Nachhaltigkeit
Analyse

Abgeschwächtes Klimaschutzgesetz: Was es bedeutet und welche Konsequenzen drohen

28.03.2023, Berlin: Die Parteichefs der Koalitionsparteien Lars Klingbeil (SPD, r-l) Ricarda Lang (Grüne) und Christian Lindner (FDP) sprechen im Bundestag nach dem Koalitionsausschuss. Foto: Michael  ...
Christian Lindner, Ricarda Lang und Lars Klingbeil beantworteten Fragen zu den Beschlüssen des Koalitionsausschusses.Bild: dpa / Michael Kappeler
Analyse

Klimaschutzgesetz: Was das bedeutet und welche Konsequenzen drohen

30.03.2023, 19:27
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Das Klima – und damit wir – scheinen als große Verlierer aus dem ewig währenden Gipfeltreffen der Ampel-Regierung hervorzugehen. Denn die sogenannte "Fortschritts-Koalition" macht Rückschritte – und wagt es tatsächlich, feste und verbindliche Sektorziele des Klimaschutzgesetzes abzuschaffen.

Auch das Vorhaben eines Verbots von neuen fossilen Heizungen ab 2024 wird aufgeweicht. Beschleunigt werden sollen hingegen 144 Autobahnprojekte. Das geht aus einem Abschlusspapier hervor, das am Dienstagabend unter dem Titel "Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung" veröffentlicht wurde.

Verbände und Opposition kritisieren das Papier teils scharf: "Dass man Hand anlegt an das Bundesklimaschutzgesetz ist unglaublich – damit versündigt man sich an allen künftigen Generationen", sagt Matthias Walter, Mitglied der Bundesgeschäftsführung der Deutschen Umwelthilfe, im Gespräch mit watson. "Das widerspricht komplett dem Geist und Inhalt des Klimaschutzurteils des Verfassungsgerichts."

Aber was bedeutet das für den Klimaschutz und die Einhaltung der Pariser Klimaziele? Und ist die Abänderung eines Gesetzes so einfach möglich?

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Änderung des Klimaschutzgesetzes war schon im Koalitionsvertrag Thema

Dass es der Ampel-Koalition nach zu einer Abschwächung des Klimaschutzgesetzes kommen soll, kommt für Christian Pestalozza wenig überraschend. Er ist Staats- und Verwaltungsrechtler sowie Professor an der Freien Universität Berlin. Gegenüber watson sagt er: "Die Ankündigung findet sich bereits im Koalitionsvertrag von 2021." Bereits damals hatten sich die drei Parteien darauf verständigt, die Einhaltung der Klimaziele anhand einer "sektorübergreifenden und analog zum Pariser Klimaabkommen mehrjährigen Gesamtrechnung" zu überprüfen.

ARCHIV - 29.05.2020, Berlin: Abgeordnete nehmen an der 164. Sitzung des Bundestags teil. Trotz der neuen Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition setzt das Bundesverfassungsgericht sein Verfahren zur Vorg ...
Um die Änderungen des Klimaschutzgesetzes zu beschließen, muss die Mehrheit der Abgeordneten dafür stimmen.Bild: dpa-Zentralbild / Britta Pedersen

Ob es zu dieser Änderung im Bundesklimaschutzgesetz tatsächlich kommen wird, bleibt noch abzuwarten. Denn dafür muss zunächst noch die Mehrheit der Koalitionsfraktionen im Bundestag zustimmen. Bis möglichst Ende Mai soll alles vom Koalitionsausschuss Beschlossene möglichst durch den Bundestag gebracht werden.

Ob die Änderungen inhaltlich rechtens sein werden, werde man erst dann beurteilen können, wenn genaue Details feststünden, wie Pestalozza zu Bedenken gibt. "Politisch bestürzt mich als Wähler am 'Modernisierungspaket' insgesamt der peinliche Kotau (ein ehrerbietiger Gruß) vor dem kleinsten Koalitionär."

Änderungen des Klimaschutzgesetzes
Sektorziele: Statt der strikten jährlichen Emissionsvorgaben für einzelne Bereiche wie Verkehr und Gebäude, soll es möglich sein, Zielverfehlungen in einem Sektor, etwa dem Verkehr, in einem anderen auszugleichen. Grundsätzlich sollen die Sektorziele aber bestehen bleiben.

Jahresübergreifende Betrachtung: Statt fester Jahresziele soll ein längerer Zeitraum in den Blick genommen werden. Dazu soll eine Regierung jeweils im ersten Jahr der Legislaturperiode ein umfassendes Programm vorlegen.

Klimaziele: Das Ziel, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral sein soll, wurde bekräftigt. Entscheidend dafür soll der Europäische Emissionshandel einschließlich seiner geplanten Ausweitung der Sektoren sein.

CO2-Senken: Es sollen sowohl natürliche CO2-Senken wie Moore und Wälder berücksichtigt werden, als auch technische durch CO2-Abscheidung und -Speicherung. Festgelegt werden sollen fünfjährige Ziele für Negativemissionen.

Welche Konsequenzen könnten die Änderungen hervorrufen?

"Darüber lässt sich jetzt nur spekulieren", sagt Staats- und Verwaltungsrechtler Pestalozza. Und ergänzt:

"Es liegt die Sorge nahe, dass die künftige Gesamtverrechnung den Eifer einzelner, vielleicht auch aller Sektoren und Ressorts, ihren eigentlich angemessenen und möglichen Beitrag zu leisten, nicht unerheblich dämpft. Mit der Folge, dass die längerfristigen Klimaschutzziele endgültig verfehlt werden."

Und selbst vor dem Plan zur Änderung des Klimaschutzgesetzes sei die Bundesregierung hinterhergehinkt. Das sagte Sabine Schlacke, Co-Vorsitzende des Lenkungskreises der Wissenschaftsplattform Klimaschutz der Bundesregierung, in einem Interview mit dem "Spiegel": "Nicht nur Ziele festlegen, sondern sie auch einhalten. [...] Heute denken viele Minister noch von Monat zu Monat oder in Jahresschritten. So sind die Klimaziele bis 2030 aber kaum zu schaffen."

An election campaign poster featuring German Finance Minister, Vice-Chancellor and the Social Democratic Party's (SPD) chancellor candidate Olaf Scholz reads: "A chancellor for climate prote ...
Vor der Bundestagswahl 2021 warb Olaf Scholz noch als "Kanzler für Klimaschutz" für sich. Bild: AFP / JOHN MACDOUGALL

Deutsche Umwelthilfe tauft Olaf Scholz "Klima-Katastrophenkanzler"

Umweltverbände teilen diese Ansicht. "Wenn diese Änderungen jetzt tatsächlich so kommen würden, dann würden wir weit hinter den Zustand von vor 2019 zurückfallen, als es noch kein Klimaschutzgesetz gab", kritisiert Matthias Walter, Mitglied der Bundesgeschäftsführung der Deutschen Umwelthilfe, gegenüber watson.

Das Gesetz, setzt er nach, wäre eine "massive Verschlechterung" im Vergleich zu dem der Großen Koalition unter Angela Merkel. Er ergänzt weiter:

"Uns als Umweltverband wäre es im Traum nicht eingefallen, dass wir mal das Klimaschutzgesetz von Angela Merkel verteidigen würden – weil wir immer vehement Nachbesserungen gefordert haben. Aber genau das müssen wir jetzt tun, das ist schon einigermaßen absurd. Und das mit einem Mann an der Spitze, der sich im Wahlkampf 'Klimakanzler' getauft hat, den wir heute 'Klima-Katastrophenkanzler' nennen müssen, und mit einer Beteiligung der Grünen."

Können Klimaaktivisten und Umweltschutzorganisationen erneut klagen?

Beschlossen wurde das Klimaschutzgesetz 2019 von der Großen Koalition aus Union und SPD. Fridays for Future und andere Klimaschützer:innen hatten dagegen geklagt, weil ihnen das Gesetz nicht weit genug ging. Mit Erfolg: Im April 2021 hatte Karlsruhe der Verfassungsbeschwerde in einem historischen Urteil teilweise recht gegeben – die Regierung musste nachbessern.

TOPSHOT - Swedish climate activist Greta Thunberg (C) marches during a "Friday for future" youth demonstration in a street of Davos on January 24, 2020 on the sideline of the World Economic  ...
Die Freude über das historische Urteil war bei Klimaaktivist:innen groß. Bild: AFP / FABRICE COFFRINI

Doch wird dies nach einer möglichen Abschwächung erneut möglich sein?

"Einzelne Beschwerdeführer müssten geltend machen, dass die Änderungen – oder ein Teil von ihnen – ihre Grundrechte verletzen", erklärt Pestalozza. Verfassungsbeschwerden von Umweltorganisationen dürften allerdings, wie auch schon 2021, kaum zulässig sein, wie der Verwaltungsrechtler ergänzt.

Doch so weit will Matthias Walter von der Deutschen Umwelthilfe noch nicht denken. Zunächst einmal gehe es um politischen Widerstand, denn noch handele es sich lediglich um Beschlüsse, nicht aber um ein Gesetz. Dafür müsste erst noch eine Mehrheit der Abgeordneten zustimmen. Walter sagt:

"Und das ist eine Gewissensentscheidung, wo die Parlamentarier sich vor ihrem Gewissen und auch vor künftigen Generationen rechtfertigen müssen. Wir müssen also erst einmal abwarten, ob tatsächlich eine Mehrheit dafür stimmen wird. Und somit auch dafür sorgen könnte, dass Deutschland seine Klimaziele massiv verfehlen wird und bestimmte Sektoren völlig aus der Bahn geraten oder weiterhin dort bleiben werden."

Die Hoffnung, dass genügend Parlamentarier:innen gegen die Beschlüsse – und somit für das Klima, für uns und künftige Generationen stimmen könnten – hat Walter noch nicht aufgegeben. Sie bleibt. Und dafür will sich der Verband bis zur letzten Minute einsetzen.

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