Elterntaxi mal anders: Bewegung ist gesund und belastet die Umwelt nicht. (Symbolbild)Bild: E+ / AleksandarNakic
Analyse
Es ist ein Thema, das so naheliegend ist, dass man vielleicht noch niemals darüber nachgedacht hat: Wer seine Kinder gesund erzieht, schützt damit gleichzeitig auch die Umwelt. Und wenn es der Umwelt gut geht, schützt das die Kinder. Beide Themen stehen also in einem synergetischen Zusammenhang – darauf macht aktuell auch der Berufsverband deutscher Kinderärzte aufmerksam.
"Kindergesundheit und der Klimawandel hängen auf vielfache Weise miteinander zusammen", erläutert Verbandsmitglied Marco Heuerding gegenüber watson. "Die Leidtragenden von Umweltveränderungen werden nämlich die Kleinsten sein: Laut WHO trifft fasst 90 Prozent der durch den Klimawandel ausgelösten Krankheitslast die heute unter fünfjährigen Kinder."
"Sich als Familie bewusster zu verhalten, ist doppelt sinnvoll: Es schützt das Leben des eigenen Kindes und das des Planeten."
Dem Kinder- und Jugendarzt aus Bremen liegt das Thema persönlich am Herzen. Er sieht in nachhaltiger Familienführung einen Schlüssel für gesunde Kinder und ist überzeugt: Wir haben hier eine absolute Win-Win-Situation vor uns. Insbesondere, weil es nicht um große, sondern eher kleine Veränderungen im Alltag geht, die das Familienleben gesünder und nachhaltiger machen können. Welche das sind, darüber sprach er mit watson.
Weniger Fleisch und Fast-Food anbieten
"Wir wissen, dass die Produktion tierischer Nahrungsmittel wie Fleisch, Eier, Milch relevant zum Klimawandel beiträgt und dass ihr übermäßiger Konsum gleichzeitig Übergewicht verursacht", so Heuerding. Wenn Eltern weniger tierische Lebensmittel anbieten, dafür mehr Obst, Gemüse, Vollkorn und Hülsenfrüchte, nutze das sowohl ihrem Kind als auch der Umwelt.
Gleiches gilt für Fast-Food und industrielle Fertigprodukte. "Fertig-Pizza, Streichwurst, aromatisierte und gezuckerte Milchprodukte sowie süße Getränke sind Klimakiller, da die hochgradig industrielle Verarbeitung von Nahrungsmitteln mit einem hohen CO2-Ausstoß einhergeht", so der Arzt.
Für ihn als Mediziner seien aber allein schon die Folgeschäden einer ungesunden Ernährung Grund genug, sie von Kindern fernzuhalten. Denn: "Was man in der Kindheit gelernt hat, behält man bei", erklärt er. "Adipöse Kinder haben oft schon übergewichtige Eltern, deren Ernährungsstil übernommen wurde. Dieses 'angelernte' Übergewicht zieht große Folgeprobleme wie Diabetes und Kreislauferkrankungen mit sich. So etwas kann verhindert werden."
Obst und Gemüse seien weder teurer noch viel aufwendiger zuzubereiten als Fertigprodukte, so Heuerding, der selbst Vater ist: "Es ist eher eine Frage des Managements, immer eine Obstschale auf dem Tisch zu haben statt der Packung Chips. Das Gute ist: Sobald die Umstellung verinnerlicht wurde, geht es eigentlich leicht."
"Es reicht, mit kleinen Schritten anzufangen."
Stopp mit dem Elterntaxi
Wer mit Kindern unterwegs ist, gerade in ländlicheren Gebieten, kommt um das Auto kaum herum. Es ist aber sinnvoll, wann immer möglich darauf zu verzichten. "Die 'Elterntaxis', die jeden Morgen die Kinder zur Kita und in die Schule fahren, stoßen CO2 und Schadstoffe direkt auf dem Schulweg der Kinder aus, gleichzeitig wird den Kindern die Bewegung auf ihrem Schulweg genommen", warnt Heuerding.
Für alle Beteiligten sei es gesünder, auf Roller und Fahrrad umzusteigen, um eine kleine Sport-Einheit in den Tag einzubauen. Ganz nebenbei würde es langfristig auch mehr Spaß machen, ist er überzeugt: "Die Laune ist einfach besser – und zwar bei Kindern und Eltern –, wenn man auf dem Weg zu Schule und Arbeit ein wenig frische Luft hatte und kurz reden konnte, anstatt sich im stickigen Auto über den Verkehr zu ärgern."
Bildschirmzeit begrenzen
Stundenlange Beschäftigung an Bildschirmen trägt in fast allen Industrieländern zur Bewegungsarmut der Kinder bei, deshalb sehen Mediziner ihren Medienkonsum kritisch.
"Ein Kind, das seinen Tag mit Serien, Filmchen, Social-Media und Videospielen auf dem Sofa verbringt, verbrennt kaum Kalorien, schläft schlecht, Konzentration und Aufmerksamkeit leiden", erläutert Heuerding dazu. "Gleichzeitig ist das Internet an zwei Prozent der weltweiten CO2 Emissionen beteiligt, dies entspricht dem gesamten Flugverkehr."
Der CO2-Ausstoß entsteht, weil Servernetzwerke mit ihren kilometerlangen Unterwasserkabeln, Schaltern und Routern eine enorme Menge Energie verbrauchen. Diese stammt zum größten Teil aus fossilen Brennstoffen. Die Bildschirmzeit zu begrenzen hat also einen positiven Synergieeffekt: Kinder bewegen sich mehr, sind ausgeglichener und die Umwelt wird weniger stark belastet.
Nicht zuletzt: Die Politik in die Verantwortung nehmen
"Familien als kleine Ökosysteme können ihren Beitrag leisten", sagt Heuerding abschließend. Das sei für das Kind gesund und für die Gemeinschaft wichtig. Doch ihm ist auch klar: Die ganz großen Stellschrauben für den Klimaschutz liegen langfristig woanders.
"Natürlich muss vor allem die Industrie und die Politik umdenken", so Heuerding. Er kritisiert dabei Babybrei, der bereits gezuckert auf den Markt kommt, um zukünftige Konsumenten zu binden und Klimaabkommen, die viel zu zögerlich durchgesetzt werden. Das sei in Anbetracht des Ernstes der Lage nicht mehr hinnehmbar. Heuerding sagt: "Die Politik muss den Klimaschutz mit viel mehr Nachdruck angehen und jetzt die richtigen Weichen stellen – denn uns läuft die Zeit davon."
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