Am Mittwoch hat das Bundeskabinett Eckpunkte zu einer Lockerung des deutschen Einwanderungsrechts beschlossen, um Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben – und dadurch dem gravierenden Fachkräftemangel hierzulande entgegenzuwirken. Die Einbürgerung soll dadurch vereinfacht werden. Doch damit kocht auch die Debatte um Geflüchtete wieder hoch.
Kritiker schüren Ängste vor drohenden Flüchtlingswellen, die von den gelockerten Regelungen profitieren wollten. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatte davor gewarnt, "die deutsche Staatsbürgerschaft zu verramschen", AfD-Fraktionschefin Weidel glaubt, die Migrationspolitik der Ampel locke vor allem Armutsmigranten an.
Immer wichtiger wird die Organisation von Zuwanderungsprozessen auch mit Blick auf die Klimakrise. Doch was kommt hier in den kommenden Jahren tatsächlich auf uns zu?
Denn Fakt ist: Die Klimakrise verändert unsere Welt – und könnte nach Einschätzung der Weltbank dazu führen, dass in den kommenden drei Jahrzehnten mehr als 200 Millionen Menschen heimatlos und somit zu Klimaflüchtlingen werden. Das macht die Klimakrise nicht nur zu einer Umwelt-, sondern auch zu einer humanitären Krise.
Weltweit waren Mitte 2022 rund 100 Millionen Menschen auf der Flucht, wie der neueste Bericht der UN Refugee Agency belegt. Doch die Zahl der Flüchtenden wird bei einem Weltklima über 1,5 Grad noch deutlich weiter ansteigen, prognostizieren Migrations-Wissenschaftler:innen, unter ihnen auch Kira Vinke, Leiterin am Zentrum für Klima und Außenpolitik, und Benjamin Schraven, Migrationsexperte am Deutschen Institut für Entwicklung und Nachhaltigkeit (IDOS).
Wie beide Expert:innen im Gespräch mit watson erklären, werden bereits jetzt die Lebensbedingungen von Menschen besonders im Globalen Süden durch Auswirkungen des Klimawandels stark bedroht: Nicht nur würden bereits gefährdete Gebiete komplett unbewohnbar. Klimakatastrophen wie lange Dürre- und Hitzeperioden, Stürme oder Starkregen zerstören auch Infrastruktur und Ernten, sodass es in den betroffenen Regionen immer häufiger zu Hunger und Armut kommt. "Das wiederum führt zu neuen Konflikten und einer Verschärfung von bestehende Krisen und kriegerischen Auseinandersetzungen", erklärt Kira Vinke im Gespräch mit watson.
Als Beispiel nennt sie die Entwicklung des Syrien-Krieges und der darauffolgenden Fluchtbewegung 2015: "Hier war dem Krieg bereits eine heftige Dürreperiode und damit Hunger vorausgegangen, die die politischen Unruhen noch verstärkt haben." Eine Existenzaufgabe in ihrer Heimat würden jedoch die wenigsten Menschen wollen und nur wenige könnten sich auch eine Flucht weit weg bis nach Deutschland finanziell leisten, betont Vinke. "Am härtesten trifft es jedoch die, denen die Mittel zur Flucht fehlen. Es ist realistischer, dass viele zunächst eher innerhalb des eigenen Landes weg von zerstörten Regionen oder in direkt benachbarte Länder ziehen", hält sie fest.
Diese Prognose teilt auch Migrationsexperte Benjamin Schraven: "Die Annahme, dass Millionen von Klimaflüchtlingen nach Europa kommen werden, ist eher unrealistisch", sagt er im Gespräch mit watson. Trotzdem wird es auch direkte Auswirkungen auf Deutschland geben, wie er erklärt:
Ein weiteres Problem, das auf Klimaflüchtende zukommt, ist, dass Klimakatastrophen als Fluchtgrund bisher politisch nicht in der Genfer Flüchtlingskonvention aufgeführt wurde. "Es fehlt eine einheitliche Definition davon, wer als Klimaflüchtling bezeichnet werden könnte, womit auch der Anspruch auf Asyl in einem anderen Land fehlt", zeigt Vinke auf. "Das heißt, dass alle Menschen, die versuchen, einen Schutzanspruch geltend zu machen, wahrscheinlich eher Gründe wie Krieg oder persönliche Verfolgung für Asyl nachweisen müssen." Könnten sie nur den Klimawandel als Migrationsgrund angeben, würden sie also rechtlich noch weniger Chancen auf Asyl haben.
Um diesen Missstand zu ändern, spricht sich Vinke für die Einführung eines sogenannten Klimapasses aus, einem humanitären Visum, das nach dem Verursacherprinzip ausgeht: Damit würden Klimageflüchtete zum Beispiel aus Inselstaaten rechtlichen Zugang zu Industrienationen wie Deutschland erhalten, die Verursacher der Klimakrise sind. Seine Einführung jedoch halten beide Expert:innen für unrealistisch: "Die größte Hürde dabei ist natürlich der mangelnde Wille, gerade der reichen Nationen im Globalen Norden, der OECD-Länder", stellt Schraven klar.
Auch Vinke hat wenig Hoffnung auf eine baldige Lösung, wendet aber ein: "Ich denke, dass der Handlungsbedarf steigen wird. Gerade wenn wir immer schlimmere Klimafolgen sehen, wie etwa auch in Pakistan oder anderen Teilen der Welt, wo man sieht, dass große Teile des Staatsgebiets betroffen sind und die humanitäre Krise einfach sehr gravierend ist."