Stempeljoch im Karwendelgebirge: Wo früher mal Gletscher waren, herrscht jetzt Steinwüste.Bild: privat / Felix Daiber
Analyse
26.08.2022, 12:4621.11.2022, 10:53
"Beständig wie ein Berg"– so heißt ein bekanntes Sprichwort. Doch trifft das wirklich noch auf unsere Bergwelten zu?
Die Klimakrise beeinflusst die Ökosysteme unserer Erde, neben Ozeanen sind auch Gebirge weltweit von den steigenden Temperaturen betroffen. Dass sich das Klima in den Bergen verändert, wird Wintersportler:innen spätestens dann klar, wenn der Schnee immer häufiger ausbleibt.
Doch verändern sich die Berge auch in den Sommermonaten? Und welche Folgen hat das für Bergsportarten wie Wandern, Klettern und Bergsteigen?
Gipfelblick vom Großen Bettelwurf, Österreich.Bild: privat / Felix Daiber
Die Klimakrise verändert ganze Bergwelten
"Speziell in diesem Jahr, wo wir diesen extrem warmen Sommer gehabt haben, hat sich schon eklatant viel in der Bergwelt verändert", erzählt Thomas Huber im Interview mit watson. Huber gilt als einer der besten Extremkletterer Deutschlands. Zusammen mit seinem Bruder Alexander haben die "Huberbuam" verschiedenste Gipfel im Alpenraum sowie in Südamerika und Asien erklommen.
Die Auswirkungen der Klimakrise konnten sie so vielerorts mit eigenen Augen mitverfolgen: "Unwetter werden heftiger, es gibt mehr Dürren, heftigere Regenfälle, Überschwemmungen, Murenabgänge und ganze Bergstürze durch das Auftauen der Permafrostböden", zählt der erfahrene Bergsteiger auf.
Die Extremkletterer Alexander (links) und Thomas Huber (rechts) im Yosemite Nationalpark.Bild: IMAGO / United Archives
Eine der prägendsten Veränderung seit einigen Jahren: In Patagonien, Südamerika, klettern die Temperaturen auch in weiter Höhe immer häufiger auf über Null Grad. Die Folge: Eis und Schnee tauen auf. Mittlerweile passiert das aber auch in nördlicheren Ländern, wie Huber berichtet:
"Man hat jetzt Situationen, die es noch nie in der Geschichte des Bergsteigens gegeben hat: Dass ein Matterhorn oder auch der Montblanc gesperrt werden, dass auch Bergführer auf viele Gipfel nicht mehr hochgehen, weil es einfach zu gefährlich wird, wenn die Permafrostböden auftauen und dadurch die Risiken unkalkulierbar werden."
Gletscher schrumpfen in rasantem Tempo
Diese rapiden Veränderungen in der alpinen Bergwelt bestätigt auch Stefan Winter, Ressortleiter für Sportentwicklung beim Deutschen Alpenverein (DAV) im Gespräch mit watson. "Inzwischen sind die Masseverluste an allen Gletschern schon mit bloßem Auge erkennbar, sie verlieren stark an Volumen und schrumpfen damit zusammen – ähnlich einem Ball, dem die Luft ausgeht."
Auch die Gletscherzunge, das Ende eines Gletschers, ziehe sich immer weiter zurück, wie er erklärt: "Das können jetzt bereits zwischen 50 bis 100 Meter Streckenverlust im Jahr sein."
Stefan Winter ist Ressortleiter für Sportentwicklung beim Deutschen Alpenverein (DAV).bild: Deutscher Alpenverein e.V.
Mit gravierenden Folgen: Durch die Gletscherschmelze verschwinden viele Schneebrücken und damit ganze Bergrouten, die früher über Gletscherspalten führten. "Bestimmte Übergänge sind deshalb schwer bis gar nicht mehr begehbar", sagt Winter.
Gerade in diesem Sommer sei das Risiko besonders hoch, dass Bergsteiger:innen in eine der vielen Spalten fallen oder sich im Spaltenwirrwarr "verzetteln" würden. "Viele Gletscher sind einfach vier Wochen eher schneefrei als üblich und nicht wie sonst mit Schnee bedeckt." Durch die Eisschmelze gebe es auch viel loses Geröll, das zuvor sicher unter einer Eisschicht verborgen war.
Überreste des Kjenndalsbreen-Gletscher in Norwegen.Bild: privat / Franziska Maisack
Das Gefährliche: "Dieses Geröll gerät schon bei wenig Bewegung auf steilen Berghängen schnell ins Rollen und kann Steinlawinen auslösen", warnt Winter.
Der "innere Kit" der Berge schmilzt
Aber nicht nur das Eis der Gletscher schmilzt – auch der Permafrostboden, der in den Alpen auf der Nordseite ab einer Höhe von rund 2.500 Metern beginnt, taut von Jahr zu Jahr früher auf und gefriert später. "Der Permafrost ist sozusagen der innere Kit des Berges, er hält vor allem in Bergen ab 2.500 Metern Höhe bis zu den 4000ern Gestein zusammen", sagt Winter.
Hinterautal in Tirol: Schmilzt das Eis, bleibt oft loses Geröll an steilen Abhängen zurück. Bild: privat / Felix Daiber
Das kann unerkannt zur noch viel größeren Gefahr werden, wie er watson berichtet: "Hierbei kann man die Folgen eben nicht wie beim Eisrückgang bei Gletschern mit den bloßen Augen erkennen."
"Dann können Gesteinsblöcke so groß wie Autos ohne Vorzeichen abbrechen, was für Bergsteiger schwer vorherzusagen ist."
Gletscherexperte Stefan Winter
Denn verschiebt sich die Nullgradgrenze im Jahresmittel kontinuierlich nach oben, taut immer mehr Eis im Berginneren auf und fließt als Wasser ab, wie der Experte erklärt.
"Der Berg wird damit im Gesteinsinneren porös und manche Felsen verlieren dadurch ihren inneren Zusammenhalt. Dann können Gesteinsblöcke so groß wie Autos ohne Vorzeichen abbrechen, was für Bergsteiger schwer vorherzusagen ist."
Durch Felsstürze wird Klettern noch extremer
Das Schmelzen des Permafrostbodens ist damit besonders für Kletternde fatal, die sich in hohen Felswänden über 2.500 Meter Höhe bewegen.
So zum Beispiel in den Hochlagen der Berchtesgadener Alpen, über die Berge bei Garmisch-Partenkirchen bis ins Hochgebirge in Tirol und die westlichen Alpen in der Schweiz, in Frankreich und Italien. "Durch Felsstürze werden manchmal auch ganze Kletterrouten weggerissen. Und natürlich ist es extrem gefährlich, wenn man genau dann in der betroffenen Felszone klettert. Dann hat man keine Chance zu entkommen", warnt Winter.
Felsbrocken auf einem Gletscherfeld am Großvenediger, Österreich.Bild: privat / Karin Biskup-Meyer
"Wenn ein Felssturz vom Umfang so groß ist wie zum Beispiel die Berliner Gedächtniskirche, dann kann er eine Mure, eine Stein-Schlammlawinen, auslösen, die auch viel weiter unten in den Wäldern Wanderer, erste Siedlungen und hochgelegene Straßen bedroht", sagt Winter. Passiert ist das etwa 2017 beim Bergsturz von Bondo in der Schweiz, bei dem drei Millionen Kubikmeter Fels ins Tal stürzten und acht Menschen starben.
Maßnahmen gegen Bergunfälle
Damit lose Gesteinsbrocken nicht bis ins Tal fallen, werden durch den Straßenbau Eisennetze am Straßenrand installiert, die auch größere Felsbrocken aufhalten können, wie Winter erklärt. So werden steile Hänge auch mit Spritzbeton oder Stahlträgern abgesichert.
"Aber bei immer häufiger auftretendem Starkregen oder Lawinenabgängen stellt sich die Frage, wo überhaupt noch in der Nähe von steilen Hängen gebaut werden darf, weil natürlich Siedlungen geschützt werden müssen und auch das Abrutschen von Hütten ein reales Bedrohungsszenario darstellt", gibt der Experte zu Bedenken.
Spuren von Murenabgängen im Hinterautal in Tirol.
Wenn es ganz kritisch wird, würden Hänge und gefährdete Felspartien digital vermessen und auf Bewegungen überwacht, mit sogenanntem Geomonitoring. Das sei aber kostspielig und aufwändig, weswegen es für viele Gemeinden nicht in Frage kommt, wie Winter einräumt.
Um Unfälle vorzubeugen, vernetzt sich die Bergcommunity mittlerweile auch untereinander über Portale. "Hier schreiben Bergsportler eigene Erfahrungen, Erlebnisse und Warnungen rein, die sie im Gelände entdeckt haben", sagt Winter.
Extremsportler zieht es in immer höhere Lagen
Doch wie geht es weiter für den Klettersport? "Wir werden uns auf diese Szenarien in der Zukunft einstellen müssen", antwortet Thomas Huber auf Anfrage von watson. Die Huberbuam mussten bereits Kletterprojekte am Montblanc und der Eiger-Nordwand abbrechen. Ihr Kletterequipment hängt zum Teil noch "in der Wand" vor Ort. "Wir mussten wegen der hohen Temperaturen abbrechen und können auch weiterhin nicht an die Eiger-Nordwand gehen", sagt Huber.
Die Huberbuam an der Bergspitze "Nose" im Yosemite Nationalpark, USA.null / imago images
Er vermutet, dass sich auch das Bergsteigen im hochalpinen Bereich langfristig verändert. "Viele haben gedacht, wärmere Sommer und Winter seien immer nur klimatische Ausnahmen, aber wenn man die Tendenz betrachtet, dann sind die Häufigkeit und die Auswirkungen von diesen Klimaauswirkungen in den Bergen exponentiell angestiegen", erzählt er.
"Wir müssen uns schnell anpassen, wenn wir noch klettern wollen."
Extremkletterer Thomas Huber
Die Extremsportler orientieren sich mittlerweile zu immer höher gelegenen Touren, unter anderem nach Indien. Doch neue Umgebungen brächten auch neue Risiken mit sich: "Wir werden sehen, ob sich in Indien diese extrem hohen Temperaturen auch auf den Monsun auswirken", gibt Huber zu Bedenken. "Aber egal wo wir international sind, es wird alles extremer und wir müssen uns schnell anpassen, wenn wir noch klettern wollen."