden Maßnahmen "sind kostengünstiger als die Klimaschäden", so Welling weiter.
Dass es in der politischen Debatte dennoch vor allem um die hohen Kosten für den Klimaschutz anstatt der kostengünstigeren Prävention schwerer Folgen geht, hängt laut der Energieökonomin Claudia Kemfert mit dem von der Lobby geprägten Narrativ zusammen: "Seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wird erfolgreich vonseiten der Fossil-Lobby gegen Klimaschutz opponiert", erklärt Kemfert gegenüber watson. "Es wurden umfangreiche PR-Strategien erarbeitet, die das Narrativ 'Klimaschutz kostet' erfolgreich in den öffentlichen Diskurs gebracht haben."
Das Ziel solcher Kampagnen sei die Anzweiflung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Das hafte bis heute. Kemfert erzählt, auch sie selbst habe diese Diskreditierung erlebt. "Leider haben die Medien diese Narrative nie hinterfragt, nutzen sie bis heute", kritisiert sie. Sie erklärt das so: Die Kampagnen seien erfolgreich etabliert worden – und es fehle an Informationen, Transparenz und Bildung.
Besonders deutlich geworden sei das im Wahlkampf für die Bundestagswahl 2021, in dem Journalistinnen und Journalisten ausschließlich die Frage gestellt hätten, was der Klimaschutz kostet, anstatt zu fragen, was es kosten würde, keinen Klimaschutz zu betreiben. Kemfert wörtlich: "Dies ist ein Beleg, dass die PR-Strategien gefruchtet haben und die Medien keine ausreichenden Selbstreflektions-Plattformen oder Institutionen haben, um diese zu hinterfragen."
Obwohl sie seit über 15 Jahren Studien zu der Kostenentwicklung der Klimakrise erstellt, "die unaufhörlich ansteigen, wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert wird", kommt diese Botschaft nicht in ihrer Klarheit in der Bevölkerung an.
Claudia Kemfert betont:
Steven Salecki, Energieökonom am IÖW, führt die Debatte um die aufkommenden Kosten durch Klimaschutzmaßnahmen vor allem darauf zurück, dass diese direkt spürbar für die Menschen seien, anders als die zumeist erst noch drohenden Folgen durch die Klimakrise.
Aus diesem Grund sei es wichtig, einkommensschwache Haushalte nicht sich selbst zu überlassen, sondern diese aufzufangen.
Gegenüber watson sagt Salecki: "Zudem wird Klimaschutz in der politischen Debatte oft gegen wirtschaftspolitische Zielgrößen wie Wohlstand und Arbeitsplätze ausgespielt, ohne eine gleichwertige Bezifferung der Klimawandelkosten, die es durch Klimaschutzmaßnahmen zu vermeiden gilt."
Eine transparente und verständliche Kommunikation der drohenden Klimawandelgefahren sowie die Abwägung der Kosten des Klimaschutzes gegen die Klimawandelkosten sei daher eine wichtige Grundlage der Klimapolitik. "Der Blick auf die Kosten des Klimaschutzes ist notwendig, sollte die gesellschaftliche Debatte aber nicht dominieren, sonst werden die immer dringlicher werdenden Klimaschutzmaßnahmen verzögert und Klimawandelkosten in Kauf genommen."
Wie fatal sich fehlende Klimaschutzmaßnahmen bemerkbar machen, wurde unter anderem durch die Flutkatastrophe im Ahrtal im vergangenen Sommer deutlich.
Das Ereignis habe gezeigt, "dass der Klimawandel längst im Gange ist und auch in Deutschland unweigerlich Auswirkungen hat und weiter haben wird", sagt Salecki vom IÖW.
Zwar hätten Politik und Wissenschaft im Zuge der Aufarbeitung der Ereignisse die Bedeutung des Klimaschutzes betont. "Dennoch gibt es in Deutschland viele Menschen, die noch nicht direkt davon betroffen sind und daher ihre Belastung durch Kosten für schnellere und intensivere Klimaschutzmaßnahmen mehr Bedeutung beimessen, als den Klimawandelgefahren", so Salecki.
Der Wissenschaftler geht davon aus, dass die Flutkatastrophe einen "wichtigen Anknüpfungspunkt für die Klimapolitik" bietet, um die Notwendigkeit des Klimaschutzes zu betonen und direkt aufzuzeigen, mit welchen Kosten die Krise einhergehen wird –allein die Schäden im Ahrtal würden sich auf 30 Milliarden Euro belaufen. Und: Mit der fortschreitenden Erderwärmung würden die Kosten durch Dürre, Extremwetter und weitere Folgen der Klimakrise weiter in die Höhe schießen.
Um das zu vermeiden, sei es notwendig, gegenzusteuern und von den fossilen Energien wegzukommen. Und Energie zu sparen. "Wir benötigen einen deutlich schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien, das Ausbautempo muss vervierfacht werden", sagt Claudia Kemfert. Auch die Elektromobilität sowie der Schienenverkehr und ÖPNV müssten ausgebaut und gefördert werden.
Sie betont: "Derartige Investitionen lohnen sich volkswirtschaftlich, da durch Wertschöpfung, Resilienz und zukunftsfähige Arbeitsplätze geschaffen werden." Subventionen für fossile Energien, wie beispielsweise ein Tankrabatt, sei hingegen "rausgeschmissenes Geld".
Das gilt, wie Kemfert erklärt, auch für umweltschädliche Subvention – "angefangen bei der Diesel-Steuererleichterung und die fehlende Mehrwertsteuer auf internationale Flüge, die Dienstwagenförderung bis hin zur Pendlerpauschale".
Jetzt gehe es darum, klugen Klimaschutz zu betreiben. Denn der schaffe auch soziale Gerechtigkeit.
Kemfert sagt:
Zumal, so betont Kemfert es, Menschen mit geringerem Einkommen – ob nun Pflegekraft, Friseurin oder Rentner – weniger konsumieren würden und dadurch auch einen kleineren CO2-Fußabdruck hätten. "Trotzdem müssen sie – heimlich und ohne es zu wissen – den Preis der ach so erstrebenswerten 'fossilen Freiheit' bezahlen. Ihre Steuergelder gehen nämlich in Form von Freibeträgen und Subventionen ausgerechnet an Menschen mit großem CO2-Fußabdruck, also an die mit dem großen Einfamilienhaus, mit Erst- und Zweitwagen oder mit Dienst- und Urlaubsreisen in ferne Länder."
Sie sagt weiter:
Aus diesem Grund dürfe der Klimaschutz "auf keinen Fall" hinten runterfallen, denn das sei schon zu häufig passiert: in der Finanzkrise, in der Corona-Krise, im Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Die Zeit um noch zu handeln sei knapp. "Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, wird die Erde für die zukünftigen Generationen unbewohnbar", so Kemfert. "Wir dürfen den fossilen Lobbyisten nicht das Feld überlassen. Wir müssen raus aus dem Energiekrieg. Die Energiewende hin zu den erneuerbaren Energien ist das beste Friedensprojekt, das wir weltweit haben."