Unsere Gesundheit ist unweigerlich mit der Heftigkeit der Klimakrise verbunden. Das ist Forschungsergebnis einer internationalen Forschungsgruppe, die ihren Umweltbericht diese Woche im Fachjournal "The Lancet" veröffentlicht hat.
Der neue Umweltbericht belegt, wie stark die Klimakrise unsere Gesundheit beeinflusst und wie sie die Gesundheitssysteme weltweit herausfordert, die nach über zwei Jahren Pandemie ohnehin schon geschwächt sind. Er berichtet von den gestiegenen Zahlen an Hitzetoten über die letzten Jahre und gestiegene Gefahr für Hitzesterblichkeit: Für Menschen über 65 Jahre ist sie mittlerweile 68 Prozent höher als noch Anfang des Jahrtausends.
Doch welche Folgen hat es, wenn unsere individuelle Gesundheit so stark vom Verlauf der Klimakrise abhängt? Und wie muss sich das Gesundheitssystem verändern, damit es nicht kollabiert?
Um diesen Zusammenhang näher zu verstehen, hat watson bei Claudia Traidl-Hoffmann, Leiterin des Lehrstuhls Umweltmedizin an der Universität Augsburg, nachgefragt. Ihre erste Antwort fällt dabei so simpel wie desaströs aus: "Die Klimakrise ist die größte Bedrohung für unser Gesundheitssystem in diesem Jahrhundert."
Die Medizinerin nennt dafür mehrere Gründe.
Die größte Gefahr gehe von der gestiegenen Hitze aus, auf die wir uns ab jetzt und in Zukunft einstellen müssen. Denn gerade dann, wenn immer längere Hitzeperioden stattfinden, werde das Immunsystem von Menschen, die daran nicht gewöhnt seien, stark gefordert. "Mit steigenden Temperaturen werden Menschen anfälliger für die Krankheiten, die sie bereits haben", sagt die Umweltmedizinerin im Gespräch mit watson.
Menschen mit Alzheimer, Demenz, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder einer Nierenerkrankung würden bei längeren Hitzeperioden zusätzlich geschwächt und infolgedessen noch stärker erkranken. "Und je länger diese Hitzeperioden andauern, umso länger bleiben sie dann auch Patienten", folgert Traidl-Hoffmann.
Höhere Temperaturen locken zudem mehr Mücken- und Zeckenarten an, die tropische Krankheiten übertragen können, wie Frühsommer-Meningitis, das West-Nil-Fieber oder auch die Leishmaniose.
Die Umweltmedizinerin berichtet:
Nicht zu unterschätzen sei auch die psychische Belastung, die durch die vielen verschiedenen Krisen für mehr Menschen steigt und Depressionen und Zukunftsängste verstärkt, betont Traidl-Hoffmann.
Doch damit nicht genug: Wenn eine Hitzewelle eintritt, sind auf einen Schlag ganz viele Menschen gleichzeitig betroffen – was zu einer massiven Überlastung und dann zum Versagen der Gesundheitssysteme führen könnte: "In nicht Klima resilienten Krankenhäusern gibt es dann schnell Engpässe beim Personal, aber auch bei Wasser und Energie", folgert Traidl-Hoffmann für watson.
Mit Blick auf den aktuellen Stand des Gesundheitssystems in Deutschland hat sie deshalb konkrete Änderungs-Vorschläge: Um die Klimakrise irgendwie abzufedern, müssten in der bundesweiten Infrastruktur spätestens jetzt
Zusätzlich dazu brauche es aber vor allem eine systemische Veränderung in der deutschen Gesundheitsbranche, wie Traidl-Hoffmann erklärt:
Ohne Prävention versage sonst das System nach dem Status Quo. Als aktuellstes Beispiel sieht sie die Covid-Pandemie: "Wer ist denn zuallererst schwer krank geworden? Das waren vorerkrankte Menschen, die adipös sind, und Raucher:innen, generell Menschen, die ja bereits krank waren", erinnert sie.
Im gesamten Gesundheitssystem müssten sich dafür mindestens zwei Dinge ändern: Zuerst müsste die Ausbildung von Ärzt:innen neu ausgerichtet werden. "Ihnen muss faktisch mehr zu den neuen Klimakrankheiten beigebracht werden, aber auch, wie sie unter neuen Extrembedingungen arbeiten können."
Zweitens müsste medizinische Rehabilitation endlich ernst genommen werden, besonders vonseiten der bereits ausgebildeten Ärzt:innen, der Krankenkassen und des Staates: "Wenn es heißt, Reha ist zu teuer, ist das zu kurz gedacht! Denn ein kranker Mensch kann auch keine Steuern zahlen", argumentiert die Ärztin.
Und drittens müsste es auch in der Medizin zu einem Denk-Wechsel kommen: Zu lange habe die Klimabewegung nur von sterbenden Eisbären und Wäldern erzählt, aber es gehe auch um den sterbenden Menschen, betont Traidl-Hoffmann. "Diese Geschichte müssen und können auch nur wir Weißkittel erzählen – gerade wir müssen den Anstoß geben für eine Mindset-Veränderung in der Gesellschaft."
Die sei bitter nötig, denn ganz aussichtslos sei die Lage noch nicht. Denn es gebe selbst in dieser Krise auch einige doppelte Gewinn-Situationen, wie die Ärztin erklärt:
Der erste Schritt dahin: Klar schädliche Risiken – wie vor allem Rauchen und Vapen – weglassen, die jede:n anfälliger für kommende Klimakrankheiten machen. Und sich stattdessen gesund mit lokaler, pflanzen-basierter Nahrung ernähren. "Natürlich nicht mit diesen prozessierten veganen Mega-Ersatzprodukte", ergänzt Traidl-Hoffmann. "Sondern lieber mit stinknormalem Salat oder Rote Beete. Pflanzenbasierte, regionale Nahrung ist gut für den Menschen und gleichzeitig auch für die Natur."