Für sechs lange Tage haben Klima-Aktivist:innen Lützerath gegenüber Polizist:innen und dem Energiekonzern RWE blockiert, besetzt, verteidigt. Doch an diesem Montagvormittag ist es so weit – die Polizei hat auch die letzten Aktivist:innen aus einem unterirdischen Tunnel evakuiert, die letzten Aktivist:innen von einem Schaufelradbagger im rund 20 Kilometer entfernten Tagebau Hambach geholt.
Die Blockade ist beendet.
Nach dem vollständigen Abriss Lützeraths will RWE die darunter liegende Kohle abbaggern. Man erwarte, dass der Rückbau noch acht bis zehn Tage dauere, sagte ein Firmensprecher der "Rheinischen Post": "Im März oder April könnte der Tagebau dann das frühere Dorf erreichen und abbaggern."
Und damit das Versprechen zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels brechen, sagen Aktivist:innen und Forschende unabhängiger Gutachten. Denn wird die Kohle unter Lützerath abgebaggert und verbrannt, warnen sie, bedeute das das Aus für das im Pariser Klimaabkommen vereinbarte Ziel. Das Aus also für einen globalen, völkerrechtlich bindenden Vertrag.
RWE hat gewonnen, vorerst.
Aber kapituliert haben die Aktivist:innen nicht.
"Lützerath ist noch da", sagt Fridays-for-Future-Sprecherin Linda Kastrup aus Duisburg gegenüber watson. "Und was noch viel wichtiger ist: Die Kohle unter Lützerath wurde bisher nicht abgebaggert und der Protest hier wird weitergehen."
Bis auf die beiden den Tunnel besetzenden Aktivist:innen war der rheinische Braunkohleort seit Sonntagnachmittag geräumt. Die meisten Gebäude waren schon am Sonntag abgerissen worden, darunter auch der Bauernhof von Bauer Eckardt Heukamp, dem letzten Landwirt von Lützerath.
Trotz allem hat der Widerstand der Aktivist:innen und Demonstrierenden eine Botschaft in die Welt hinausgetragen: Immer mehr Menschen haben verstanden, dass es ein "weiter so" in der Klimapolitik nicht geben kann. Dass die Klimakrise nur beschleunigt wird, wenn noch mehr fossile Energien – wie etwa die Braunkohle unter Lützerath – verstromt werden.
Linda Kastrup erklärt gegenüber watson dazu:
"Der Ort selbst war eine gelebte Utopie", sagt Fridays-for-Future-Sprecherin Linda. Seit 2020 haben Aktivist:innen die kleine Ortschaft zu ihrem Zuhause gemacht, haben Baumhäuser und Holzhütten gebaut.
Linda ergänzt:
Über 35.000 Menschen hätten am Samstag geeint in Lützerath gestanden und gegen diesen "Wahnsinn" protestiert. "Diese Menschenmassen stehen weiterhin für das Dorf ein, weitere Proteste sind geplant. Das Ende im Kampf um die Braunkohle unter Lützerath ist nicht in Sicht", betont Linda von Fridays for Future.
Dabei hätte der Deal zwischen der NRW-Landesregierung, der Bundesregierung und RWE wieder einmal gezeigt, dass die Kapitalinteressen eines fossilen Konzerns gegenüber dem Klimaschutz Priorität haben und diese Interessen "auch mit Zwang und Gewalt" umgesetzt würden.
Bei der Räumung Lützeraths sind nach Polizeiangaben mehr als 100 Beamte verletzt worden. Aufseiten der Aktivist:innen und Demonstrierenden wird die Zahl der Verletzten seit Beginn der Polizeiaktion am 8. Januar auf rund 300 geschätzt.
Gerade die Verletztenzahl zu Beginn der Polizeimaßnahmen sei allerdings nicht gut dokumentiert worden und könne nur geschätzt werden, räumte ein Sprecher von "Lützerath lebt" ein. Die Anzahl verletzter Demonstrierender könne sich demnach noch erhöhen, denn die Demonstrierenden seien dazu aufgerufen, ihre Verletzungen nachträglich zu melden.
Hindernisse für einen weiteren Abbau der Braunkohle sieht das Land NRW aufgrund der Eigentumsverhältnisse am Braunkohletagebau Garzweiler vorerst nicht. Alle bis Ende 2023 für den Abbau bestimmten Flächen seien im Eigentum von RWE oder dem Unternehmen zur Nutzung überlassen worden, wie das NRW-Wirtschaftsministerium im Zuge einer Anfrage der dpa mitteilte.
Die Grünen-Landtagsabgeordnete Antje Grothus hatte noch vergangene Woche, vor Abschluss der Räumung Lützeraths, darauf hingewiesen, dass RWE nicht alle Flächen besitze, die zum Abbau vorgesehen sind. Aus diesem Grund hatte sie um einen Räumungsstopp und eine Neuplanung des Tagebaus gebeten.
Aber keine Chance.
Das Ministerium weist den Hinweis ab.
Auch für die Zeit nach 2023 und bis Ende 2025 verfüge RWE Power über mehr als 98 Prozent der Flächen, wie das Ministerium unter Hinweis auf Auskünfte des Unternehmens erklärte. Für die restlichen zwei Prozent der Flächen liefen Kauf-, Tausch- oder Pachtverhandlungen. Es sei nicht unüblich, dass Verhandlungen mit einzelnen Grundeigentümern im Vorfeld des Tagebaus noch nicht abgeschlossen seien. Falls tatsächlich Enteignungen nötig würden, gebe es dafür langjährige etablierte Verfahren, bei denen die Bergbehörde über hinreichende Erfahrung verfüge. Der Hauptbetriebsplan für den Braunkohleabbau gelte, betonte das NRW-Ministerium.
Die Aktivist:innen und Demonstrierenden frustriert das. Aber aufgeben kommt für sie dennoch nicht in Frage.
Linda Kastrup sagt:
Der Protest zeigt auch: Klimaschutz bleibt Handarbeit. "Und es bleibt in unserer Verantwortung, das als vereinte Bewegung umzusetzen."
(Mit Material der dpa)