"Autofahren bedeutet Freiheit" – sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) kürzlich in einem Interview mit der "Bild am Sonntag". Seine Position macht er damit deutlich: Das schnelle Autofahren ist in Deutschland Freiheitsrecht.
Das sehen die Befürworter:innen des Tempolimits genauso. Allerdings umgekehrt. Ihrer Meinung nach ist es ihr Recht, durch ein Tempolimit vor den Gefahren für ihre Gesundheit durch den Klimawandel geschützt zu werden.
Zwei Klimaschützer:innen haben versucht, diese Freiheitsrechte über den Weg der Verfassungsbeschwerde einzufordern: Sie wollten damit die Einführung des Tempolimits bewirken. Doch das Bundesverfassungsgericht hat die Beschwerde als unzulässig abgewiesen. Gescheitert ist das Vorhaben schon an formellen Voraussetzungen.
Der Grund: Sie hätten nicht hinreichend begründet, inwiefern das fehlende Tempolimit ihre eigenen Rechte verletze. Für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde wäre das aber nötig gewesen. Sie hätten etwa begründen müssen, inwiefern das Tempolimit der Erreichung der Klimaziele im Weg stehe. Denn: Der Staat ist verpflichtet, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Zumindest, wenn es nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Hinblick auf den Klimabeschluss geht.
Aber was bedeutet das Scheitern der Verfassungsbeschwerde, auch in Hinblick auf den Klimabeschluss von 2021? Und: Was können Bürger:innen jetzt noch tun?
Watson hat darüber mit Sabine Schlacke gesprochen. Sie ist Direktorin des Instituts für Energie, Umwelt und Seerecht und Professorin an der Universität Greifswald.
Das Verfahren der Klimaschützer:innen und das Urteil des Verfassungsgerichtes haben durchaus Bedeutung, wie Sabine Schlacke gegenüber watson erklärt: "Das Bundesverfassungsgericht hat tatsächlich diesen kurzen Beschluss noch einmal dazu genutzt, um den Klimabeschluss aus 2021 zu schärfen", sagt sie über die nun abgewiesene Verfassungsbeschwerde zur Einführung des Tempolimits.
Das Gericht habe demnach betont, dass Einzelmaßnahmen auf Grundlage von Freiheitsrechten in Verbindung mit dem Staatsziel Umweltschutz (Art.20a GG) nicht gefordert werden können.
Heißt konkret: "Einzelmaßnahmen sind mittels einer Verfassungsbeschwerde kaum einklagbar", sagt Schlacke. Dabei geht es nicht nur um die Einführung eines möglichen Tempolimits – sondern auch um andere konkrete Maßnahmen, wie etwa ein Verbot des Fleischkonsums.
Der Grund: Durch die Nichteinführung eines Tempolimits oder eines Fleischverbots allein sind nicht unmittelbar unsere Gesundheit oder Freiheit gefährdet.
Das betonte auch das Gericht. Die Beschwerde müsste sich "grundsätzlich gegen die Gesamtheit der zugelassenen Emissionen richten", heißt es in der Entscheidung. Bürger:innen müssten sich also gegen das Klimaschutzgesetz an sich wenden – wie bereits 2021 geschehen.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Urteil die Grenzen seines Klimabeschlusses 2021 aufgezeigt, in das wohl viele Menschen große Hoffnungen gesetzt haben. Rechtliche Bedeutung hat er dennoch – denn Klimaneutralität ist zum Verfassungsziel geworden.
Da das Gericht die Grenze der Gewaltensphären zwischen Rechtsprechung und Gesetzgebung wahren muss, sei das Ergebnis richtig. Zumindest derzeit, findet Schlacke. Das Gericht dürfte nicht zum Quasi-Gesetzgeber werden. Über konkrete Einzelmaßnahmen – also auch über das Tempolimit – entscheiden die zuständigen Politiker:innen.
In der Politik sieht es derzeit allerdings nicht danach aus, als gäbe es bald eine solche Änderung auf den deutschen Autobahnen: Im Koalitionsvertrag ist ein Tempolimit nicht vorgesehen. Nicht zuletzt deshalb, weil die FDP sich als Regierungspartei gegen das Tempolimit sträubt.
Doch wenn die Politik kein Tempolimit einführt und Bürger:innen dieses auch gerichtlich nicht einfordern können, welche Möglichkeiten bleiben dann noch?
In einer Demokratie gibt es laut Sabine Schlacke in diesem Fall durchaus Möglichkeiten. Zumindest indirekt. Erlassen Parteien etwa gewünschte Einzelmaßnahmen nicht, müssten wir sie abwählen, sagt die Professorin. "Und natürlich kann man darüber hinaus weiterhin politischen Druck ausüben."
Allerdings könnten Beschwerden wie diese künftig vor dem Verfassungsgericht anders gewertet werden. Denn: Je weniger CO2-Emissionen aus Deutschlands Gesamtbudget noch verbleiben, umso intensiver sind die Eingriffe in die Freiheitsrechte. "Dann könnte tatsächlich auch – als letzte Möglichkeit, wenn es wirklich die allerletzte effektive Maßnahme ist – ein Tempolimit eingeklagt werden", sagt Schlacke.
Ein Tempolimit – also doch noch einklagbar? Zurzeit wohl eher nicht, vermutet die Professorin. Doch sie sagt auch:
Derzeit sei ein anderer Weg aussichtsreicher für Klimaschützer:innen: der über die Verwaltungsgerichte. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) zum Beispiel hat diese Route eingeschlagen und die Bundesregierung vor dem Oberverwaltungsgericht in Berlin-Brandenburg verklagt. Die Forderung: ein Sofortprogramm zu erlassen, weil Pflichten aus dem Klimaschutzgesetz nicht erfüllt würden. Bei einem Sofortprogramm handelt es sich um eine Art Sanktionsmaßnahme, wenn in einem Bereich Emissionsvorgaben nicht eingehalten werden.
Schlacke formuliert die Klage so: "Jetzt ist eben die Frage aufgeworfen: 'Liebe Bundesregierung, hältst du dich überhaupt an die vom Gesetzgeber gesetzten Regeln? Hast du das Sofortprogramm aufgesetzt? Nein, hast du nicht!' Und das klagen wir jetzt ein!"
Allerdings sei auch bei eben jener Verbandsklage die Zulässigkeit fraglich, weil Sofortprogramme eigentlich nicht mittels einer solchen Klage überprüft werden können. Zumindest bisher.